Deutschland

"Riesenschweinerei" – Hamburger Opposition sieht Verwicklung von Scholz in Cum-Ex-Skandal

Als Bundesfinanzminister verurteilte Olaf Scholz den Cum-Ex Steuerraub scharf. Dass er selbst als Hamburger Bürgermeister involviert war, als der Warburg-Bank 47 Millionen erlassen wurden, hat er bestritten. Doch nach Ansicht der Hamburger Opposition zeugt ein Dokument vom Gegenteil.
"Riesenschweinerei" – Hamburger Opposition sieht Verwicklung von Scholz in Cum-Ex-SkandalQuelle: Reuters

Soeben erst befindet sich die SPD im Höhenflug, nachdem die Partei nicht nur aus dem Umfragetief herausgekommen, sondern gar an der Union vorbeigerauscht ist beziehungsweise gleichauf lag, wie es in dieser Woche hieß. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte dieses Hoch zuletzt im ntv Frühstart auch damit, dass Kanzlerkandidat Olaf Scholz sich – anders als CDU-Kandidat Armin Laschet oder die Kandidatin der Grünen Annalena Baerbock – nicht ständig für eigene Fehler rechtfertigen müsse, sondern ihm vieles gelinge, er gar global für Steuergerechtigkeit sorge, indem er die Finanztransaktionssteuer durchgesetzt hatte.

Doch könnte nun, etwas näher vor der "eigenen Haustür", ein Skandal zum Thema Steuerungerechtigkeit dem Kanzlerkandidaten der SPD und Bundesfinanzminister auf die Füße fallen. Denn während sich Scholz keines Fehlverhaltens in der Cum-Ex-Affäre erinnern konnte, haben Abgeordnete in Hamburg interne Dokumente in einen Untersuchungsausschuss gebracht, die auch Scholz als ehemaligen Bürgermeister belasten könnten.

Davon berichten der Spiegel und das Manager Magazin unter Berufung auf die Papiere. Immerhin war Cum-Ex die größte Steuerabzocke in der deutschen Geschichte, bei der Banken und Investoren den Fiskus um Milliardenbeträge betrogen haben, indem sie sich nie gezahlte Steuern erstatten ließen und so für die Steuerzahler einen massiven Schaden anrichteten, der auf etwa zwölf Milliarden Euro geschätzt wird. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit und Transparency Deutschland nannten es einen "organisierten Griff in die Staatskasse".

Bundesfinanzminister Scholz verurteilte diese Machenschaften bereits Ende 2019 aufs Schärfste
 als "frech, dreist, verachtenswert" und "Riesenschweinerei". Nach der Verurteilung zweier britischer Aktienhändler durch den Bundesgerichtshof (BGH) Ende Juli sprach der Vizekanzler von einem "wirklich großen Tag". Die Entscheidung des obersten Gerichts sei "eine harte Grundlage" dafür, "dass sich der Staat das Geld zurückholt, und auch, dass ganz viele von den Staatsanwaltschaften in Deutschland angeklagt werden", sagte Scholz noch vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung der Zeitschrift Brigitte.

Auch wiederholte Scholz, im Zusammenhang mit der wegen Cum-Ex-Geschäften verurteilten Hamburger Warburg-Bank habe es keine politische Einflussnahme auf die Finanzbehörden der Hansestadt gegeben. Er selbst war damals Hamburger Bürgermeister und eine große Hamburger Bank in den Skandal verwickelt gewesen.

Während einige Banken seit Bekanntwerden des Skandals unrechtmäßig erhaltenen Steuererstattungen zurückgezahlt haben, blieb dem renommierten Hamburger Bankhaus M.M.Warburg & CO dies für eine Summe in Höhe von 47 Millionen Euro erspart – die die Bank unrechtmäßig erhalten hatte. Das Finanzamt Hamburg hat auf Rückforderung der Millionensumme verzichtet, und das, obwohl die Staatsanwaltschaft Köln sowie die Finanzaufsicht bereits gegen die Hamburger Warburg-Bank ermittelt hatten.

Im Jahr 2017 wollte Hamburg erneut eine Forderung über weitere 43 Millionen Euro verjähren lassen, was erst durch eine Weisung des Bundesfinanzministeriums nicht geschah. Die Frage, warum auf die Erstattung der unrechtmäßig an die Bank geflossene Millionensumme verzichtet worden war, wurde nach Ansicht vieler Hamburger bisher unzureichend geklärt.

Sowohl der damalige Erste Bürgermeister Scholz als auch der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) wiesen den Verdacht der politischen Einflussnahme von sich und beriefen sich auf Erinnerungslücken, durch die Treffen mit Vertretern des Hamburger Bankhauses oder auch die Inhalte der Gespräche bei solchen Treffen nicht mehr abrufbar waren. Zu früheren Terminen zwecks Aufklärung wie der Sondersitzung des Haushaltsausschusses war Tschentscher, aktuell Erster Bürgermeister Hamburgs, nicht erschienen. Deshalb haben die Hamburger CDU-Fraktion, die Linksfraktion und die Abgeordnete der FDP weitere Aufklärung gefordert, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sollte unter anderem klären, inwieweit "Senatsmitglieder und Mandatsträger, direkt oder indirekt Einfluss auf die Steuerverwaltung in Hamburg genommen haben".

Unter den Dokumenten, die der Aufklärung dienlich sein sollen, ist auch ein Schreiben vom 5. Oktober 2016, in dem die Chefin des Hamburger Finanzamtes darlegt, dass man Cum-Ex-Gelder in Höhe von 47 Millionen Euro allein für das Jahr 2009 von dem Bankhaus Warburg bis Ende desselben Jahres zurückfordern wolle, da dies sonst verjähre. Doch das Finanzministerium Hamburgs unter Tschentscher, deren Zustimmung mit dem Schreiben erbeten worden war, lehnte die Rückerstattung ab. Nachdem die Bankeigentümer Christian Olearius und Max Warbung von dem Vorhaben des Finanzamtes erfahren hatten, sprachen sie beim Ersten Bürgermeister persönlich vor.

Scholz nahm den Standpunkt der Banker in Form eines siebenseitigen Schreibens entgegen, wie der Spiegel berichtet. Kurz darauf habe er ihnen demnach, in einem Telefonat, das Scholz sich auch im Kalender vermerkt hatte, geraten, es kommentarlos an Finanzsenator Tschentscher zu schicken. Auf Frage im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu diesen Vorgängen behauptete Scholz, er habe den – bereits beschrittenen – Dienstweg beschreiten wollen. Auf die Frage des Grünen-Abgeordneten Till Steffen, warum Scholz den Banker an den Finanzsenator verwiesen habe, der darin keinen Handlungsspielraum hatte, hat Scholz laut Spiegel mit den Schultern gezuckt.

Olearius, Teil der Hamburger Prominenz, hatte das Schreiben direkt an Tschentscher geschickt, der es wiederum an die Beamten sendete, die sich um die Rückerstattung bemüht hatten. Wie sich im Untersuchungsausschuss zeigte, sind mehrere Passagen grün gekennzeichnet und mit Kommentaren versehen, die die Forderungen und Argumente der Bank aufgriffen, unter anderem deren Existenzgefährdung. Nach einem weiteren Treffen in der Finanzbehörde mit den beiden pflichtbewussten Mitarbeiterinnen des Finanzamtes Mitte November hieß es, das Geld solle nicht zurückgefordert werden.

Auch im Protokoll dieses zweistündigen Treffens wurden laut Spiegel die gleichen zuvor grün gekennzeichneten Bemerkungen angeführt, also die Argumente der Warburg-Bank.

Für den Hamburger Linken-Obmann Norbert Hackbusch scheint klar, "dass es eine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen der Finanzbehörde und des Finanzamtes gegeben" habe. Ähnlich sieht es CDU-Obmann Richard Seelmaecker, der meint, Tschentscher und Scholz hätten "die Richtung für eine Entscheidung" in der Causa Warburg vorgegeben. Denn durch "die Unterstreichungen hat der Finanzsenator seinen Beamten deutlich gemacht, dass er die Argumente der Bank teilt". Die Beamten hätten dies als Anweisung verstehen müssen, gegen die sie nicht aktiv werden durften. Das bekräftigt auch der ehemalige Behördenchef Steffen:

"Wenn in einer Behörde an einem Schriftstück etwas mit grüner Tinte angemerkt oder auch nur markiert ist, stehen alle stramm."

Gemäß dem Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft Thomas Eigenthaler bedeutet eine grüne Gesprächsbitte besonders in prominenten Fällen das Signal, nicht mehr selbstständig zu entscheiden, sondern sich mit oben abzustimmen. Allerdings gibt es unterschiedliche Grüntöne, und nur die Anmerkungen auf der ersten Seite tragen das Kürzel von Ex-Finanzsenator Tschentscher. Die Finanzbehörde hat derweil den Berichten um das Dokument widersprochen und mitgeteilt, dass es sich um reine Textmarker-Unterstreichungen handele.

Seelmaecker widerspricht dem, weil auf Schriftstücken einzig der Senator mit grünem Stift schreiben und auch markieren dürfe. Auch Hackbusch macht klar, dass grüne Tinte nur dem Finanzsenator vorbehalten ist und "in einer streng hierarchisch organisierten Bürokratie Zeichen höchster Priorität".

Der Finanzexperte der Linken Fabio De Masi, der dem Deutschen Bundestag für Hamburg angehört, kommentierte, dass er bereits geahnt habe, dass sich eine Art "Erklärung" seitens der Hamburger Behörden für die grüne Beschriftung finden werde.

Die Warburg-Bank musste nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs unrechtmäßig erhaltene Steuern für fünf Jahre zurückzahlen. Die Summe in Höhe von 176 Millionen Euro wurde fällig, weil in diesem Fall der Steuerhinterziehung eine Verjährung nicht gilt.

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