Gesellschaft

Osteuropa: 30 Jahre Freiheitsversprechen und was daraus wurde

In Prag, der Stadt, wo im November 1989 die samtene Revolution begann, berichteten Journalisten aus Osteuropa über massive Einschränkungen der Pressefreiheit. Dabei habe die EU selbst dazu beigetragen und hätte wissen müssen, dass die neuen Oligarchen die Medien einschränken würden.
Osteuropa: 30 Jahre Freiheitsversprechen und was daraus wurde© Quelle unbekannt - Ulrich Heyden

"Das Abhören und Beschatten von Journalisten in Moldau ist zur Norm geworden", berichtete die Journalistin Natalja Skurtul am 27. November auf einer Pressekonferenz osteuropäischer Journalisten im "Europäischen Haus" in Prag. Das "Europäische Haus" ist ein Informationsbüro von Europäischem Parlament und EU-Kommission.

Kritische Journalisten in Moldau würden mit Aufnahmen von intimen Szenen erpresst, berichtete Skurtul weiter. Das Gesetz zum Schutz von Journalisten sei in Moldau noch kein einziges Mal angewendet worden.

Eingeladen zu der Pressekonferenz zum Schutz des freien Wortes hatte Jaromír Kohlíček, der für die Kommunistische Partei Böhmen und Mähren im Europa-Parlament sitzt. Journalisten aus Moldau, der Ukraine, der Slowakei, Tschechien, Lettland, der selbsternannten Volksrepublik Donezk, Russland, Deutschland und Serbien berichteten über die Lage der Pressefreiheit in ihren Ländern.

Tschechische Medien wie der Fernsehkanal Prima und die regierungskritische Tageszeitung Halo Noviny berichteten von der Konferenz.

Zwiespältiges Verhältnis der EU zur Pressefreiheit

Die Berichte der Journalisten brachten neue, von den großen Medien in Deutschland verschwiegene Fakten zu Tage. Fast überall gibt es einen starken Druck auf das freie Wort. Die Berichte zeigten, dass es an der Zeit ist, einmal Bilanz zu ziehen und der Frage nachzugehen, woran es liegt, dass die Lage für Journalisten in Osteuropa immer schwieriger wird.

Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass die Europäische Union selbst mit dazu beiträgt, dass die Freiheit des Wortes eingeschränkt wird. Hat man die ungestüme Herausbildung kapitalistischer Systeme in Osteuropa in den 1990er Jahren nicht bejubelt? Dass die neuen Oligarchen die Medien dann wieder an die Kette legten, wie zu sozialistischen Zeiten, war das nicht eine zwangsläufige Folge von unkontrolliertem Kapitalismus und dem Fehlen von wirksamer öffentlicher und auch staatlicher Kontrolle?

Die EU nimmt ihre Prinzipien nicht ernst. Für Osteuropa galt und gilt immer noch als wichtigste Maxime die "Befreiung" vom russischen Einfluss. Ob die demokratischen Standards dabei eingehalten werden und wer die Medien kontrolliert, spielte in der Realpolitik von Brüssel und Berlin eine untergeordnete Rolle.

Forderungen gegen Ungarn – schweigen über die Ukraine

Das Verhältnis der EU zur Freiheit des Wortes ist zwiespältig. Gegenüber den EU-Mitgliedern Polen und Ungarn, die in der Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 58 und 73 rangieren – Deutschland steht auf Platz 15 – spielt sich Brüssel als Lehrmeister des freien Wortes auf. Zur katastrophalen Situation bei den EU-Anwärtern Ukraine und Moldau schweigt Brüssel dagegen.

Wegen der Einschränkung der Pressefreiheit fordert die Grünen-Abgeordnete im Europa-Parlament Barbara Lochbihler, Ungarn, Polen und die Slowakei durch Geldentzug wegen der Einschränkung der Pressefreiheit zu bestrafen. In die Ukraine, in der seit vier Jahren Oppositionelle und kritische Journalisten in Angst vor rechtsradikalen Schlägertrupps leben, fließen weiter EU-Gelder, ohne dass Brüssel die Einhaltung der Pressefreiheit einfordert.

Von eigener Schuld wollen westliche Institutionen und Menschenrechtsorganisationen nichts wissen. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, sieht den Westen ohne Schuld. In der Pose des "besseren Europäers" erklärt er gegenüber der Deutschen Welle, man habe es in Osteuropa "mit noch nicht gefestigten Demokratien zu tun deren EU-Mitgliedschaft womöglich zu früh begann."

In den 1990er Jahren verbesserte sich die Situation für Journalisten in Osteuropa zunächst. Sie konnten ungehinderter schreiben. Doch jetzt verdüstert sich das Bild zusehends. In der Slowakei wurde im Februar dieses Jahres der erste Journalist zusammen mit seiner Freundin ermordet. Der 27 Jahre alte Journalist Jan Kuciak recherchierte über Steuerhinterziehung bekannter Unternehmer, die italienische Mafia und die Veruntreuung von EU-Geldern. Auf Grund von Protesten mussten in der Slowakei der Ministerpräsident, der Innenminister und der Polizeichef zurücktreten.

Polizeistaatsmethoden in der Republik Moldau

Die Regierung der Republik ist westlich orientiert und möchte so schnell wie möglich eine EU-Mitgliedschaft für ihr Land. Doch in Moldau gibt es schlimmste Willkür und Methoden wie in einem Polizeistaat.

Die freie Journalistin Natalja Skurtul, die in der international nicht anerkannten Republik Transnistrien lebt, aber auch für Medien in Moldau tätig ist, berichtete in Prag, dass moldauische Journalisten, wenn sie aus dem Ausland nach Chișinău zurückkommen, auf dem Flughafen ihre Videos von der Polizei kontrollieren lassen müssen. Ukrainischen und russischen Journalisten würde – je nach ihrer politischen Einstellung – am Flughafen von Chișinău die Einreise in das Land verweigert, selbst wenn es einen Interview-Termin beim Präsidenten der Republik Moldau gibt. Der Präsident von Moldau, Igor Dodon, vertritt im Gegensatz zur Regierung eine Russland-freundliche Position.

Als am 3. Mai 2018 30 Journalisten vor dem Parlaments- und Regierungsgebäude für Pressefreiheit, Sicherheit für Journalisten und das Aufbrechen des oligarchischen Monopols auf dem Medienmarkt demonstrierten, sei die Aktion vom Parlaments-Sprecher scharf kritisiert worden.

Der Medienmarkt in Moldau werde vollständig von Oligarchen kontrolliert, erklärte die Journalistin. Die Oligarchen versteckten sich hinter der geopolitischen Spaltung des Landes. Schon mehrmals seien dem Präsidenten auf Veranlassung der Regierung für eine bestimmte Zeit die Amtsvollmachten entzogen worden, weil er nicht bereit war, unpopuläre Entscheidungen mitzutragen.

Natalja Skurtul verschwieg nicht, dass es auch in der international nicht anerkannten Republik Transnistrien Probleme gibt. In Transnistrien werde der Großteil des Medienmarktes von Oligarchen kontrolliert.

Ukrainischer Journalist Kozaba fordert Solidarität

Der ukrainische Journalist Ruslan Kozaba, der nach dem Staatsstreich in Kiew wegen eines Aufrufs zur Kriegsdienstverweigerung 524 Tage im Gefängnis saß und dem jetzt eine Anklage wegen Landesverrat droht, berichtete auf der Konferenz in Prag, welchen Repressionen der Fernsehkanal NewsOne ausgesetzt ist, für den er arbeitet. "Der Fernsehkanal soll geschlossen werden." Schon jetzt sei die Lage so, dass die Journalisten von NewsOne faktisch nicht im Regierungsviertel arbeiten können. "Kaum taucht dort ein Kamera-Team von uns auf, schickt die Macht Neonazis, die unter Kontrolle des Geheimdienstes stehen. Diese Neonazis greifen unsere Journalisten an." Selbst Frauen würden angegriffen.

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Die Maidan-Revolution habe – so Kozaba – zu einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise geführt. Die Ukraine habe "international einen Spitzenplatz bei Korruption, Kindersterblichkeit, bei Krankheiten wie Tuberkulose und HIV-Erkrankungen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Ukraine verbessert. Die Gesundheitsversorgung ist nicht mehr funktionsfähig. Ich nenne das einen Genozid."

Kozaba berichtete von weiteren Fällen der Journalistenverfolgung in der Ukraine. Die Journalisten Wasili Murawitzki und Dmitri Wasilеz saßen mit der Beschuldigung, sie hätten für prorussische beziehungsweise separatistische Medien gearbeitet, im Gefängnis. Seit Mai dieses Jahres sitzt wegen angeblichen Landesverrats der Büroleiter der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, Kirill Wischinski, hinter Gittern.

Ruslan Kozaba beendete seine Rede mit einem Aufruf an Politiker und Personen des öffentlichen Lebens in Tschechien, die den Maidan in Kiew unterstützt hatten. Karel Schwarzenberg, Ivan Gabal, Fedor Gala und Michael Kocab sollen "uns ukrainischen Journalisten helfen, die Grundlagen der Demokratie vor der jetzigen ukrainischen Macht zu schützen."

Repressionen gegen russischsprachige Journalisten in Lettland

Der Journalist Aleksandr Malnatsch, der in Riga lebt und für das Internet-Portal Baltnews arbeitet, fuhr zu der Konferenz nach Prag, weil die lettische Regierung gegen den ursprünglich eingeladenen bekannte Menschenrechtler und Journalisten Aleksandr Gaponenko ein Ausreiseverbot verhängt hatte.

Ein weites Opfer von Repression – so berichtete Malnatsch – ist der Journalist Juri Aleksejew, der vor acht Jahren das populäre Internet-Portal imhoclub gründete. Gegen Aleksejew laufen Verfahren wegen "Schüren von Hass auf andere Nationalitäten", "Tätigkeit gegen Lettland", "Hilfe ausländischer Staaten bei gegen Lettland gerichtete Tätigkeiten", "Lagerung von Waffen" – bei einer Hausdurchsuchung "fand" die Polizei in einer Lampe eine Patrone – und "Lagerung von Kinderpornographie" – in seiner Wohnung wurden Fotos von seinen Kindern gefunden. Aleksejew wurde jegliche journalistische Tätigkeit verboten.

Die Repressionen gegen Journalisten gingen einher mit einer sich rapide verschlechternden wirtschaftlichen Situation und einem Zurückdrängen der russischen Kultur, berichtete der Journalist. Im Herbst letzten Jahres beschloss die lettische Regierung, dass an den Schulen nicht mehr in russischer Sprache unterrichtet wird. Im Mai kündigte der lettische Innenminister Rihards Kozlovskis an, man werde auf keinen Fall zulassen, dass sich die Protestbewegung gegen die Abschaffung der russischen Sprache an den Schulen ausweite.

Journalist Babitsky: "Russlands Medienlandschaft ist lebendig"

Mit Spannung erwartet wurde, was der – neben Kozaba – zweite prominente Journalist, Andrej Babitsky, zur Pressefreiheit in Russland und der international nicht anerkannten Volksrepublik Donezk sagen würde. Babitsky hatte von 1989 bis 2014 für den US-Auslandssender Radio Liberty gearbeitet, zuletzt als Abteilungsleiter für den Kaukasus im Prager Büro des US-Senders. Als der Journalist 2014 das Referendum auf der Krim und die Vereinigung der Halbinsel mit Russland begrüßte, wurde er von Radio Liberty entlassen.

Die Medienlandschaft in Russland sei "lebendig und vielfältig", erklärte Babitsky. Der Vorwurf der russischen Liberalen, in Russland gäbe es kein "freies Wort", sei unbegründet. Obwohl bei den Präsidentschaftswahlen nur wenige Prozent für liberale Kandidaten stimmten, gäbe es in Russland mehrere liberale Medien wie den Fernsehkanal Doschd, Radio Echo Moskwy – der vom staatlichen Gazprom-Konzern finanziert wird – und das Sankt Petersburger Internet-Portal Fontanka.ru. Außerdem gäbe es im Internet zahlreiche Auftritte russischer Blogger, in denen Putin und das russische System scharf kritisiert werden. Einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten, Aleksej Nawalny, habe seinen Youtube-Kanal.

Die Aussage von Babitsky lässt sich durch statistische Zahlen belegen. Der Kanal "Navalny Live" hat 649.000 Abonnenten und steht im Rating der populären russischen Video-Kanäle auf Platz sieben, gleich hinter den großen russischen Fernsehkanälen. Im russischsprachigen Internet gibt es eine Vielzahl von zum Teil sehr professionell gemachten Internet-Plattformen und Video-Kanälen, welche zum Teil in Eigenarbeit und finanziert durch Spenden betrieben werden. Neben liberalen und rechten Auftritten ist auch das linke Spektrum gut vertreten. Der Videokanal des bekannten Politologen Boris Kagarlitsky "Rabkor" ist mit 22.000 Abonnenten ein kleiner Fisch.

Wesentlich höhere Zugriffszahlen erreicht der Video- und Fernsehjournalist Konstantin Sjomin mit 156.000 Abonnenten. Noch besser schneidet der Journalist Maxim Schewtschenko mit 178.000 Abonnenten ab. 

"Die Liberalen haben keine Geldprobleme"

Dass die liberalen Medien in Russland keine finanziellen Probleme haben, belegte Babitsky mit einem Beispiel. Innerhalb von wenigen Tagen habe die Herausgeberin der 2017 eingestellten Zeitschrift The New Times, Jefgenja Albats, zwanzig Millionen Rubel (266.000 Euro) Spendengelder eingesammelt. Mit diesem Geld konnte sie Strafen bezahlen, welche die russischen Behörden gegen The New Times verhängt hatten.

Die Strafen mussten bezahlt werden, weil das Wochenmagazin die Überweisungen von ausländischen Geldgebern den russischen Behörden nicht rechtzeitig mitgeteilt hatte, wie es nach dem 2014 beschlossenen russischen NGO-Gesetz vorgeschrieben ist.

Aus dem Publikum auf die Situation in der "Volksrepublik Donezk" (DNR) angesprochen – wo Babitsky seit 2014 lebt und arbeitet – berichtete der Journalist, unter Präsident Aleksandr Sachartschenko, der im August einem Attentat zum Opfer fiel, seien die Medien nach "sowjetischen Methoden" geführt worden. "Zweimal in der Woche wurden die Chefredakteure zusammengerufen, um ihnen mitzuteilen, welches Foto von Aleksandr Sachartschenko auf der Titelseite und welches auf der zweiten Seite erscheinen muss.

Seit Kurzem verbessere sich die Situation für die Medien in der "Volksrepublik Donezk" jedoch, berichtete Babitsky. So hätten während der Präsidentschaftswahlen in der DNR sehr viele Bürger ihre Unzufriedenheit über den Wahlsieger, Denis Puschilin, geäußert. Auf Youtube-Kanälen hätten Bürger der DNR scharfe Kritik geäußert, dass Puschilin als Präsident nicht geeignet sei. Die Regierung der DNR habe gegen diese Kritiker keinerlei Maßnahmen ergriffen.

Die europäische Öffentlichkeit muss endlich aufwachen

Soviel steht fest: Solange sich die liberale Öffentlichkeit in Deutschland weigert, sich den Realitäten in Osteuropa zu stellen und nicht nur nach Ungarn und Polen, sondern auch nach Lettland, die Ukraine und Moldau guckt, kann Brüssel ungehindert seine Politik fortführen, die vor allem darauf ausgerichtet ist, die EU gegen den Hauptfeind Russland abzuschotten und dabei auch Demokratie-Einschränkungen in Kauf zu nehmen.

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