Gutachten: Tote Schweinswale und Umweltbelastung durch NATO-Sprengungen in der Ostsee
Bei einem Einsatz der Bundesmarine während eines NATO-Manövers wurden im Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt im August 2019 rund 40 Sprengungen durchgeführt, bei denen das Naturschutzrecht missachtet wurde.
In dieser Woche teilten das Bundesumwelt- und Verteidigungsministerium gemeinsam mit: "Die Ergebnisse zeigen, dass die streng geschützten Schweinswale einer hohen Verletzungsgefahr durch die Druckwellen der Sprengungen ausgesetzt waren." Die nach über einem Jahr vorgelegte Auswertung der Minensprengungen im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt klingt sowohl beim Bundesamt für Naturschutz als auch bei der Deutschen Presse-Agentur eher weichgespült und unkonkret.
In ihrem Bestand gefährdete Schweinswale waren bei den Minensprengungen durch einen NATO-Verband im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt einer hohen Verletzungsgefahr durch Druck- und Schallwellen ausgesetzt. Ein Drittel der untersuchten Strandfunde wies entsprechende Verletzungen auf. Eine eindeutige Zuweisung zu den Sprengungen war nicht möglich.
Anders formuliert es der Naturschutzbund Deutschland (NABU), bei dem es heißt, der Bericht zeige das "Totalversagen der Bundeswehr beim Schutz mariner Säugetiere und einen Verstoß gegen geltendes Naturschutzrecht". Die Fakten seien niederschmetternd, da mindestens acht Schweinswale durch Schalltraumata getötet wurden, wobei die Schockwelle Gewebe zerriss und zu Organ- und Gehörschäden führte. Die Explosionen von jeweils über 300 Kilogramm Sprengstoff hatten auch in mehreren Kilometern Entfernung zu tödlichen Verletzungen verschiedener Meerestiere geführt. In über 20 Kilometern Entfernung wurde der Grenzwert von 160 Dezibel zum Schutz von Schweinswalen überschritten. Die Explosionen zerstörten zudem geschützte Riffe in einem Radius von bis zu 30 Metern.
Laut der Organisation Whale and Dolphin Conservation Deutschland ist die Population von Schweinswalen in der zentralen Ostsee akut vom Aussterben bedroht, nur noch einige Hundert Tiere leben demnach dort. Im Zeitraum von Ende August bis Ende November 2019 war die Anzahl der Totfunde dieser streng geschützten Meeressäuger an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste auffällig hoch. Zuvor wurden im August 2019 bei einem Einsatz der Bundesmarine während eines NATO-Manövers in der Ostsee 42 Seeminen gesprengt, davon 39 inmitten des Meeresschutzgebiets "Fehmarnbelt", dem geschützten Lebensraum zahlreicher Tiere wie Robben und im Sommer einer der wichtigsten Kinderstuben der seltenen Schweinswale.
Dieses Vorgehen rief Naturschützer auf den Plan, die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bestätigte die laut Naturschützern katastrophalen Folgen. Die genaue Anzahl getöteter und verletzter Schweinswale während der Fortpflanzungszeit war zunächst unklar, 18 Totfunde wurden mit der Sprengung in Zusammenhang gebracht.
Dieser "Kollateralschaden" war auch Thema auf einer Bundespressekonferenz im November 2019. Dabei gab der damalige Sprecher des Verteidigungsministeriums Frank Fähnrich an, dass bis dato kein direkter Zusammenhang hergestellt worden sei und die Marine Vorschriften eingehalten habe. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte auf der BPK zudem in erster Linie betonen, dass mit der Sprengung mehr Sicherheit hergestellt worden sei.
In der Tat stellen Millionen Tonnen Munitionsaltlasten in der Nord- und Ostsee – von Kämpfen aus den beiden Weltkriegen und von den Alliierten nach Ende der Weltkriege versenkte Waffen der Deutschen – eine enorme Herausforderung dar, wie auch die Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen noch mal deutlich macht. Rund 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition (Spreng- und Brandbomben) und bis zu 300.000 Tonnen chemischer Munition (Senfgas und Tabun) liegen größtenteils verborgen auf dem Grund von Nord- und Ostsee und stellt eine gravierende Gefahr für Mensch und Meere dar. Teile der Munition sind erodiert, zunehmend gelangen Giftstoffe, unter anderem krebserregendes und erbgutschädigendes TNT, leicht entflammbares Phosphor und Schwermetalle wie Quecksilber und Kadmium in die Umwelt und über die Nahrungskette zum Menschen, wie beispielsweise die EU-geförderten Projekte UDEMM und DAIMON sowie das Institut für Ökotoxikologie an der Uni Kiel, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sowie das Thünen-Institut für Fischereiökologie bestätigten. Wissenschaft und Naturschutz warnten bereits seit Jahren vor den gefährlichen Auswirkungen, doch die Politik scheiterte an einer Vorgehensweise zur Entsorgung.
Offenbar ist man der Meinung, dass es sich bei den am Kriegsende verklappten Munitionsaltlasten der deutschen Wehrmacht und der Alliierten ausschließlich um ein Problem der Anrainer-Bundesländer handelt, die das Bergungsprojekt zweifelsohne finanziell niemals alleine stemmen können.
Obwohl naturverträgliche Lösungen vorliegen, lehnten Bund und bis auf Schleswig-Holstein größtenteils auch die Länder sich zurück.
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Die Sprengungen rissen fünf Meter breite und 1,5 Meter tiefe Krater in artenreiche Riffe und zerstörten alles Leben im Umkreis von bis zu 30 Metern. Neben der Gefährlichkeit von Sprengungen für die Meeresumwelt zeigen Ergebnisse des Forschungsprojekts des Kieler Instituts für Toxikologie in Bereichen, in denen vorher gesprengt wurde, eine um ein Vielfaches höhere TNT-Belastung von Muscheln als in Bereichen, in denen Sprengstoff offen lag, aber nicht gesprengt wurde, was laut Umweltschützern auch den Verdacht der Gefahr für die Lebensmittelsicherheit zulässt.
Außerdem war das für besonders geschützte Naturräume, zu denen der Fehmarnbelt zählt, zuständige Bundesamt für Naturschutz vorab nicht informiert worden – ein eindeutiger Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetz. Im Naturschutzgebiet Fehmarnbelt darf aufgrund der Schutzbestimmungen nicht einmal geangelt werden.
Sprengung trotz Kenntnisse von Gefahren für Umwelt und Menschen
Die von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes beauftragten Sprengungen wurden laut Naturschützern ohne Mindestschutz für die Meeresumwelt durchgeführt, technischer Schallschutz für Schweinswale war nicht gegeben.
Im gesamten Fehmarnbelt war Ende August mit Schweinswalmüttern und kleinen Kälbern zu rechnen, die nur langsam schwimmen und Sprengungen trotz möglicherweise eingesetzter Vergrämungslaute kaum rechtzeitig ausweichen können. Alles dies war bekannt, aber kein Hinderungsgrund für die Marine. Obgleich das Verteidigungsministerium dem Nabu erst Tage zuvor versichert hatte, in dieser sensiblen Zeit grundsätzlich nicht zu sprengen, kam nicht einmal in Blasenschleier zum Einsatz", hieß es beim NABU.
Neben der Schifffahrt sind von der Problematik der Altlasten auch Bauarbeiten, zum Beispiel für Offshore-Projekte wie Windparks oder Pipelines, immer wieder betroffen. Aktuell entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über sieben Klagen gegen den Bau eines Tunnels für Züge und Autos durch den Fehmarnbelt – eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa. Der 18 Kilometer lange Ostseetunnel soll Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf Lolland verbinden. Dänemark will bereits 2021 bauen. Der NABU und das "Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbeltquerung" sehen gravierende Auswirkungen auf das Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt sowie benachbarte Vogelschutzgebiete. Zudem bezweifeln sie grundsätzlich den Verkehrsbedarf des Milliardenprojekts. Die Fährunternehmen fürchten den Verlust von Arbeitsplätzen. Der NABU sammelte knapp 100.000 Unterschriften gegen das aus seiner Sicht überdimensionierte Projekt.
Die Problematik der Altlasten war den verantwortlichen Behörden seit Jahren bekannt. Das Argument der Bundesregierung, die Sprengung im Sommer 2019 biete die "sofortige Möglichkeit zur Abwehr von Gefahr für Leib und Leben", erachtet der NABU als vorgeschoben und haltlos. Eher sei das NATO-Manöver vermutlich eine gute Gelegenheit gewesen, kostengünstig zu sprengen und aufwändige Abstimmungsprozesse mit Naturschutzbehörden zu umgehen. Vor allem aber droht als Folge der Munitionssprengungen der NATO und der Bundeswehr im Fehmarnbelt laut NABU eine erhebliche Umweltbelastung durch die massive Freisetzung von TNT und weiteren Reaktionsprodukten einer unvollständigen Verbrennung.
Wohl auch um die Truppe vor weiteren Negativschlagzeilen zu schützen, hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 22. September angeordnet, dass die Bundeswehrvorerst keine Unterwassersprengungen mehr durchführen soll. Für Herbst geplante Tests mit angebrachten Sprengsätzen an der früheren Marine-Fregatte "Karlsruhe" wurden damit gestoppt. Die Verteidigungsministerin sieht sich seither Berichten zufolge Gegenwind von Topmilitärs ausgesetzt.
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