
Pistorius erteilt Taurus-Lieferung klare Absage und beschwert sich über Rüstungsindustrie

Von Achim Detjen
In einem Interview mit der Financial Times hat Verteidigungsminister Boris Pistorius der Ukraine in der Frage der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern erneut eine klare Absage erteilt. Kiew hatte jüngst wieder auf die Lieferung der Taurus-Raketen gedrängt, die über eine Reichweite von rund 500 Kilometern verfügen und damit im Gegensatz zu den anderen vom Westen gelieferten Waffensysteme bis nach Moskau reichen würden.

Eine Absage erteilte Pistorius auch der Lieferung weiterer Patriot-Luftabwehrsystemen aus deutschen Beständen. Berlin hat bereits drei seiner einst insgesamt zwölf Patriot-Systeme der Ukraine überlassen.
"Wir haben nur noch sechs in Deutschland", sagte der SPD-Politiker. Zwei Systeme seien an Polen ausgeliehen worden, ein weiteres sei wegen Wartungsarbeiten oder Trainingszwecken dauerhaft nicht verfügbar, so Pistorius. "Das ist wirklich zu wenig, vor allem wenn man die Fähigkeitsziele der NATO bedenkt, die wir erfüllen müssen. Wir können definitiv nicht noch mehr geben", begründete der Minister gegenüber der US-Zeitung, warum er Kiew trotz der massiven russischen Luftangriffe der letzten Woche kein weiteres Patriot-System zur Verfügung stellen will.
Berlin möchte jedoch zwei Patriot-Systeme von den USA für Kiew kaufen. Dieses Vorhaben will Pistorius mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Pete Hegseth besprechen, den er am Montag in Washington treffen wird. US-Präsident Donald Trump hatte am Wochenende angekündigt, mehrere Patriot-Systeme aus den Vereinigten Staaten in die Ukraine zu schicken, die jedoch von der NATO bezahlt würden.
Bei seinem zweitägigen Washington-Besuch will Pistorius eine "direkte und persönliche Abstimmung" mit Hegseth, was die weitere Unterstützung der Ukraine betrifft. Zudem plant der deutsche Minister, auch einen "Fahrplan" für die Sicherheitsunterstützung der USA für Europa zu erörtern. Die weithin erwartete Reduzierung der US-Streitkräfte dürfe keine Fähigkeitslücken hinterlassen, die eine "Einladung an Putin" darstellen könnten, warnte Pistorius gegenüber der Financial Times.
Weil er Zusammenhänge nicht versteht: Pistorius wettert gegen Rüstungsindustrie
Gegenüber der US-Zeitung ließ Pistorius auch kräftig Dampf ab – gegenüber der heimischen Rüstungsindustrie. Die Waffenhersteller müssten aufhören, sich zu beschweren und endlich die Produktion erhöhen, um die Wiederbewaffnung Europas voranzutreiben.
Seine Regierung habe die langjährigen Bedenken der Industrie ausgeräumt, indem sie Hunderte von Milliarden Euro an neuen Militärausgaben durchgesetzt habe, so Pistorius gegenüber der Financial Times. "Es gibt keinen Grund mehr, sich zu beschweren. Die Industrie weiß ganz genau, dass sie jetzt in der Verantwortung steht, zu liefern."
Die Industriekonzerne müssten ihren Teil der Abmachung einhalten, da Europa versuche, russische Aggressionen abzuschrecken, während das Interesse der USA an der Sicherheit des Kontinents nachlasse.
"Leider erleben wir immer noch Verzögerungen bei einzelnen Projekten, bei denen alles geregelt zu sein scheint, und dann kommt es zu Verzögerungen aufseiten der Industrie, die ich dann zu verantworten habe. Die Industrie muss ihre Kapazitäten hochfahren", sagte Pistorius.
Das Unverständnis des Verteidigungsministers gegenüber der heimischen Rüstungsindustrie ist buchstäblich: Pistorius versteht einfache wirtschaftliche Zusammenhänge nicht und glaubt, wenn man mit genug Geld wedelt, lösen sich alle Probleme von alleine.
Geld schafft zwar die Voraussetzung, aber damit Waffenhersteller ihre Produktionskapazitäten erweitern können, sind noch viele andere Faktoren zu berücksichtigen. Das fängt an bei der Verfügbarkeit "kritischer Rohstoffe", die schon dadurch erschwert wird, das ein Großteil dieser Materialien oftmals aus Russland und China stammt und sie sich nicht einfach per Mausklick bei Amazon bestellen lassen. Ein wichtiger Faktor sind auch die oftmals hoch spezialisierten Fachkräfte. Die fallen jedoch nicht vom Himmel und sitzen auch nur selten in einem Flüchtlingsboot, sondern müssen über Jahre angelernt werden.
Immerhin hat Pistorius verstanden, dass Unternehmen nur dann in den Ausbau ihrer Kapazitäten investieren, wenn am Ende auch Profit rausspringt, indem ihre Produkte einen Abnehmer finden.
Langfristige Verträge mit "regelmäßigen jährlichen Abnahmeverpflichtungen" würden laut Pistorius darauf abzielen, den langjährigen Beschwerden der Industrie entgegenzuwirken, dass sie nicht in teure neue Produktionslinien investieren könne, ohne Gewissheit über künftige Aufträge zu haben.
Dies würde zudem verhindern, dass deutsche Soldaten mit veralteten Waffen herumlaufen. "Die Schwäche in der Vergangenheit war immer, dass Ersatz erst dann beschafft wurde, wenn die vorhandenen Waffen praktisch nicht mehr vorhanden oder kaputt waren", sagte Pistorius. "Wir brauchen ein System, das sich durch kontinuierliche Lieferungen über viele Jahre hinweg erneuert, sodass die Zahl der einsatzfähigen Panzer immer gleich bleibt."
Auch diese Aussage zeugt von Pistorius' Unverständnis – in diesem Fall, was die Dynamiken der Kriegsführung betrifft. Selbst ein fabrikneues Waffensystem kann auf dem Schlachtfeld von heute schon hoffnungslos veraltet sein. Der Krieg, den die NATO in der Ukraine gegen Russland führt, stellt das eindrucksvoll unter Beweis.
Man denke etwa an die türkische Drohne Bayraktar TB2, die 2020 entscheidend für den Sieg Aserbaidschans gegen Armenien im Konflikt um Bergkarabach war. Zu Beginn der Eskalation des Konflikts mit Russland im Februar 2022 gab es in Kiew und im Westen einen regelrechten Hype um die türkische Drohne. Sie wurde als "Gamechanger" gepriesen, das ukrainische Militär wollte ihr mit einem Musikvideo ein Denkmal setzen. Doch statt eines Denkmals galt es schon bald ein Grabmal für die Drohne zu errichten, die von Russland erfolgreich neutralisiert wurde.
Wer deshalb vor drei Jahren den Abgesang auf Drohnen auf dem modernen Schlachtfeld angestimmt hätte, sähe sich heute freilich eines Besseren belehrt. Aber möglicherweise spielen Drohnen schon in drei Jahren aufgrund neuer Entwicklungen bei ihrer Abwehr keine große Rolle mehr auf dem Schlachtfeld.
Angesichts der Dynamiken auf dem modernen Schlachtfeld sind langfristige Verträge mit Abnahmeverpflichtungen zwar gut für die Rüstungsindustrie, aber schlecht für eine Armee, die sich den Bedürfnissen von heute und nicht denen von gestern stellen muss.
Es ist ein Dilemma, das Pistorius nicht zu erkennen vermag: Eine wie in Deutschland privatwirtschaftlich organisierte Rüstungsindustrie produziert Waffen, um damit Profit zu machen. Eine staatlich organisierte Rüstungsindustrie wie in Russland oder China produziert Waffen, um damit Kriege führen zu können.
Würde Pistorius etwas von seinem Handwerk verstehen, würde er dieses Dilemma nicht nur erkennen, sondern auch angehen – anstatt sich über die Beschwerden der Rüstungsindustrie zu beschweren.
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