Gesundheit statt Profite – Demonstrationen für gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem

Materialmangel, Kliniksterben, Personalnotstand – Wie im Brennglas macht die Corona-Krise die durch die Marktorientierung verschärften Probleme im Gesundheitssystem deutlich. Anlässlich des Weltgesundheitstags fanden am Mittwoch in mehreren Städten Demonstrationen statt.

Zwar sind im Jahr 2020 die Gesundheitsausgaben in Deutschland auf die Rekordsumme von etwa 425,1 Milliarden Euro ausgeufert, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte. Unter den Ausgaben im ersten Pandemie-Jahr war es demnach bisher schwierig, einen "coronaspezifischen Anteil" zu ermitteln, bis auf einige Posten, wie 491 Millionen Euro für Schutzmasken nach der Co­rona­virus-Schutzmasken-Verordnung oder auch 731 Millionen Euro pandemiebedingte Erstattungen für außerordentliche Aufwendungen in der Pflege.

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Dass von den horrenden Summen jedoch an der Basis weiterhin kaum etwas ankommt und das überarbeitete, unterbezahlte Pflegepersonal zudem mit Material- und Personalmangel zu kämpfen hat, brachte am Weltgesundheitstag erneut eine Reihe von Akteuren unter dem Motto "Gesundheit statt Profite" auf die Straßen. Seit dem letzten Jahr demonstriert das Bündnis für ein Gesundheitssystem, in dem die Patienten und nicht die Profite zählen. Am Mittwoch wurde in mehreren Städten wieder gegen die "verheerenden Auswirkungen jahrzehntelanger neoliberaler Gesundheitspolitik" protestiert.

Den Veranstaltern zufolge sind die jahrelange Marktorientierung sowie die Finanzierung über Fallpauschalen verantwortlich für den akuten Personalmangel, der wie andere Probleme im Sektor, darunter im Chaos versinkende, zusammengesparte Gesundheitsbehörden, besonders in der Corona-Pandemie deutlich wurden.

Gerade in der Pandemie sei es nicht hinnehmbar, dass Krankenhäuser geschlossen werden, heißt es im Aufruf des Bündnisses "Gesundheit statt Profite". Auf dem Alexanderplatz in Berlin haben Demonstranten 20 Grabschilder aufgestellt, welche die Krankenhäuser, die im vergangenen Jahr in Deutschland den Betrieb einstellten, symbolisieren. Aktuell droht weiteren 30 Kliniken das Aus. Die Bertelsmann-Stiftung hatte kurz vor dem Ausbruch der Pandemie noch gefordert, dass die Zahl der Krankenhäuser weiter gesenkt wird. Außerdem protestierten die Demonstranten dagegen, dass sich einige private Pharmakonzerne das Monopol sicherten und Profit machen, obwohl die Entwicklung der Impfstoffe gegen das Coronavirus mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde.

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In Berlin war für den Nachmittag eine Kundgebung vor dem Bundesgesundheitsministerium geplant, daraufhin wurden per Fahrraddemonstration verschiedene Profiteure "der neoliberalen Zurichtung des Gesundheitswesens" aufgesucht.

Halt machten die Mitwirkenden unter anderem vor dem Sitz des privaten Pflegekonzerns Kursana, bei der Helios Unternehmenszentrale, dem GKV Spitzenverband und de, Europahaus, da "die EU-Kommission weiterhin die Freigabe der Patente für die COVID-19-Impfstoffe verhindere".

Zu den Veranstalterin in Berlin gehört auch Walk of Care, eine seit vier Jahren bestehende Gruppe von Beschäftigten im Gesundheitswesen, welche eine Reihe von Vorschlägen und Forderungen zur Verbesserung der Situation anbringt, darunter eine "grundsätzliche Neustrukturierung der Krankenhausfinanzierung hin zu einer bedarfsgerechten und gemeinwohlorientierten Finanzierung",  durch eine Umstrukturierung der Sozialsysteme mit gemeinsamen Gesundheitskassen nach dem Solidaritätsprinzip für alle Bürger.

"Die Logik von Aktienmärkten kann nicht auf den Gesundheitsbereich angewendet werden. Aktien ergeben nur in Bereichen, in denen eine Wertschöpfung stattfindet, Sinn. Deshalb müssen alle nichtstaatlichen Gesundheitseinrichtungen gemeinnützig werden. Der Pflegebereich ist kein wachsender Markt, er ist eine wachsende Herausforderung für unsere Gesellschaft," heißt es auf der Internetseite von Walk of Care.

Im März warnten auch Intensivmediziner und Pflegeexperten, dass aufgrund der momentanen Arbeitsbedingungen mit einer massiven Verschärfung des Personalmangels auf Intensivstationen zu rechnen sei – mit katastrophalen Folgen für die Gesundheitsversorgung. Auch laut dem Geschäftsführer des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Franz Wagner habe die Corona-Krise viele Pflegekräfte an den Rand des Leistbaren gebracht, einige erlitten posttraumatische Erschöpfungszustände und viele denken daran, ihren Beruf aufzugeben.

Dabei überstiegen die Gesundheitskosten hierzulande im Jahr 2019 erstmals die Grenze von 400 Milliarden Euro, nachdem im Jahr 2012 die 300-Milliar­den-Euro-Grenze und davor im Jahr 1998 die 200-Milliarden-Euro-Grenze erreicht worden war. Der zeitliche Abstand bis zum Erreichen der jeweils nächsten 100-Milliardenmarke hat sich damit seit 1998 von 14 auf 7 Jahre halbiert.

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