Forschung wie bestellt: Juristen kritisieren Seehofers Einspannen von Wissenschaftlern
RT DE berichtete bereits, dass das Bundesinnenministerium (BMI) unter Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) laut Recherchen der Welt am Sonntag erheblich auf Wissenschaftler einwirkte, um ein internes Papier zu erarbeiten. Seehofer forderte im März 2020 Wissenschaftler verschiedener Hochschulen und Forschungseinrichtungen unter Beteiligung des Robert Koch-Instituts (RKI) dazu auf, ein als geheim eingestuftes Papier zu erarbeiten, in dem die Gefahren von COVID-19 möglichst dramatisch dargestellt werden sollen, um ein hartes Handeln der Politik zu legitimieren.
Wörtlich heißt es in dem innerhalb von vier Tagen erstellten "Geheimpapier", dass "die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden" müssen. Dazu benötige man eine gewisse "Schockwirkung":
"Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls …"
Auch die Auswirkungen auf Kinder werden in dem Papier beleuchtet:
"Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, schuld daran zu sein, weil sie z. B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann."
Brisant an dem Papier ist vor allem die Tatsache, dass die Wissenschaftler bei weitem nicht so unabhängig von der Politik agieren, wie seit Beginn der Corona-Krise suggeriert wird, sondern auf ein von der Politik gefordertes Endergebnis hinarbeiten. Dies geht aus 200 Seiten Email-Verkehr zwischen den Wissenschaftlern und dem Innenministerium hervor, der erst durch ein Juristenteam um den Berliner Rechtsanwalt Niko Härting publik wurde. Dieser hatte die Veröffentlichung des Schriftverkehrs in einem monatelangen Verfahren eingeklagt. Aus dem Schriftverkehr wird unter anderem deutlich, dass die Forscher es nicht nur dabei beließen, Zahlen zu liefern, sondern sich auch berieten, wie man "Angst und Folgebereitschaft in der Bevölkerung" thematisieren sollte. Ein Forscher, dessen Name in den Dokumenten geschwärzt wurde, schrieb etwa:
"Söder liegt intuitiv richtig: Das sich ausbreitende Ohnmachtsgefühl muss wohl durch den Eindruck eines starken staatlichen Interventionismus in Schach gehalten werden."
In der Arbeit heißt es auch, dass man bei der Durchseuchung der deutschen Bevölkerung mit bis zu einer Million Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus rechnen müsse. Als Berechnungsgrundlage dienten allerdings nicht einmal die damals aktuellen Daten des RKI, das zu der Zeit selber von einer Sterblichkeit von 0,56 Prozent der Infizierten ausging. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung plädierte dafür, eine Sterblichkeit im Bereich von 1,2 Prozent zu verwenden. Man wollte sich also bewusst für ein "Worst-Case-Szenario" entschieden. Ein Forscher schrieb dazu, man solle "vom Ziel her" argumentieren.
Bisher widersprechen die Beteiligten, dass es eine Einflussnahme gegeben habe – oder sie schweigen: Gegenüber der Welt am Sonntag gab Staatssekretär Markus Sperber bekannt, dass man damals keine "allumfassende theoretische Abhandlung" wollte. Das ebenfalls an der Studie beteiligte Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung streitet weiterhin ab, dass es eine Einflussnahme der Politik gab. Das Institut erklärte, es habe keine politischen Vorgaben für die Forschungsergebnisse gegeben. Das RKI kommentierte seine Rolle nicht, da es sich "um ein internes Papier handle".
Das Seehofer harte Einschränkungen des öffentlichen Lebens, wie sie von Berichten aus dem chinesischen Wuhan bekannt sind, befürwortete, zeigte sich offenbar auch in der Auswahl der Wissenschaftler: Neben dem RKI arbeiteten vor allem Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler und wohl auch die Wissenschaftler Otto Kölbl und Maximilian Mayer, die beide im Bereich der sozioökonomische Entwicklung Chinas forschen.
Beide sind für ihren Artikel "Learning from Wuhan – There is no alternative to the Containment of COVID-19" (auf Deutsch: Von Wuhan lernen – Es gibt keine Alternative zur Eindämmung von COVID-19) bekannt, in dem sie sich, wie der Titel bereits vermuten lässt, in recht einseitiger Weise für harte Einschränkungen und Methoden wie Kontakt-Tracking, systematisches Testen und Quarantänemaßnahmen aussprachen. Auffällig ist dem Juristen zufolge auch, dass in den vorliegenden Emails nicht nur in vielen Teilen geschwärzt wurde, sondern auch, dass sämtliche Bezüge zu China und auch das Wort China geschwärzt wurden. Als Begründung hierfür gibt das Innenministerium an, dass dies "Auswirkungen auf internationale Beziehungen" haben kann. Härting kündigte jedoch bereits an, gegen die Schwärzungen vorgehen zu wollen.
Neben den fragwürdigen Methoden der Beteiligten wird in Juristenkreisen nun auch die Rolle des RKI hinterfragt, denn es könne nicht sein, so Härting, dass "das RKI, das als Bundesbehörde dem Ministerium direkt untersteht, eine Strategie verfolgt, die gezielt auf schockierende Wirkungen abzielt". Es sei nicht die Aufgabe des RKI, "in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken zu verbreiten". Die Düsseldorfer Rechtsanwältin Kerstin Horstmann erklärte dazu beispielsweise:
"Es drängt sich der Verdacht auf, dass das RKI nicht unabhängig ist, sondern politisch gesteuert ist und mit der Verbreitung der" Zahlen" bestimmte politische Ziele verfolgt werden. Dies wiegt umso schwerer, weil zahlreiche Gerichte diesen Zahlen bislang völlig unkritisch gefolgt sind und das RKI als unabhängiges Institut respektieren, was es augenscheinlich nicht ist."
Auch Stefan Leupertz, ehemaliger Richter des Bundesgerichtshofs, kritisierte das vom Ministerium gebildete "Informationskartell":
"Das BMI hat ersichtlich und am Ende mit großem Erfolg versucht, ein Informations- und Meinungskartell zu organisieren, das es den politischen Entscheidungsträgern in schwieriger Lage ermöglicht, durch eine Politik der Angst Entscheidungskompetenz auch ohne belastbare sachliche Rechtfertigung zu erlangen. Das muss die Öffentlichkeit erfahren."
Auch Oppositionspolitiker fordern seit Bekanntwerden der Affäre nun Aufklärung. Konstantin Kuhle, der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, forderte den Innenausschuss des Bundestages dazu auf, als Reaktion auf die Berichterstattung das Vorgehen von Seehofers Ressort aufzuklären. Der Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, ist der Meinung, dass Seehofer der Wissenschaft dadurch "einen Bärendienst erwiesen" habe:
"Wenn Wissenschaft Unabhängigkeit aus der Hand gibt, leidet Glaubwürdigkeit. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind aber Schlüssel in der Krise, um Akzeptanz für Maßnahmen zu stärken", sagte Bartsch.
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki kritisierte die Affäre deutlich stärker: Die Kommunikationsstrategie des Innenministeriums würde man "eher bei autoritären Staaten vermuten":
"Es geht offensichtlich nicht mehr darum, mündigen Bürgerinnen und Bürgern evidenzbasiert und sachorientiert politische Entscheidungen zu erklären, sondern darum, diese Entscheidungen auf repressivem Wege durchzuprügeln."
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