Liefers und Spahn stellen sich Interview: "Man darf in diesem Land so ziemlich alles sagen"
Unmittelbar nachdem die Initiatoren der Internetaktion #allesdichtmachen sämtliche Videos ins Netz gestellt hatten, brach ein mächtiger Shitstorm los. Die Schauspieler verhöhnten die Opfer der Corona-Pandemie, war noch eine der mäßigeren Reaktionen aus der Blase der sogenannten sozialen Medien.
"Dass es Kritik und Fragen gibt an den Maßnahmen und den Hintergründen, das finde ich nicht nur normal, das finde ich in einer freiheitlichen Demokratie wünschenswert."
Just Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verwahrte sich offiziell gegen eine Stigmatisierung der Protagonisten als dem "rechten Spektrum" zugeneigten Verschwörungstheoretikern. Es folgte ein Dialogangebot Spahns. So fände er es schade, "wenn der Eindruck da wäre, dass es nicht auch kontroverse, abwägende Diskussionen gibt". Diese hätten etwa im Bundestag durchaus stattgefunden.
Am Mittwoch folgte nun ein Interview in der Zeit mit Beteiligung eines Hauptprotagonisten von #allesdichtmachen, Jan Josef Liefers, und dem Bundesgesundheitsminister.
Zunächst konstatiert Spahn, dass er es wichtig fände, "miteinander im Gespräch zu bleiben". Diese Einstellung fehle "zu häufig im öffentlichen Diskurs". Es reiche nicht aus, sich als Beobachter des politischen Geschehens und auf der Suche nach "Bestätigung der eigenen Meinung" lediglich in der eigenen Internetblase aufzuhalten.
Liefers war nach der Veröffentlichung seines Videobeitrags "Naivität" und eine demzufolge anrüchige Nähe zu den sogenannten Querdenkern angedichtet worden. Der bekannte und bis dato beliebte Schauspieler kritisierte das entsprechende Framing in deutlichen Worten.
Im Zeit-Interview versucht sich Liefers an einer differenzierteren Einordnung, auch seiner selbst. Er mache in der Zwischenzeit drei Gruppen von Menschen aus: "Da sind die, die alles bedingungslos unterstützen, was die Regierung macht. Dann gibt es jene, die alles ablehnen. Und dann gibt es viele, wie mich, die zwischen diesen polarisierten Gruppen stehen und weder der einen noch der anderen Seite zugehören wollen, aber natürlich schon zweifeln und ihre Fragen haben."
Ohne auf die Differenzierung des Schauspielers und Musikers näher einzugehen, will Spahn im Gegensatz zu Liefers kein "Vakuum" in der Debatte erkennen. Politik sei immer eine Frage des Abwägens, und auch er "zögere" und "hinterfrage" sich beim Fällen von Entscheidungen.
"Das tun die meisten Politiker und die meisten Bürger, Herr Liefers."
Was Spahn an den mutmaßlich kontroversen Videos besonders gefällt, ist nach seiner Aussage die professionelle Machart. Gleichzeitig kann er jedoch den Vorwurf des Zynismus an die Adresse der involvierten Schauspieler verstehen.
"Dass es zum Beispiel für Angehörige beatmeter Patienten verletzend ist, wenn da ein Schauspieler durch Atmen in die Tüte scheinbar ein Beatmungsgerät imitiert."
Im weiteren Verlauf des Interviews geht Spahn auf einen der vorgebrachten Hauptkritikpunkte an der Videokampagne ein: "... die vielfach behauptete These, wir hätten in unserem Land gleichgeschaltete Medien, die nur die Regierung beklatschen. Das hat mich auch in Ihrem Video geärgert, Herr Liefers".
Liefers hatte jedoch nicht von "gleichgeschalteten Medien" gesprochen. In seinem ironisch-satirischen Beitrag heißt es konkret:
"Danke an alle Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich, verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz ganz oben. Und dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung."
Zunächst wundert sich Liefers im Interview darüber, dass die Maßnahmen zwar oft "recht undifferenziert" daher kämen, "andererseits möchten Sie, dass die Kritik an diesen Maßnahmen aber total differenziert ausfällt". Eine verkürzte Kritik sei natürlich nicht immer gerecht, aber das liege andererseits wiederum in der Natur von Satire.
"Natürlich weiß ich, dass sich viele Journalisten in diesem Land um Neutralität bemühen."
Dann fährt Liefers fort und erzählt, wie aus ihm ein mutmaßlicher "Corona-Skeptiker" wurde (er selbst benutzt diesen Begriff nicht). So sei auch er anfangs schockiert über die Corona-Meldungen "und von der Richtigkeit der Maßnahmen überzeugt" gewesen. Irgendwann hätten ihn die Nachrichten schließlich um den Schlaf gebracht. Erst als er die alarmierenden Berichte und Zahlen nicht mehr verfolgt hat, sei es ihm bessergegangen.
"Da dachte ich: Was ist das? Wir sind mitten in einer Pandemie. Aber fast krank geworden bin ich nicht von diesem tückischen Virus – sondern vom medialen Dauerfeuer deswegen."
Liefers geht anschließend erneut auf den Vorwurf ein, eine "gleichgeschaltete" Presse kritisiert zu haben.
"Das Wort "gleichgeschaltet" würde ich nie benutzen."
Er vermutet, dass dem von ihm beschriebenen Phänomen etwas anderes zugrunde liegt. Es handele sich bei vielen Journalisten bei ihrer Arbeit wohl um eine Art "höheres Verantwortungsbewusstsein".
Alle wollten nur "das maximal Richtige tun und das Wichtige beschreiben, und das führt am Ende zu diesem Nachrichtengewitter, das sich zeitweise in den meisten Medien so oder so ähnlich las".
Eine ganz andere Wahrnehmung des Problems hat Spahn.
"Ich habe die Berichterstattung nie als pauschale Unterstützung erlebt, auch selten als pauschale Kritik."
Seine Kritik erneut direkt an den "Herrn Liefers" gerichtet, berichtet Spahn dann – ganz Politiker – über das, was nach Ansicht von Beobachtern aus dem von Jan Josef Liefers beschriebenen medialen Dauerfeuer resultiert:
"Aber was es dauerhaft gab – und das, Herr Liefers, sollten Sie auch akzeptieren –, ist eine sehr große gesellschaftliche und politische Zustimmung zu unserer Politik, dem Gesundheitsschutz in dieser Pandemie eine extrem hohe Priorität einzuräumen."
Liefers geht derweil lieber darauf ein, was vermeintlich "alternativlose" Politik generell bei ihm auslöst: Er fange an nachzulesen.
So sei einer seiner alten Schulfreunde Wissenschaftler in Stanford und habe mit renommierten Forschern wie John Ioannidis und Michael Levitt zusammengearbeitet. Beide kritisieren immer wieder die einförmige und pauschale Corona-Politik etlicher Regierungen. Lockdowns hält etwa Ioannidis sogar für kontraproduktiv.
"Die kommen bei der Einschätzung der Pandemie zu anderen Ergebnissen als die, auf die wir uns jetzt in Deutschland stützen. Und werden hier einfach abgebügelt. Wieso? Die haben ihre Erkenntnisse doch auch nicht einfach in Fake-Absicht in die Welt posaunt!"
Dass derlei Top-Wissenschaftler in der Debatte kaum differenziertes Gehör fänden, mache Liefers "misstrauisch". Es wundere ihn, warum bestimmte Wissenschaftler gehört werden "und andere nicht":
"Darf man das ungestraft fragen? Mich verunsichert Intransparenz mehr als der wissenschaftliche Diskurs. Und andere offenbar auch."
Doch wie dem auch sei, laut Spahn ersetze Wissenschaft keineswegs Politik. "Wissenschaft" liefere lediglich "Erkenntnisse über das Virus", und es liege dann an der Politik "zu entscheiden". Das wiederum geschehe auf Grundlage einer "nüchternen Abwägung", gibt Spahn zu Protokoll. Er nehme aber natürlich wahr, "dass in dieser Pandemie auch Kinder, Familien, Einzelhändler oder eben auch Künstler leiden".
Anschließend dreht sich das Gespräch wieder um die Kampagne #allesdichtmachen als solche. Bei aller mitunter nicht vollkommen unberechtigter Kritik lasse sich nicht bestreiten, dass die Aktion "irgendeinen neuralgischen Punkt" berührt habe.
Spahn weiß genau welchen: So hätten die Pflegekräfte "diese Ironie als sehr verletzend empfunden". Zudem stößt dem Minister bitter auf, dass sich vor allem diejenigen angesprochen gefühlt hätten, "die ständig behaupten, bestimmte Dinge nicht mehr sagen zu können in Deutschland". Aus seiner Sicht liegt der Fall klar:
"Mit Verlaub, das ist Humbug! Man darf in diesem Land so ziemlich alles sagen, und erst recht alles denken; man darf nur nicht alles tun."
Bei all dem dürfe man eines nicht vergessen: "das Virus". "Das Virus ist der Feind der Kunst, nicht die Politik", resümiert Spahn eigenwillig. Liefers will dazwischengehen, doch einmal in Fahrt fährt Spahn damit fort, die Kritik an einer unterkomplexen Analyse der tatsächlichen Situation durch die verantwortliche Politik indirekt zu bestätigen.
"Es liegt am Virus, dass bestimmte Dinge nicht mehr gehen. (…) Und mir ist klar, wie sehr viele Künstlerinnen und Künstler leiden, finanziell und emotional – denn ich weiß, dass sie diesen Beruf auch als Berufung verstehen. Trotzdem ist Pandemie, das kann niemand ändern!"
Liefers ist der Ansicht, dass die Einlassungen des Politikers "an der Sache vorbeigehen".
"Null Prozent Risiko gibt es nie, auch ein Kondom ist nicht hundert Prozent sicher, auch ein PCR-Test nicht. Aber es gibt doch inzwischen funktionale Konzepte wie in den Modellprojekten in Tübingen oder in Rostock."
Am Ende des Interviews zieht Liefers Vergleiche zur ehemaligen DDR, in der er einen Großteil seines Lebens verbrachte. In der DDR, so Liefers, wäre er "für so ein Video wahrscheinlich in den Knast gekommen".
Doch im wiedervereinten Deutschland werde es ungemütlich. Der Klassenkampf sei durch einen "Bubble-Kampf zwischen Angehörigen verschiedener Meinungsblasen" abgelöst worden.
"Das führt zu einer nahezu totalitären Argumentation, bei der es ums Rechthaben, auch ums Zerstören des anderen Standpunkts geht."
Bei den Protestvideos sei es auch darum gegangen, das entsprechende "Framing" und Labelling" auf künstlerisch-satirische Weise zu hinterfragen.
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