Deutschland

Kritik an Lauterbach: Wirbt ohne Absprachen mit STIKO für vierte Corona-Impfung ab 60 Jahren

Bei Beratungen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel warb der deutsche Gesundheitsminister für eine vierte Impfung bei Bürgern ab dem 60. Lebensjahr. Die STIKO und Politiker in Deutschland reagieren irritiert, da dieser Vorschlag einen Alleingang ohne Rücksprachen darstellt.
Kritik an Lauterbach: Wirbt ohne Absprachen mit STIKO für vierte Corona-Impfung ab 60 Jahren© picture alliance / Kontributor

Am 26. März 2022 warb der deutsche Gesundheitsminister auf einem Meeting mit seinen europäischen Kollegen in Brüssel nachdrücklich für eine vierte Impfung. Auf der englischsprachigen Seite der Deutschen Welle (DW) heißt es dazu:

"Der deutsche Gesundheitsminister hat am Dienstag seine EU-Kollegen aufgefordert, eine vierte COVID-19-Impfung – oder eine zweite Auffrischungsimpfung – für Menschen über 60 Jahre zu unterstützen."

Lauterbach warnte demnach außerdem davor, erst noch auf einen von den Herstellerfirmen an neue Virusvarianten angepassten Impfstoff zu warten. Die benötigte Entwicklung "verzögere sich". "Die angepassten Impfstoffe erwarte ich für später", so der Minister in Brüssel. Die Aufforderung erfolgte nach Medienangaben ohne Rücksprache mit der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI), die sich auch weiterhin zu dieser Frage noch nicht geäußert hat, wie das am 31. März veröffentlichte neue  Epidemiologische Bulletin 13/2022  belegt. Die Begriffe "vierte Impfung" oder "zweite Booster-Impfung/zweite Auffrischungsimpfung" – auch für Menschen ab dem 60. Lebensjahr – sind auf den 36 Seiten nicht zu finden. Der CDU-Gesundheitsexperte Tino Sorge veröffentlichte seine Irritation über Lauterbachs Alleingang in Brüssel beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit den Worten:

"Minister Lauterbach treibt in Brüssel die Viertimpfung voran, während er in Berlin noch auf die neue STIKO-Empfehlung wartet."

Als für ihn persönlich wesentliches Argument formulierte Lauterbach die Möglichkeit einer "Reduzierung der Sterbezahlen in dieser Altersgruppe". Lauterbach wird mit den Worten zitiert:

"Die Situation in Europa ist, was die Pandemie betrifft, schlimmer, als man denkt. Wir haben sehr hohe Fallzahlen und leider auch sehr hohe Todesraten."

Im Januar hatte Lauterbach die Daten für eine vierte Impfung noch als "nicht überzeugend" kritisiert, es würden "belastbare Studiendaten, um eine klare Aussage und Empfehlung auszusprechen", noch fehlen. Die Berliner Morgenpost schrieb ebenfalls im Januar:

"Kommt eine vierte Corona-Impfung? Karl Lauterbach zeigt sich kritisch: Daten aus Israel würde dagegen sprechen."

"Jetzt aber sei Lauterbach plötzlich schneller als die Experten der STIKO", so der CDU-Gesundheitsexperte Sorge. Der Gesundheitsminister nutzt argumentativ eine aktuelle israelische Studie:

Lauterbach beruft sich auf Aussagen dieser Studie – die weiterhin erst nur als Preprint erschienen ist, also noch keine bei wissenschaftlich anspruchsvollen Studien übliche externe Begutachtung vorweisen kann –, die nach seiner Leseart nach belegen würden, dass Todesfälle von Teilnehmern "der vierfach geimpften Gruppe um 78 Prozent verringert" wurden, so Angaben der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster, wies jedoch darauf hin, dass die Ergebnisse, zwischen den dort verglichenen zwei Gruppen, bestehend aus drei- beziehungsweise vierfach Geimpften, sich nur unwesentlich unterscheiden würden. Förster erklärte gegenüber der dpa:

"Beide Gruppen haben bei Omikron ein sehr geringes Sterberisiko durch COVID-19. Die Angaben zur verringerten Sterblichkeit basierten daher auf relativ kleinen absoluten Zahlen. Bei den 60- bis 69-Jährigen zum Beispiel starben laut Preprint fünf der rund 111 800 vierfach Geimpften und 32 der rund 123 800 dreifach Geimpften."

Das Autorenteam der israelischen Studie habe zudem selbst darauf hingewiesen, sie könnten "nur auf eine relativ kurze Zeitspanne von 40 Tagen blicken. Bei der erfassten Todesursache COVID-19 in Krankenhäusern könnten zudem auch Fälle enthalten sein, in denen ein positiver Test ein Nebenbefund ist", so Förster weiter gegenüber der dpa. Unter Bezugnahme auf die Leiterin der Studie Professor Gili Regev-Yochay teilte die israelische Nachrichtenseite Ynet mit:

"Wir sehen einen bestimmten Anstieg der Antikörper, aber der Anstieg ist nicht sehr beeindruckend. Zumal hinzukomme, dass Personen schon kurz nach der vierten Impfung wieder auf dem gleichen Antikörper-Level seien wie kurz nach der dritten Dosis. Regev habe sich von einer zweiten Booster-Impfung mehr erhofft."

Eine vierte Coronaimpfung schütze daher "nicht ausreichend gegen die Omikron-Variante". Man beobachte auch bei vierfach Geimpften Ansteckungen, so Regev-Yochay vom Chaim Sheba Medical Center bei Tel Aviv. Regev-Yochay betonte, es handele sich um Zwischener­gebnisse der Studie, sie wolle daher auch keine genaueren Zahlen nennen.

Für die STIKO gilt weiterhin die Empfehlung einer vierten Impfung lediglich "für besonders stark gefährdete Gruppen und für Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich, sowie bei über 70-Jährigen, Bewohnern von Altenheimen und Menschen mit Immunschwächekrankheiten ab fünf Jahren." Von den "13,5 Millionen Menschen über 70 Jahren sowie von den Menschen mit Immundefekt" sind bisher in Deutschland "weniger als zehn Prozent ein viertes Mal geimpft". STIKO-Chef Thomas Mertens erläuterte laut dpa, dass "die Frage der vierten Dosis sich nicht ausschließlich am Alter der Impflinge festmachen ließe", und er sagt weiter:

"Anhand bisher verfügbarer Daten kann man aber sagen, dass der zweite Booster offenbar nur bedingt vor Infektion schützt, aber schwere Verläufe in Risikogruppen reduzieren kann."

Mehrere von der dpa angefragte Fachleute reagierten demnach zurückhaltend und werten "die bisherige Datenlage als dünn". Ein weiteres Problem stellt zudem die Tatsache dar, dass die verwendeten bekannten COVID-Impfstoffe weiterhin nicht auf die aktuelle Omikron-Variante, inklusive des Subtyps, ausgerichtet sind. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie Carsten Watzl sah zu Jahresbeginn "wenig Nutzen" in einer vierten Impfung, "jedenfalls in der momentanen Situation und mit den aktuellen Impfstoffen". BioNTech/Pfizer wie auch der Konzern Moderna hätten aber "bereits mit den ersten klinischen Studien zur Untersuchung eines angepassten Impfstoffs begonnen", so lauten Informationen der Tagesschau.

"Bereits im März könnte eine auf die neu aufgetauchte Virusvariante zugeschnittene Version bereitstehen, kündigten BioNTech/Pfizer laut Medienangaben am 11. Januar an. So heißt es: "Das Mainzer Pharmaunternehmen BioNTech habe mit der Produktion eines an die Omikron-Variante angepassten Corona-Impfstoffs für eine spätere kommerzielle Nutzung begonnen. Ende Januar werde eine klinische Studie zu dem Impfstoff beginnen." Die Bundesregierung hatte bereits im Dezember des letzten Jahres vorab bei BioNTech weitere 80 Millionen Impfdosen bestellt.

Das ZDF informiert in einem Beitrag vom 23. März zu diesem Thema: "Die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) habe unter anderem klinische Studiendaten (bei BioNTech) angefragt, die erst Ende April oder Anfang Mai vorliegen werden. Eine Zulassung des Omikron-Impfstoffes kann also über den Mai hinaus dauern." Diese Realitäten sind auch dem Gesundheitsminister bekannt. Der Spiegel erläutert in einem Artikel vom 29. März: "Entwicklung der an Varianten angepassten Impfstoffe verzögert sich". Demnach hätte der Gesundheitsminister aktuell zugeben müssen, dass es "derzeit viel Impfstoff in Europa gebe, der nirgendwo fehle". Lauterbach wird mit der Erkenntnis zitiert:

"Somit müssen wir befürchten, dass in Europa Impfstoff vernichtet werden muss."

Die Entwicklung von Impfstoffen, die auch bei aktuellen wie neuen Coronavirus-Varianten angepasst seien, "verzögere sich seiner Kenntnis nach". Und weiter:

"Er rechne im Herbst, womöglich im September, mit den neuen Impfstoffen."

Für die unter-60-jährigen Menschen in Deutschland könne "die vierte Dosis dagegen nicht empfohlen werden, weil es dazu keine Daten gebe", bezieht sich der Spiegel-Artikel auf Lauterbach.

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