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Gedenkstätte Bergen-Belsen: "Die direkte Auseinandersetzung mit der AfD müssen wir nicht scheuen"

In Niedersachsen wird über ein Gesetz beraten, das den Einzug der AfD in den Stiftungsrat des KZ Bergen-Belsen verhindern soll. RT Deutsch sprach darüber mit dem Geschäftsführer der niedersächsischen Gedenkstättenstiftung, dem Historiker Dr. Jens-Christian Wagner.
Gedenkstätte Bergen-Belsen: "Die direkte Auseinandersetzung mit der AfD müssen wir nicht scheuen"Quelle: Reuters

Dr. Jens-Christian Wagner ist Historiker und leitet seit 2014 die niedersächsische Gedenkstättenstiftung, die auch die Gedenkstätte Bergen-Belsen verwaltet. Wagners Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere der Zwangsarbeit und der Konzentrationslager, sowie die Geschichtspolitik seit 1945. Er ist Autor, Mitautor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit und der Konzentrationslager sowie zur Erinnerungskultur nach 1945.

Herr Wagner, der niedersächsische Landtag berät eine Gesetzesänderung, die verhindern soll, dass die AfD einen Platz im Stiftungsrat des KZ Bergen-Belsen erhält. Durch eine Reduzierung der Plätze kämen dann nur noch die größeren Parteien zum Zuge. Unter anderem der Spiegel kritisiert, hier werde eine "Lex AfD" geschaffen. Denken Sie nicht, dass solche Ungleichbehandlungen gerade das sind, was die AfD will und für ihren Erfolg braucht?

Die Gefahr, dass eine Gesetzesänderung, die die AfD aus dem Stiftungsrat fernhält, von der AfD genutzt werden kann, um sich als Opfer zu gerieren, ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hätte ich es besser gefunden, wenn die Gesetzesänderung die Zahl der Landtagsabgeordneten im Stiftungsrat noch weiter beschränkt hätte, auf nur einen oder zwei statt vier Vertreter des Landtages als Stiftungsratsmitglieder. Aber: Gesetze werden nicht von der Stiftung, sondern vom Landtag gemacht. Auch wenn die jetzt vorliegende Fassung der Gesetzesänderung nach meiner persönlichen Auffassung nicht ideal ist, begrüße ich sie dennoch, denn sie stellt sicher, dass niemand im Stiftungsrat sitzt, der den Stiftungszweck, nämlich die Würdigung der Opfer und die kritische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen, nicht rückhaltlos unterstützt.

Gab es denn Versuche der Kommunikation zwischen den Beteiligten?

Ja. Und es ist nicht so, dass die AfD ausgegrenzt wird. Ich habe im Dezember selbst ein längeres und recht konfrontatives Gespräch mit der Fraktionsführung der AfD im Landtag geführt. Dabei kam heraus, dass die AfD-Fraktion nicht gewillt ist, sich von revisionistischen und dem Stiftungszweck widersprechenden Positionen diverser Parteigliederungen in Niedersachsen zu distanzieren. Eine Mitgliedschaft der AfD im Stiftungsrat würde die Stiftung damit beschädigen. Was ausgegrenzt wird, ist nicht die AfD, sondern die Holocaust-Verharmlosung.

Wird durch den Vorgang nicht das juristische Prinzip der Gleichbehandlung verletzt? Und wenn man solche Prinzipien beschädigt: Kann das nicht schlimme Langzeitfolgen auch für andere politische Strömungen haben?

Wer eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" oder ein Ende des angeblichen "Schuldkults" fordert - oder sich von solchen Forderungen nicht glaubhaft distanziert -, hat eine erinnerungskulturelle rote Linie überschritten. So etwas müssen wir, denke ich, offensiv zurückweisen. Die kritische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen gehört zum Grundkonsens der Bundesrepublik. Wer ihn infrage stellt, schädigt die Demokratie. Das muss man, wenn man schlimme Langzeitfolgen verhindern möchte, laut und deutlich sagen.

Was passiert, wenn nach der nächsten Wahl eine andere Partei die kleinste ist? Muss dann das Gesetz angepasst werden?

Nein. Nach der jetzt vorliegenden Gesetzesnovelle entsendet der Landtag vier Mitglieder in den Stiftungsrat, unabhängig von deren Fraktionszugehörigkeit. Mit der Zahl der im Landtag vertretenen Parteien oder der Größe der Faktionen hat das nichts zu tun – theoretisch wäre es möglich, dass alle vom Landtag entsandten Mitglieder des Stiftungsrates der kleinsten Partei angehören, was aber praktisch wohl nicht vorkommen wird.

Die negativen Reaktionen der Opferverbände auf die AfD sind nachvollziehbar. Doch hätte man bei dem Vorgang vielleicht noch mehr zwischen diesen verständlichen Emotionen, dem hohen Rechtsgut der Gleichbehandlung und einer entstehenden Steilvorlage für die AfD abwägen müssen?

Bei der Gesetzesänderung geht es darum, die Arbeitsfähigkeit des Stiftungsrates zu verbessern, indem die Zahl seiner Mitglieder beschränkt wird - er sollte nicht zu viele Mitglieder haben, und es sollten nicht mehr Vertreter der Legislative als der Exekutive vertreten sein. Außerdem geht es darum, Schaden von der Stiftung abzuwenden. Es wäre sicherlich falsch, die AfD zu ignorieren oder einfach nur rechts liegen zu lassen. Vielmehr müssen sich Politik und Wissenschaft wie auch die Stiftung inhaltlich mit ihren rassistischen und fremdenfeindlichen Positionen auseinandersetzen. Dafür haben wir die besten Argumente, und eine direkte Auseinandersetzung mit AfD-Vertretern müssen wir nicht scheuen. KZ-Überlebenden möchte ich das aber nicht zumuten.

Hätte man der AfD dann nicht im Stiftungsrat argumentativ entgegentreten können?

Die Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Positionen muss im öffentlichen Raum stattfinden. Der Stiftungsrat tagt aber nicht öffentlich. Zudem ist der Stiftungsrat nicht der Ort für politische Debatten; das ist laut Gesetz auch gar nicht seine Aufgabe. Vielmehr überwacht er die Geschäftsführung und beschließt den Haushalts- und Stellenplan.

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