Deutschland

Teilprivatisierung des Höchstspannungsnetzes: Baden-Württemberg wagt umstrittenes Experiment

Das Land Baden-Württemberg will knapp 50 Prozent des landeseigenen Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW verkaufen. Das Bieterverfahren läuft bereits. Für den Teilverkauf des zur kritischen Infrastruktur zählenden Netzes hagelt es Kritik. Denn das Land ignoriert die neuen sicherheitspolitischen Realitäten.
Teilprivatisierung des Höchstspannungsnetzes: Baden-Württemberg wagt umstrittenes ExperimentQuelle: www.globallookpress.com © www.imago-images.de

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen) verfolgt Berichten zufolge einen umstrittenen Plan. Mitten in der Energiekrise soll das über 3.000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz von TransnetBW zu 49,9 Prozent privatisiert werden, wie die ARD berichtet. TransnetBW, eine hundertprozentige Tochterfirma der EnBW, ist in Baden-Württemberg zuständig für die überregionale Starkstrom-Verteilung. Dazu betreibt das Unternehmen ein landesweites Netz von Höchstspannungsleitungen mit insgesamt rund 3.200 Kilometern Länge und stellt eine von insgesamt vier Übertragungsnetz-Regionen in Deutschland dar.

Über Teile dieser zur kritischen Infrastruktur gehörenden "Stromautobahnen" wird beispielsweise aus Windenergie gewonnener Strom aus Norddeutschland im Süden des Landes transportiert. Doch der von dem Grünen-Politiker anvisierte Teilverkauf ist höchst umstritten und steht überdies im Widerspruch zum Bundestags-Wahlprogramm seiner eigenen Partei. Darin heißt es: "Da Stromübertragungsnetze natürliche Monopole und kritische Infrastruktur darstellen, wollen wir den öffentlichen Einfluss darauf stärken." Entgegen den Plänen von Bayaz wollten Die Grünen den staatlichen Anteil an den vier Übertragungsnetzbetreibern nämlich eigentlich noch "erhöhen", statt ihn zu senken. Auch sollten die Netze nach Ansicht dieser Partei in eine Bundesnetzgesellschaft in Bundeshand überführt werden.

Obwohl die vier großen Stromübertragungsnetz-Regionen für Deutschland von zentraler Bedeutung sind, sind sie mitnichten frei von staatlicher (allerdings nicht deutscher) Beteiligung. So gehört der Mehrheitsaktionär im ostdeutschen Netzbetreiber 50Hertz Transmission, die Elia System Operator beispielsweise knapp zur Hälfte belgischen Kommunen. Auch der Eigentümer des größten deutschen Netzgebietes befindet sich komplett in ausländischer Hand. Betreiber ist der Energiekonzern TenneT TSO, eine deutsche Tochtergesellschaft des Staatskonzerns TenneT Holding der Niederlande. Lediglich das Netz der TransnetBW befindet sich bislang noch zu 100 Prozent in deutschem Besitz, da sowohl die TransnetBW als auch der Mutterkonzern EnBW dem Land Baden-Württemberg und seinen Kommunen gehören. Doch ausgerechnet auch dieses Filetstück steht jetzt teilweise zum Verkauf.

Zwei Anteile von je 24,95 Prozent von TransnetBW will das Bundesland verkaufen, also insgesamt 49,9 Prozent. Das Bieterverfahren läuft bereits. Potentielle Käufer gibt es derweil genügend. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, sollen sowohl die Investmentgesellschaft BlackRock als auch die Allianz, aber auch Sparkassenverbände und weitere Fonds ihr Interesse an dem Kauf der sich noch in kommunaler Hand befindlichen TransnetBW-Anteile bekundet haben.

Das durch den Teilverkauf zu erwartende frische Kapital möchte die EnBW den Angaben zufolge für weitere Investitionen in die Energiewende nutzen. Erwartet werden demnach Erlöse jenseits einer Milliarde Euro. Während der Verkauf des zur kritischen Infrastruktur zählenden Netzes für Deutschland selbst einen weiteren Schritt in die Unsicherheit bedeutet, stellt die Beteiligung an einem solchen Übertragungsnetz für private Anleger hingegen ein äußerst lukratives Unterfangen dar. Denn mit dem Kauf tätigen sie eine absolut risikolose Investition, die zudem mit einer garantierten Rendite einhergeht.

Verkauf sorgt für Kritik

Doch der bedenkenlose Ausverkauf der deutschen Leitungsmonopole sorgt nicht nur für Furore. Insbesondere zwei globale Trends, deren Dynamik nach Ansicht vieler Experten noch immer unterschätzt wird, könnten später einmal dafür verantwortlich sein, dass das Land Baden-Württemberg den Verkauf bitter bereuen wird: Eine tiefgehende Digitalisierung der Stromversorgung, mit der eine ungeahnte Verletzbarkeit der Energie-Infrastruktur durch Hacker-Angriffe einhergeht. Hinzu kommt eine generelle Abkühlung internationaler Beziehungen, die bei fast allen großen Wirtschaftsmächten von einer Rückkehr zum Wirtschaftsnationalismus begleitet wird.

Angesichts der mit dem Verkauf einhergehenden Gefahren hält Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die geplante Teilprivatisierung von TransnetBW für falsch: "Gerade in Krisen- und Kriegszeiten ist es keine gute Idee, kritische Infrastruktur nicht mehr komplett in staatlicher Hand zu haben", erklärte sie im Gespräch mit der ARD. Stattdessen sollte der Staat das für den Netzausbau benötigte Kapital selbst aufbringen, durch Bürgschaften, Eigenkapitalerhöhungen oder Anteilsübernahmen.

Auch in Baden-Württemberg ließe sich die Kreditaufnahme für den Anteil an TransnetBW mit der Schuldenbremse problemlos vereinbaren, sagt der Frankfurter Verfassungsrechtler Georg Hermes. Dies sei möglich, da der Erwerb von Anteilen wie bei TransnetBW im Allgemeinen als "finanzielle Transaktion" gilt, die mit einer Vergrößerung des staatlichen Vermögens einhergeht. Rein rechtlich gesehen dürfte Bayaz den zum Kauf der Anteile benötigten Kredit trotz Schuldenbremse somit aufnehmen.

Anstelle einer Teilprivatisierung empfiehlt auch der Infrastrukturexperte Thorsten Beckers, Leiter des Lehrstuhls für Infrastrukturwirtschaft an der Bauhaus-Universität in Weimar, eine derartige Kapitalbereitstellung aus öffentlicher Hand. Wenn das Land Baden-Württemberg die zum Verkauf stehenden TransnetBW-Anteile selbst übernehmen würde, so Beckers, könnte das Land die Erlöse, die die jährlichen Finanzierungskosten eindeutig übersteigen, als Gewinn im Haushalt verbuchen. So würden sie nicht in den Taschen privater Investoren landen.

"Wenn das Land Baden-Württemberg anstelle privater Investoren einen Kaufpreis von 1,5 Milliarden Euro zahlen würde und man den staatlichen Finanzierungsvorteil auf 1,5 Prozent schätzt, dann würden jedes Jahr 22,5 Millionen Euro in den Landeshaushalt fließen", erläuterte der Ökonom. Mit diesem Geld könne man einige Schulen sanieren und Kindergärten bauen, so Beckers. "Flapsig formuliert stellt sich die Frage: Will oder kann der grüne Finanzminister Bayaz nicht rechnen?" Weshalb das Land Baden-Württemberg trotz solcher Aussichten dennoch nicht als Anteilseigner einsteigen will, beantwortete das Finanzministerium auf ARD-Anfrage allerdings nicht. Das Ministerium erklärte lediglich, dass man für den Ausbau der Erneuerbaren Energien privates Kapital benötige:

"Der Staat alleine wird diese und weitere notwendigen Investitionen nicht stemmen können."

Verkauf birgt Gefahren für die kritische Infrastruktur Deutschlands

Zwar beteuerte die EnBW mehrfach, dass Anleger keinerlei Einfluss auf Entscheidungen des zu Deutschland kritischer Infrastruktur gehörenden Unternehmens nehmen könnten. Kritiker hingegen befürchten jedoch, dass bei einem späteren etwaigen Weiterverkauf die öffentliche Hand die Kontrolle verlieren könnte. Bedenken, denen das in Baden-Württemberg "grün" geführte Finanzministerium entschieden widerspricht. Mehrheit und Kontrolle liege weiterhin bei der EnBW, das Geschäft sei "hoch reguliert durch die Bundesnetzagentur", beschwichtigte die Behörde auf Anfrage der ARD.

Laut Beckers bestehe allerdings die Gefahr, dass private Anteilseigner die Unternehmen drängen könnten, die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde zu "beschummeln", um so höhere Renditen zu erwirtschaften – ähnlich wie es in den USA der Fall ist. Das Land leidet unter ständigen Stromausfällen, die jahrelangem Missmanagement und Gewinngier privater Energieunternehmen zu schulden sind. Anders als in Deutschland, liegt die Stromversorgung der Vereinigten Staaten nämlich komplett in Besitz privater Unternehmen, die sich zudem vehement gegen zunehmend notwendiger werdende Investitionen in das veraltete amerikanische Energienetz sträuben, um ihre Gewinnziele nicht zu gefährden. Wenn dann doch mal Geld in die Hand genommen wird, geschieht dies oftmals auf Kosten der Verbraucher. 

Sollte der Ausverkauf des Stromnetzes auch hierzulande weitergehen, drohe Deutschland ein ähnliches Schicksal, befürchtet der Ökonom Uwe Leprich von der saarländischen Hochschule für Technik und Wirtschaft. Obwohl der Netzbereich reguliert sei, könnten private Anleger die Regulierung "häufig austricksen". Das Interesse der Investoren liege zumeist darin, den Netzausbau möglichst teuer zu machen, denn für jeden Netzausbau, den die Bundesnetzagentur genehmige, winke eine garantierte Verzinsung auf das in den Netzausbau investierte Kapital. Für Verbraucher und Industrie bedeute das lediglich eines: steigende Kosten. Selbst habe er oft genug erlebt, wie private Investoren im Aufsichtsrat die Geschäftsleitung in eine bestimmte Richtung drängen, mahnte der Ökonom – und zwar auch schon mit einer Beteiligung von lediglich zehn Prozent.

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine wächst hierzulande zudem die Angst, Energieversorger und Stromnetze könnten nicht nur aufgrund von Energieknappheit und hoher Auslastung in Bedrängnis kommen, sondern auch zum Opfer gezielter Cyberangriffe werden. Als einer der vier größten Betreiber von Übertragungsnetzen wäre TransnetBW ein solches potenzielles Anschlagsziel. Angesichts des anstehenden Teilverkaufs des EnBW-Tochterunternehmens muss man sich um die Sicherheit der kritischen Infrastruktur somit größte Sorgen machen. Schließlich ist auch der in Baden-Württemberg ansässige Netzbetreiber involviert, wenn Bundesinnenministerium, Nachrichtendienste und andere Sicherheitsbehörden gemeinsam geheime Notfallpläne für den Fall eines Hackerangriffs oder Strom-Blackouts erstellen.

Erst kürzlich warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) in der Ende Oktober erschienenen Publikation "Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2022" davor, dass kritische Infrastrukturen für "staatliche Cyber-Angriffe" zu interessanten Zielen werden könnten. Insgesamt sei Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Ländern zwar bislang noch glimpflich davongekommen. Die Hacker-Angriffe auf mehrere deutsche Kommunalverwaltungen oder die Sabotage bei der Deutschen Bahn, die am 8. Oktober den Zugverkehr in Norddeutschland lahmlegte, zeigen allerdings, wie nahe die Bedrohung auch hierzulande ist – insbesondere dann, wenn möglicherweise Deutschland nicht wohlgesonnene Anleger durch den Kauf von TransnetBW-Anteilen Einblick in die Notfallpläne des Bundes erhalten könnten.

Da ist allerdings eine Gefahr, die TransnetBW ebenfalls nicht sonderlich ernst nimmt. Die Beurteilung, wie ernst die Gefährdungslage ist, sei weder Aufgabe noch liege sie Kompetenz eines Netzbetreibers, sondern "der zuständigen Behörden, mit denen wir in direktem Austausch stehen", erklärte eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber der Esslinger Zeitung und beschwichtigte zugleich technisch: "Wir kontrollieren und bewerten die Sicherheit unserer Anlagen regelmäßig. Dabei arbeiten wir mit Experten für IT-Security, Objekt- und Sabotageschutz zusammen". TransnetBW selbst lege nach Angaben der Sprecherin größten Wert auf ein "hohes Sicherheitsniveau", das auch den "bestmöglichen Schutz unserer Systeme" beinhalte. Dazu gehöre, so die Sprecherin, "dass wir grundsätzlich keine Angaben zu den von uns ergriffenen Sicherheitsvorkehrungen machen".

Das BSI hatte in diesem Zusammenhang erst kürzlich darauf hingewiesen, dass "deutsche Unternehmen aus der Energiewirtschaft Ziel einer groß angelegten Cyber-Angriffskampagne sind". Zwar seien die Hacker noch nicht in die Steuerungssoftware von Kraftwerken und Netzsystemen vorgedrungen. Doch habe sich "die Bedrohungslage im Cyberraum in den vergangenen Monaten deutlich zugespitzt, und es gibt keinen Grund, dass sie sich entspannen wird". Es sei "womöglich nur eine Frage der Zeit, bis kritische Systeme erfolgreich angegriffen werden können".

Mehr zum Thema - Mythen und Realitäten der Energiewende – auch in Südamerika

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.