Seit Jahren driften weltweit die Vermögen jener, die es erarbeiten, und derer, die bereits viel haben, diametral auseinander. So ist laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Anteil der Arbeiter am globalen Einkommen in den letzten zwei Jahrzehnten "erheblich" gesunken, wie ein im Jahr 2019 erschienener Bericht aufzeigte. Die in 189 Ländern erhobenen Daten zeigten zudem, dass ein Anstieg der Spitzenarbeitseinkommen mit Verlusten für alle anderen verbunden ist.
Dass die soziale Spaltung in Deutschland "immer krasser" wird, zeigte sich schon vor Jahren, so beispielsweise im Jahr 2015, in dem das reichste Tausendstel ein Bruttoeinkommen von über 140.000 Euro im Monat erzielte, überwiegend, mit gut 117.000 Euro, durch Gewinne und Kapitaleinkommen. Doch die eklatanten Unterschiede spiegeln sich bisher nicht in einer ebenso unterschiedlichen Besteuerung wieder.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen ist bereits seit längerem offen für Maßnahmen gegen die Tendenz der stetig wachsenden Ungleichheit und befürwortet entsprechend angepasste Steuern. Schon 2019 waren 72 Prozent der Bundesbürger für eine von der SPD geforderte Abgabe auf Vermögen ab zwei Millionen Euro, nur 25 Prozent waren dagegen.
Mit der Corona-Krise kommen noch einmal immense Kosten auf Deutschland zu, auch durch die großzügigen Rettungspakete, welche Unternehmen erhielten, während die Hauptleidtragenden der Corona-Krise die Geringverdiener sind, die auch bereits an der Tendenz zum konzentrierteren Reichtum verloren haben, wie Ökonomen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem Bericht darlegten. Demnach gab es auch in Deutschland seit etwa 2004 erhebliche Ertragseinbußen in der mittleren und unteren Mittelklasse und hohe Gewinne an der Spitze.
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Und bei der Konzentration von Reichtum ist Deutschland selbst innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit 38 einkommensstarken Mitgliedsländern aktuell der Spitzenreiter. OECD-Ökonomin Sarah Perret betonte Anfang Juli bei der Vorstellung einer Studie, die dies belegt, dass das reichste Zehntel der Bevölkerung rund 60 Prozent des gesamten Vermögens hält, während das reichste ein Prozent noch über 20 Prozent des gesamtgesellschaftlichen Reichtums auf sich vereint, welches dann minimal besteuert an Erben weitergegeben wird.
Das vermeintliche "Schreckgespenst" Vermögensteuer ist keineswegs mehr ein abwegiges Nischenthema. Die sozio-ökonomische Spaltung hat immerhin Folgen für die gesamte Bevölkerung, während große Teile der Mittelschicht – nicht unbegründet – Angst vor einem sozialen Abstieg und Altersarmut haben.
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Aktuell sind rund zwei Drittel der Bundesbürger für höhere Steuern auf hohe Einkommen, wie eine repräsentative Umfrage von infratest dimap im Auftrag des ARD-Politikmagazins Kontraste zeigt. Demnach fänden es 67 Prozent der Befragten richtig, wenn Personen mit höherem Einkommen mehr Steuern zahlen würden. Nur fünf Prozent der Befragten würden eine Steuersenkung für höhere Einkommen bevorzugen, 24 Prozent wollen, dass die Steuerbelastung für diese Gruppe gleich bleibt.
Zu der Frage nach der Steuerbelastung mittlerer Einkommen antwortete knapp ein Drittel (29 Prozent), dass diese entlastet werden sollten, 65 Prozent der Befragten gaben an, dass für diese Gruppe die Steuern so bleiben sollten, wie sie sind, und drei Prozent meinen, sie sollten höher besteuert werden.
Ebenfalls 67 Prozent der Befragten waren auch dafür, Menschen mit niedrigen Einkommen zu entlasten. 30 Prozent meinen, die Steuerbelastung sollte gleich bleiben und nur ein Prozent wäre für eine Erhöhung. Etwa ein Drittel der Befragten findet, dass der Staat nach einer Steuerreform mehr Geld zur Verfügung haben sollte.
Die bisher oft angeführten Argumente gegen eine Besteuerung von Vermögen seien nicht ehrlich, wie der Wirtschaftsexperte und Professor für Staatsfinanzen, Achim Truger, jüngst in einem Beitrag im Handelsblatt ausführte.
Auch Superreiche selbst verlangen zunehmend eine fairere Besteuerung. Erst in dieser Woche bekräftigten die "Millionaires for Humanity" diese Forderung, ein Netzwerk von Multimillionären aus verschiedenen Ländern, welche eine systemische Veränderung durch gerechtere Besteuerung herbeiführen wollen, um so internationale Herausforderungen wie die wirtschaftliche Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie zu meistern. Zuvor hatten Journalisten von Pro Publica anhand von Steuerdokumenten enthüllt, dass ausgerechnet die Mega-Reichen in den USA verschwindend geringe Abgaben an den Staat leisten und mehrere Jahre auch mal gar keine Einkommenssteuern zahlten – darunter Namen wie Jeff Bezos, Elon Musk, Michael Bloomberg, Carl Icahn und George Soros.
Truger betont, dass insbesondere das reichste eine Prozent, das in der Einkommens- und Vermögensverteilung seit zwei Jahrzehnten "besonders starke Einkommensgewinne verzeichnet" und dazu noch "erheblich von Steuersenkungen profitiert", gezielt besteuert werden müsse, um die Ungleichverteilung wieder zu korrigieren. Die "Lobby der sogenannten Familienunternehmen – und ihre Fürsprecher" würden sich mit dem Einfluss, welcher ihr ökonomisches und politisches Kapital biete, zwar dagegen wehren. Doch während ein Teil der Argumentation gegen eine Besteuerung der Allerreichsten reine Diffamierung sei und eine weitere Reihe von Punkten berechtigt wäre, wenn diese nicht bereits in den meisten Vermögensteuerkonzepten gelindert würden, seien oftmals präsentierte Scheinalternativen zu der Vermögenssteuer unehrlich, da damit sowohl das Ziel der Besteuerung eben der Allerreichsten, wie auch die Möglichkeit, auf einfache Weise die Erträge für den Fiskus signifikant zu erhöhen , verfehlt würden.
Die massive Ungleichverteilung von Vermögen hierzulande kritisiert auch der Unternehmer Ralph Suikat, der selbst davon profitiert, nachdem er durch den Verkauf seiner Firmenanteile am Softwareunternehmen STP Informationstechnologie zum Millionär wurde. Diese Entwicklung sei auch auf die historisch gesehen vergleichsweise geringe aktuelle Besteuerung von Vermögen zurückzuführen:
"Als ich zusammen mit meinem Geschäftspartner 1993 unser Unternehmen gegründet hatte, lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Das war völlig okay und hat auch damals niemanden vom Gründen eines Unternehmens abgehalten."
Suikat prangert im Interview mit dem Handelsblatt an:
"Menschen, die sich mit ihrer Hände Arbeit abrackern, zahlen dadurch prozentual deutlich höhere Steuern als Vermögende, die lediglich ihr Geld arbeiten lassen. Das ist doch nicht gerecht."
Deswegen hat er den Appell "taxmenow" (etwa: "Besteuere mich jetzt") ins Leben gerufen, der sich 40 Millionäre aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angeschlossen haben, um zusammen eine höhere Besteuerung für sehr Reiche zu fordern.
Derzeit greift hierzulande der Spitzensteuersatz von 42 Prozent des zu versteuernden Einkommens bei knapp 58.000 Euro für Ledige. Der Höchstsatz, die sogenannte "Reichensteuer", von 45 Prozent setzt erst bei einem zu versteuernden Einkommen von knapp 275.000 Euro ein.
Am stärksten profitieren würden die Spitzenverdiener durch die Steuerpläne der AfD, wie eine Analyse aller Parteiprogramme durch das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befand. Während eine Alleinverdiener-Familie mit zwei Kindern bei einem Haushaltseinkommen von 40.000 Euro mit der AfD höchstens 21 Euro an Steuerersparnissen zu erwarten hätte, könnten Einkommen ab 300.000 Euro gut 42.000 Euro weniger Steuern zahlen.
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