Wirtschaftspolitik: Der Fluch namens "Lohnabstandsgebot"
Die sozial- und wirtschaftspolitische Debatte in Deutschland leidet unter einem Begriff: "Lohnabstandsgebot". In den letzten Tagen haben sich eine ganze Reihe Zeitungen in Deutschland zu diesem Thema geäußert und vor allem die Behauptung aufgestellt, Beschäftigte in Reinigungsfirmen würden reihenweise kündigen, weil das Bürgergeld zu hoch sei.
Merkur und FAZ beziehen sich auf eine Umfrage unter Gebäudereinigungsunternehmen, wonach bereits 28,4 Prozent der Unternehmen erlebt hätten, dass Beschäftigte unter Verweis auf das Bürgergeld kündigten. Was den Bundesinnungsmeister Thomas Dietrich sofort zu der Aussage veranlasste, die "Balance zwischen Fordern und Fördern sowie sozialem Ausgleich und Anreiz zur Arbeit" dürfe nicht verloren gehen.
Der Tariflohn für ungelernte Kräfte – und das ist die überwiegende Mehrzahl – liegt ab 1. Januar bei 13,50 Euro pro Stunde, brutto. Der gesetzliche Mindestlohn liegt um 1,10 Euro darunter. Das Problem liegt aber, bei Betrachtung der wirtschaftlichen Zusammenhänge, mitnichten bei einem zu hohen Bürgergeld. Gebäudereinigung ist eine Tätigkeit, die vor allem in der Großstadt benötigt wird; in vielen deutschen Städten sind allerdings die Mieten so hoch, dass ein solcher Tariflohn kein Einkommen erzeugt, das zum Leben reicht.
Und Gebäudereinigung ist kein normales Putzen. In den meisten Fällen ist es Akkordarbeit, was zusätzlich bedeutet, dass in vielen Fällen gar nicht der volle Lohn ausgezahlt wird. Die Norm für die Reinigung des Klassenzimmers einer Schule lag schon vor zehn Jahren in München beispielsweise bei drei Minuten. In allen öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern und Bürohäusern gibt es derartige Normen.
Das erwähnen die Vertreter der Unternehmen wohlweislich nicht. Auch andere Branchen, die sich über Arbeitskräftemangel beklagen, wie beispielsweise die Bahn und viele weitere Verkehrsunternehmen, ziehen nicht den Schluss, dass das Lohnniveau einfach zu niedrig sein könnte.
Auslöser für die Veröffentlichung der Umfrage bei den Gebäudereinigungsfirmen ist ein neuer Ansatz zu einer stärkeren Erhöhung des Mindestlohns, der gerade von SPD und Grünen lanciert wurde. Zielvorgabe des Mindestlohns müssten, wie von der entsprechenden EU-Richtlinie vorgegeben, 60 Prozent des Medianeinkommens sein; das wären 14,12 Euro pro Stunde.
Dazu muss man wissen, dass nach einheitlicher Definition der OECD jemand, der weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens bezieht, arm ist. Was gleichzeitig bedeutet, dass derzeit weder das Niveau des Mindestlohns noch das Niveau des Bürgergelds vor Armut bewahren. Die Frage der Mieten in den Metropolen ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.
Die Exporte, die dem einstmaligen Exportweltmeister Deutschland gerade wegbrechen, können eigentlich nur durch eine höhere Binnennachfrage ersetzt werden. Und die größte Nachfragewirkung hat bekanntlich eine Anhebung der unteren Einkommen, gleich, ob Renten, Bürgergeld oder Niedriglöhne, weil die unteren Einkommen dieses höhere Einkommen tatsächlich ausgeben und nicht sparen. Volkswirtschaftlich wäre es also ein Gebot der Vernunft, endlich dafür zu sorgen, dass man mit dem Bürgergeld wirklich über die Runden kommt und auch von einfacher Arbeit tatsächlich leben und nicht nur vegetieren kann.
CDU-Chef Friedrich Merz jedoch betont wieder ein "Problem mit dem Lohnabstandsgebot", und die FDP will Arbeitsanreize für Sozialleistungsbezieher, allerdings ohne damit wirklich ausreichende Löhne zu meinen. Wohl wissend, dass es viele Branchen in Deutschland gibt, unter anderem die Pflegeberufe, in denen die Verbindung aus hoher Arbeitsbelastung und schlechter Bezahlung mittlerweile zu einer echten Krise geführt hat.
Selbst ein einfacher Blick über die Grenzen zeigt, wie extrem die deutschen Niedriglöhne sind. Pflegekräfte verdienen im Nachbarland Luxemburg das Doppelte. Ausgebildete Lokomotivführer verabschieden sich aus demselben Grund in die Schweiz. Das extremste Beispiel lieferten aber jüngst die UPS-Fahrer in den USA, die einen Tarifvertrag abschlossen, nach dem ihr Jahreseinkommen in den nächsten zwei Jahren auf 156.000 Euro steigen wird. In Deutschland werden für die gleiche Tätigkeit bei der gleichen Firma gerade 38.000 Euro im Jahr bezahlt. Brutto.
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