Chef der Helios-Kliniken: "Wirklich dramatisch ist die Lage derzeit nicht"
Der Bundestag hat gestern eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet, die heute dem Bundesrat vorliegt, um danach womöglich ebenfalls noch heute von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet zu werden. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz wird die Bundesregierung ermächtigt, einen bundesweiten Lockdown umzusetzen – als "Bundes-Notbremse" bezeichnet. In der Argumentation der Bundesregierung und der Befürworter von strengen Corona-Maßnahmen wie Ausgangssperren, Kontakteinschränkungen und Schulschließungen spielten häufig die drohende Überlastung des Gesundheitssystems eine tragende Rolle – insbesondere eine Überfüllung der Intensivstationen.
Klar dagegen positioniert sich der Vorsitzende der Helios Kliniken, Deutschlands größter Krankenhauskette, Francesco De Meo. Im Interview mit der FAZ äußerte er:
"Wirklich dramatisch ist die Lage derzeit nicht."
Zwar würden aktuell in den 89 Helios-Krankenhäusern in Deutschland auch "wieder sehr viele COVID-Patienten" behandelt. Die Fallzahlen liegen jedoch "insgesamt noch unter dem, was wir in der zweiten Welle im Winter bewältigt haben". De Meo konkretisiert:
"Wir haben rund 15.000 Patienten ohne COVID-19 auf Normalstationen, dazu kommen 755 mit COVID-19. Auf den Intensivstationen unserer Kliniken werden knapp 1.150 Patienten ohne und 327 mit COVID-19 behandelt."
Der Helios-Chef bezieht deutlich Position gegen den Intensivmediziner-Verband DIVI, der jüngst vor einem bevorstehenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems warnte. De Meo argumentiert, dass man "dieselben Fakten" "unterschiedliche bewerten" könne.
"Wir kennen das Krankenhausgeschehen generell und in allen Facetten, und das nicht erst seit Beginn dieser Pandemie. Unsere professionelle Wahrnehmung ist: Es gab immer schon volle Intensivstationen, das ist nichts Neues."
De Meo verweist auf die in Deutschland gängige Praxis, "Patienten vergleichsweise schnell auf die Intensivstation" zu verlegen. In anderen Ländern – etwa in Spanien, wo Helios rund 40 Krankenhäuser betreibt – würde man das anders handhaben. Trotz vergleichbarer Zahlen an positiven Corona-Befunden und eine ähnlichen "Gesamtzahl der Krankenhausbehandlungen wegen COVID" gebe es einen gravierenden Unterschied:
"In Deutschland gibt es dreimal so viele COVID-Patienten auf der Intensivstation wie in Spanien. Die Sterblichkeit ist dann in beiden Ländern aber wieder ungefähr gleich."
Daher sei es laut De Meo ein verengter Blick, wenn nur die Anzahl der belegten Intensivbetten als Indikator des Pandemie-Geschehens gewertet werden. Man müsse "das gesamte Bild betrachten" und nicht wie die DIVI "den Leuten zusätzliche Angst machen, solange wir uns auf dem Niveau der zweiten Welle bewegen".
Der Helios-Chef macht deutlich, dass "nicht alle im Krankenhaus wegen Corona überlastet sind". Insgesamt gebe es "erheblich weniger Fälle, rund 15 Prozent weniger als im Vorjahr". Zwar wurden in den Helios Kliniken im vergangenen Jahr 30.000 COVID-Fälle behandelt, "dafür aber 180.000 Patienten weniger mit anderen Indikationen" – "in manchen Fachgebieten waren es 40 Prozent weniger als im Vorjahr".
"Ich fürchte, dass viele notwendige Behandlungen entweder zu spät oder gar nicht vorgenommen werden – und dass wir die Folgen davon an den Sterbefallzahlen ablesen werden können."
Auch von dem Inzidenzwert als einzigen Maßstab der Corona-Politik hält De Meo nichts. Dieser sei nur dann "aussagekräftig", wenn alle Daten hinzugezogen und miteinander verknüpft würden: "Wie viele Patienten sind auf den Intensivstationen, wie alt sind sie, wie lange und wie werden sie behandelt, wie viele versterben?". Dafür bräuchte es gar nicht viel, man könnte die "ohnehin vorhandenen Daten" nutzen, "die sogenannten Routinedaten", die auch den Krankenkassen gemeldet würden. Allerdings habe das Bundesgesundheitsministerium es verpasst, die rechtliche Grundlage zu verändern, dass auch die Meldedaten der Intensivmediziner "einfacher genutzt werden könnten".
De Meo prangert das Verhalten der Bundesregierung an: Das "größte Manko" wäre "das Versagen der Politik beim Impfen". Das Impfen sei zu "kleinteilig und bürokratisch" verlaufen. Ein Angebot der Helios Kliniken beim Impfen zu helfen, habe die Bundesregierung ausgeschlagen. Stattdessen wurde alles "über die Bundesländer und Kassenärztlichen Vereinigungen organisiert". Für den Helios-Chef sind dies "alte Strukturen", die man hätte aufbrechen müssen.
Trotz der Impfungen steht für Francesco De Meo fest, das Coronavirus werde "uns mit seinen Mutationen weiterhin begleiten":
"Wir müssen lernen, mit dem Coronavirus längerfristig umzugehen. Die erste Welle war mit Blick auf die Patientenzahl im Vergleich zur zweiten und dritten Welle eigentlich keine Welle. Dennoch wurde politisch und wirtschaftlich massiv eingegriffen."
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