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Chinas angebliche "heimliche Propagandisten" wehren sich gegen "Welt"-Vorwürfe

Eine auflagenstarke Zeitung hat einen ausführlichen Artikel über ein angebliches chinesisches Desinformationsnetzwerk, bei dem eine junge deutsche Studentin eine wichtige Rolle spielen soll, veröffentlicht. "RT DE" sprach mit der Studentin und untersuchte Dokumente, die Zweifel auf die "Welt"-Story werfen.
Chinas angebliche "heimliche Propagandisten" wehren sich gegen "Welt"-VorwürfeQuelle: www.globallookpress.com © Ju Peng/XinHua

Mitte Juni hat die Welt einen langen Artikel über ein angebliches ominöses Netzwerk chinesischer Propagandisten veröffentlicht. Es umfasse chinesische Diplomaten, westliche Lobbyisten und einige prochinesische Twitter-Aktivisten. Einige der Protagonisten würden "für ihre Dienste Geld" erhalten, andere dagegen seien auf der Suche nach "Status und Einfluss". Sie seien alle "Teil einer weltweiten medialen Propagandastrategie". Wer die Russlandberichterstattung westlicher Medien in den letzten Jahren aufmerksam verfolgt hat, wird hier eindeutige Parallelen zur Russland-Hysterie finden. 

Im Mittelpunkt des Welt-Artikels steht jedoch eine junge deutsche Studentin, Navina Heyden, die über keinerlei politische Ämter oder Einfluss in der Geschäftswelt verfügt. Die Welt interessierte sich für sie, weil sie über 35.000 Follower auf Twitter hat und dort ihre Meinungen über kontroverse Themen zu China teilt. Während die angebliche Rolle der chinesischen Diplomaten und der westlichen Lobbyisten im mutmaßlichen chinesischen Propagandanetzwerk nur relativ oberflächlich behandelt wird, hat die Welt-Redaktion Heyden und deren Umfeld scheinbar gründlich untersucht.

Die Zeitung erhebt offen oder suggeriert schwerwiegende Vorwürfe gegen Heyden. Während eines Gesprächs mit Welt-Journalisten soll sie ständig zu ihrem Lebenspartner, einem chinesischen Wissenschaftler, geschaut haben:

"Als das Gespräch schon eine halbe Stunde dauert, offenbart sie: Neben ihr sitzt ihr chinesischer Lebenspartner, hört zu und gibt ihr Stichworte vor, was sie sagen soll."

Die Welt suggeriert, dass Heyden die angeblichen Vorgaben ihres Lebenspartners gesteht.

Ein schwerwiegender indirekter Vorwurf, den die Welt naheliegt, ist, dass Heydens Lebenspartner dank ihres Twitter-Aktivismus eine Stelle an einer chinesischen Universität erhalten konnte. Die Welt schreibt: "Heydens Onlinenetzwerk scheint ihr auch im analogen Leben Türen zu öffnen". Die Zeitung verweist darauf, dass Heyden im Juni die Berufung ihres Lebenspartners zu einer außerordentlichen Professor ("associate professor") in China bekannt gab. Die Welt kommentiert: "eine Position, die man üblicherweise erst nach einer Habilitation und mehreren Jahren Lehrerfahrung erhält". Zudem nennt die Zeitung den Vorgang eine "überraschende Beförderung" – womit suggeriert wird, dass Heydens Partner eigentlich gar nicht für die Position qualifiziert ist und die Ernennung nicht anhand seiner fachlichen Qualifikationen erfolgte.

Zudem wirft die Welt Heydens Lebenspartner vor, er solle während eines Videogesprächs die Journalisten angebrüllt haben: "Er habe sich bei China dafür zu entschuldigen, dass er kritisch über Chinas Staatschef Xi geschrieben habe."

Gegenüber RT DE dementierten Heyden und ihr Lebenspartner die Darstellung der Welt vehement. Zudem legten sie Mails, Videos und Dokumente vor, die zeigen sollen, dass die Geschichte der Zeitung über Heyden verdreht ist.

Das Video des zweiten Gesprächs zwischen Heyden und der Welt, das RT DE vorliegt, zeigt, dass die Studentin fast gar nicht in Richtung ihres Lebenspartners schaut und sich eigenständig mit den Reportern unterhält. Dieser beteiligt sich einige Male an der Diskussion – jedoch geht es hier nicht darum, Heyden "Stichworte" zu liefern, sondern er redet direkt mit den Journalisten. Das erste Gespräch mit der Welt zeichnete Heyden nicht auf, jedoch versicherte sie gegenüber RT DE, dass sie nur ein einziges Mal ihren Partner, der zu dem Zeitpunkt Videospiele gespielt habe, zu einem bestimmten Thema befragte. Sie habe nicht offenbart, dass sie Stichworte von ihrem Partner bekomme. Auch andere Medienauftritte Heydens zeigen, dass sie ein souveräner Gesprächspartner ist, der nicht auf "Stichworte" anderer angewiesen ist. Die Vermutung liegt also nahe, dass Heyden diskreditiert werden soll. 

Auch die Behauptung, dass Heyden einen Reporter wegen seiner Kritik an Xi angebrüllt haben soll, erweist sich als fraglich. Es gibt tatsächlich eine Szene, wo Heydens Lebenspartner seine Stimme erhebt – jedoch regt er sich nicht über den Reporter auf, sondern über einen amerikanischen Politiker, der auf Twitter regelmäßig Heyden angreift und seine Follower dazu aufruft, sie ebenfalls anzugreifen. In diesem Kontext wurden schwere Vorwürfe gegen Heyden und ihre Familie erhoben – etwa, dass schon ihr Großvater Nazi gewesen sei und sie ebenfalls ein "Chinazi" (China-Nazi).

An einer ganz anderen Stelle im Video erklärt Heydens Lebenspartner in einem normalen Ton, dass einer der Welt­-Reporter gegen das chinesische Pressegesetz verstoßen habe und daher mit gewissen rechtlichen Konsequenzen konfrontiert sei. Er sagt, der Reporter müsse sich für seine Weigerung, das chinesische Pressegesetz einzuhalten, entschuldigen. Scheinbar hat die Welt-Redaktion also zwei getrennte Szenen vermischt und verdreht, um ihre Version des Gesprächs zu konstruieren.

Aus dem Mailverkehr zwischen der Welt­-Redaktion und Heyden ergibt sich noch eine weitergehende Frage. In einer Mail vor dem zweiten Gespräch macht Heyden unmissverständlich klar, dass die Journalisten nicht ohne Rücksprache mit den Teilnehmern aus dem Gespräch zitieren sollen.

Die Welt-Reporter stimmten dem zu.

Dennoch veröffentlichte die Welt laut Heyden den Artikel mit vielen Details aus diesem Gespräch, ohne sich mit den Teilnehmer abzustimmen. Heyden wirft der Zeitung daher einen schweren Vertrauensbruch und einen Verstoß gegen den Pressekodex vor.

Dabei hatte Heyden vor dem Gespräch mehrmals darauf verwiesen, dass die Gesprächspartner unsicher seien, da sie in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit der westlichen Presse gemacht hätten.

Gegenüber RT DE erklärte Heyden, dass sie und ihr Partner schon seit einiger Zeit wegen ihrer Meinung zu China wiederholt zum Opfer von teils frauenfeindlichen Drohungen und Beschimpfungen auf Twitter wurden.

Sogar ihr Lebenspartner wurde zum Opfer von Hassrede. Sein Arbeitgeber bekam mehrere Mails, in denen Heydens Partner scharf angefeindet wird.

Gegenüber RT DE erklärte Heyden, dass die Mail sich auf einen offensichtlich gefälschten Twitter-Account beziehe. Die "Beweise" für die Behauptungen in der Mail seien eindeutig gefälscht.

Warum schreibt die Welt so ausgiebig über die angebliche chinesische Propaganda, verschweigt jedoch gleichzeitig, dass prochinesische Aktivisten einer Flut des Hasses ausgesetzt sind, die sogar ihr Berufsleben beeinflussen kann? Heyden sagte gegenüber RT DE, dass sie diese Fälle von Hassrede und Beschimpfung der Welt-Redaktion mitteilte. Zudem hatten die Welt-Journalisten gegenüber Heyden erklärt, ein möglichst "umfassendes Bild" zeichnen zu wollen, wie aus dem Mailverkehr zwischen Heyden und der Welt hervorgeht.

Zudem stellte Heydens Lebenspartner Dr. Ellias Yuming Feng, der nach seiner Promotion mehrere Jahre für eine renommierte deutsche Wissenschaftseinrichtung arbeitete, RT DE Dokumente zur Verfügung, die seine akademische Qualifikationen belegen sollen. Ein Dokument ist die Annahmebestätigung der Chinesischen Ozean-Universität in Qingdao. Das zweite Dokument ist eine Erklärung des Talentprogramms, zu dem er zugelassen wurde. Dort werden auch die Bedingungen für die Aufnahme beschrieben: mindestens vier Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften innerhalb der letzten fünf Jahre (zusätzlich zur Promotion). Da Feng diese Bedingungen erfüllt habe – seine akademischen Leistungen können von jedem auf Google überprüft werden –, sei er zu dem Programm am 8. Juni nach mehreren Runden von Bewerbungsgesprächen zugelassen worden. Bevor er die Zusage von der Ozean-Universität erhielt, habe er sich auch bei zwei weiteren Universitäten beworben.

Der renommierte Jurist Professor Sang Benqian, der am Einstellungsverfahren von Heydens Lebenspartner beteiligt war, bestätigte gegenüber RT DE diese Darstellung und zeigte sich empört über den Bericht der Welt. Er erklärte:

"Ich habe mir den Bericht der Welt angeschaut und war sehr überrascht. Ich war überrascht über die Fantasie und Dreistigkeit des Reporters. Alle relevanten Dokumente zu den Standards und Verfahren für die Auswahl und Einstellung von außerordentlichen Professoren sind auf der Webseite des Personalbüros meiner Universität sehr leicht zugänglich und herunterladbar. Ich kann nicht verstehen, warum die Welt so voreilig berichtete, ohne es zu durchdenken. Ich bin im Vorstand der Akademischen Kommission der OUC (Ozean-Universität) und war bei der Vorstellungsrunde zur Einstellung von Herrn Feng anwesend. Ich war sehr beeindruckt von Herrn Fengs exzellenter Leistung. Dagegen hatte ich hatte nie eine Dame namens Heyden gekannt oder von ihr gehört, geschweige denn, dass sie mich bei meiner 'Ja'-Stimme beeinflusst hätte. Ich habe Grund zu der Annahme, dass das Gleiche auch bei allen anderen Experten im Vorstand so ist."

Auch weitere Personen, denen die Welt vorwarf, Teil des angeblichen chinesischen Propagandanetzwerkes zu sein, äußerten sich gegenüber RT DE kritisch zu den Vorwürfen.

Li Xiaosi, Chinas Botschafter in Österreich, der von der Welt als "Wolfskrieger" gebrandmarkt wird, erklärte, dass der Artikel "Richtiges mit Falschem" verwechsle und "voller ideologischer Voreingenommenheit gegen China" sei. Zudem beschuldigte er die Zeitung, "antichinesische Stimmungen" zu schüren. Li weiter: 

"Sie greift Politiker und Einzelpersonen, die China objektiv und positiv sehen, bösartig an und schädigt ihren Ruf, was den Mangel an grundlegender Professionalität und journalistischer Ethik zeigt."

Laut der Logik des Artikels dürften einige "China verleumden und beschmutzen", aber chinesische Diplomaten dürften dem nicht widersprechen, sonst würden sie als "Wolfskrieger" bezeichnet. "Fakten sprechen lauter als Worte. Ich bin mir sicher, dass Menschen mit Gerechtigkeitssinn leicht Recht von Unrecht unterscheiden können."

Anfragen von RT DE an die Welt zu dem Themenkomplex blieben unbeantwortet. Auch weigerte sich die Zeitung, eine Gegendarstellung von Heyden und ihrem Lebenspartner zu veröffentlichen.

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