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Weißer Ring: Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen – 2020 deutlich mehr Opfer häuslicher Gewalt

Laut dem Weißen Ring sind in diesem Jahr die Meldungen von Opfern häuslicher Gewalt, Sexualdelikten und Körperverletzungen stark angestiegen. Hilfestellen sind teils eingeschränkt oder zuweilen überlastet. Die Hauptlast in den Familien tragen oft die Kinder.
Weißer Ring: Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen – 2020 deutlich mehr Opfer häuslicher GewaltQuelle: www.globallookpress.com © imago/Roland Mühlanger/ Global Look Press

In den ersten zehn Monaten des Corona-Jahrs 2020 haben sich über zehn Prozent mehr Opfer von häuslicher Gewalt, Sexualdelikten und Körperverletzung beim Weißen Ring, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer, gemeldet als im Vorjahreszeitraum.

"Die Zahlen waren nach dem ersten Lockdown im Frühjahr sehr verhalten und sind dann aber im Juni wieder deutlich angestiegen", sagte der Bundesvorsitzende des Weißen Rings und frühere Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. "Wir müssen leider mit dem Schlimmsten rechnen." Dies bestätigten die Zahlen aus der zweiten Jahreshälfte bis Oktober; neuere gibt es noch nicht.

"Unsere Erfahrung ist, dass sich häusliche Gewalttaten nicht sehr schnell in Zahlen niederschlagen. Das kommt erst nach und nach", sagte Ziercke. "Wir wissen aus Studien, dass Frauen bis zu sieben Anläufe brauchen, um sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu befreien." Dazu komme in Zeiten des Lockdowns die Gefahr des unentdeckten Missbrauchs von Kindern oder auch Gewalt gegen sie. Wenn Kitas, Schulen und Sportvereine schließen müssten, gebe es auch weniger Möglichkeiten hinzuschauen, wenn Jungen oder Mädchen Verhaltensauffälligkeiten zeigten.

"Der Lockdown führt dazu, dass wir in einer Phase zunehmender Gereiztheit miteinander leben", stellte Ziercke fest. Dazu kämen bei vielen Menschen noch beengte Wohnverhältnisse, die Betreuung von Kindern oder der Verlust der Arbeit, es folgen wirtschaftlicher und damit auch psychischer Druck.

Dr. Khalid Murafi, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeut, Chefarzt der Klinik Walstedde, stellte bereits vor mehreren Jahren fest, dass immer mehr junge Erwachsene – selbst mit gutem Bildungshintergrund – "nicht ausreichend in der Lage sind, Konflikte, die mit starken Affekten einhergehen, adäquat emotional durchdrungen verbal zu regulieren". Kinder sind als schwächstes Glied in der Familie besonders stark von häuslicher Gewalt betroffen. Auch wenn sie Gewalt nicht am eigenen Leibe erfahren, hat das Miterleben traumatische und langfristig teils schwer wirkende Folgen.

Ziercke appellierte an Opfer von häuslicher Gewalt, sich an den Weißen Ring oder andere Hilfeeinrichtungen zu wenden. Er forderte aber auch die Bürger generell auf, mit offenen Augen auf das jeweilige Umfeld zu achten. "Menschen, die Hilfe benötigen und sie sich selber nicht holen können, müssen wahrgenommen und ihnen muss von außen geholfen werden." Neben dem Alarmieren der Polizei gibt es die Möglichkeit, sich an verschiedene Krisenstellen zu wenden oder bei oft kostenlosen Hilfetelefonen Rat einzuholen.

Das vom Bundesfamilienministerium angebotene bundesweite Hilfetelefon ist im Gegensatz zum sogenannten Sofort-Chat auch außerhalb der Zeit zwischen 12 und 20 Uhr, nämlich rund um die Uhr kostenfrei für Betroffene und Angehörige erreichbar. In mehreren Sprachen kann man unter der Nummer 08000 116 016 dort anrufen. Die Wartezeit bis zu einer Antwort erforderte beim Test der RT DE Redaktion am zweiten Weihnachtstag rund 13 Minuten.

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