Bekannte deutsche Schauspieler sorgen mit ironischer Internetaktion #allesdichtmachen für Aufsehen
In einem Kommentar des Journalisten Imre Grimm beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) heißt es etwa, die Aktion sei "ein Schlag ins Gesicht der erschöpften Pfleger und Ärzte, die seit Monaten auf der letzten Rille laufen". Es sei auch eine "Verhöhnung der Hinterbliebenen von mehr als 70.000 Corona-Toten und derer, die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen".
Auch beim Kurznachrichtendienst Twitter sorgt der Hashtag #allesdichtmachen für hitzige Debatten und beißende Kritik. So schreibt etwa der Medienjournalist Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin uebermedien.de von "ekliger Ironie" und dass dies "der größte Erfolg der 'Querdenker'-Szene bisher" sei.
Vielleicht ist es nur der Tatsache geschuldet, dass es gerade so frisch ist und alle so aufgeregt sind, aber – Es fühlt sich wie ein Dammbruch an. Der größte Erfolg der Querdenkerszene bisher. #allesdichtmachenhttps://t.co/wvKnBf3Z6T
— Stefan Niggemeier (@niggi) April 22, 2021
Die Kommentare rief eine groß angelegte Internetaktion unter dem Motto #allesdichtmachen hervor. 53 prominente Film- und Fernsehschauspieler wie etwa Ulrich Tukur, Volker Bruch, Meret Becker, Heike Makatsch oder Jan Josef Liefers verbreiteten am Donnerstag bei Instagram und auf der Videoplattform Youtube gleichzeitig ironisch-satirische Clips mit persönlichen Statements zur Corona-Politik der Bundesregierung.
Ulrich Tukur etwa fordert im Video von der Bundesregierung:
"Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz. Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden, nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte."
Und er fügt hinzu:
"Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage."
Liefers bedankt sich in seinem Clip mit ironischem Unterton "bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben, und dafür sorgen, dass kein unnötiger, kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung. Wir sollten einfach nur allem zustimmen und tun, was man uns sagt. Nur so kommen wir gut durch die Pandemie." Er schließt mit dem sarkastischen Satz:
"Verzweifeln Sie ruhig, aber zweifeln sie nicht."
Bei Twitter wurden am Donnerstagabend die Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer binnen kurzer Zeit zu den am meisten verwendeten in Deutschland.
Auch unter den Künstlern und Schauspielkollegen gab es Kritik an der Aktion. So schrieb Elyas M'Barek:
"Mit Zynismus ist doch keinem geholfen."
Jeder wolle zur Normalität zurückkehren, und das werde auch passieren. Hans-Jochen Wagner nannte die Aktion peinlich. Er verstehe sie nicht, schrieb der Schauspieler, der an Liefers gerichtet fragte: "Das kann doch nicht Dein Ernst sein." Die Schauspielerin Nora Tschirner warf den Machern der Clips Handeln aus Langeweile und Zynismus vor.
Georg Restle, Moderator des Politmagazins Monitor, verteidigte die Initiative und nannte die Kritik an den Schauspielern "wohlfeil":
"Nicht jeder, der einen neuen Untertanengeist aufs Korn nimmt, ist ein "Querdenker" oder "nimmt Tausende Tote in Kauf".
Die zum Teil wohlfeile Kritik an #allesdichtmachen ist mir zu plump. Nicht jeder, der einen neuen Untertanengeist aufs Korn nimmt, ist ein "Querdenker" oder "nimmt Tausende Tote in Kauf". Wir sollten aufhören, uns gegenseitig in Ecken zu treiben, aus denen keiner mehr rauskommt.
— Georg Restle (@georgrestle) April 23, 2021
Welt-Journalist Robin Alexander verwies auf drohende "Berufsverbote" für die Schauspieler:
Ich wollte zu #allesdichtmachen nichts schreiben. Aber hier fordert ein führender SPD-Funktionär und Rundfunkrat des @WDR Berufsverbote für Künstler, weil ihm ihre Meinung nicht passt. Das geht nicht. Das ist verrückt. 👇 pic.twitter.com/cpIuf3v1rU
— Robin Alexander (@robinalexander_) April 23, 2021
Es gab aber auch explizit positive Reaktionen. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit etwa schrieb auf Twitter, er hätte sich alle 53 Videos angeschaut. Weiter schrieb er:
"Ein Meisterwerk – es sollte uns sehr nachdenklich machen."
Ich habe jetzt alle 53 #allesdichtmachen Videos angeschaut - ein Meisterwerk - es sollte uns sehr nachdenklich machen https://t.co/hhQiPtOhFB via @YouTube
— Jonas Schmidt-Chanasit (@ChanasitJonas) April 22, 2021
Die Corona-Maßnahmen treffen die Kunst- und Kulturszene hart. Laut dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) etwa haben viele der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland seit März 2020 kaum Einkommen.
Wer auch nur die leiseste Kritik an Konzeption und Umsetzung der #Corona-Maßnahme der #Bundesregieurng äußert, verbreitet mittlerweile schon "rechtsradikale Propaganda". Was für eine Diskursverschiebung: #allesdichtmachenhttps://t.co/YEQmjCe9o5
— Florian Warweg (@FWarweg) April 23, 2021
Dem Verband zufolge leben zwei Drittel bis drei Viertel von Gastverpflichtungen an Theatern, die aktuell nicht oder kaum arbeiten können. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 15.000 bis 20.000 Schauspielerinnen und Schauspieler.
Mittlerweile distanzierten sich die ersten Teilnehmer von der Aktion. Schauspielerin Heike Makatsch zog ihr Video am Freitagmorgen zurück. Auf Instagram schrieb sie: "Ich distanziere mich klar und eindeutig von rechtem Gedankengut und rechten Ideologien. Schon immer. Ohne Frage. Ich erkenne die Gefahr, die von der Corona-Pandemie ausgeht und will niemals das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen schmälern und sie womöglich dadurch verletzen. Soll das geschehen sein, so bitte ich um Verzeihung."
In einem Tweet mehrere Stunden nach der Veröffentlichung distanzierte sich Liefers von "Verschwörungstheorien und der Querdenker-Bewegung". "Eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück", schrieb der 56-Jährige. "Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestages auch keine Partei, der ich ferner stehe, als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt."
1/4 Klartext. Ich setze mich kritisch mit den Entscheidungen meiner Regierung zu SarsCoV2 und Covid 19 auseinander. Besonders wegen der in Kauf genommenen Verluste in Kultur und Kunst und der Veranstaltungsbranche. Auch im jüngsten Video, das ein ironischer Kommentar
— Jan Josef Liefers (@JanJosefLiefers) April 22, 2021
Weniger echauffiert als der mediale Mainstream zeigte ich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf der heutigen Bundespressekonferenz:
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