Margot Käßmann äußert Unbehagen über die Militarisierung Deutschlands
Von Astrid Sigena
Am 15. November 2024 hat Altbischöfin Margot Käßmann, die ehemalige Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche und frühere Ratsvorsitzende der EKD, in einem Aufsatz für die Reihe Aus Politik und Zeitgeschichte ihre Bedenken über die derzeitige Entwicklung hin zum Bellizismus geäußert. Überschrieben ist er mit "Schleichende Militarisierung. Beobachtungen zur Veränderung der Zivilgesellschaft". Allerdings ist diese Militarisierung Deutschlands eigentlich gar nicht so schleichend, sondern sie schreitet mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit voran.
Schon im ersten Absatz widerspricht Käßmann (ohne ihn beim Namen zu nennen) dem evangelischen Militärbischof Bernhard Felmberg, der für die Neuorganisation der "Seelsorge und Akutintervention im Spannungs- und Verteidigungsfall" verantwortlich zeichnet. Dieser hatte in einem Vergleich, der so hanebüchen war, dass man dem Bischof ein gewisses Unbehagen bei seinem Unterfangen anmerken konnte, behauptet: "Daraus können wir aber nicht den Umkehrschluss ziehen: Wenn du dich für den Notfall vorbereitest, willst du den Notfall. Das wäre das (sic!) fatal und würde auch in völlig anderen Lebensbereichen vieles infrage stellen, vom Erste-Hilfe-Kasten im Auto über die Notfallhotline bis zur Brandschutztür." Die Vorbereitung auf einen immer wahrscheinlicher werdenden Krieg mit einem Erste-Hilfe-Kasten zu vergleichen, liegt derart daneben, dass man hier nicht einmal mehr von einem Äpfel-Birnen-Vergleich sprechen kann.
Käßmann zitiert dagegen die Ludwig Wittgenstein zugeschriebene Aussage, dass Sprache (erst) Wirklichkeit schaffe, und betont: "Und hier, in der Sprache, beginnt die Veränderung der Zivilgesellschaft: 'Helden', 'Blutzoll', 'Tapferkeit', 'Ehre', 'Soldateska', 'Schergen' – solche Begriffe sind inzwischen Teil des alltäglichen Sprachgebrauchs in den Medien geworden. Bei Landtagswahlen ist in den Kommentaren von 'Bollwerk' und 'Zweifrontenkrieg' die Rede. Der Begriff 'Verhandlungen' wird mitunter in Anführungszeichen gesetzt. Außenministerin Annalena Baerbock erklärt sinngemäß, wir dürfen nicht 'kriegsmüde' werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius meint gar, wir müssten 'kriegstüchtig' sein." Hier bedürfe es der Sensibilität der Zivilgesellschaft. Man möchte noch hinzufügen: Verrohung beginnt mit der Sprache und kann in katastrophalen Grausamkeiten enden. Und für den Krieg gilt eher, was der Volksmund über den bösen Widersacher zu berichten weiß: Wenn man den Teufel nennt, kommt er gerannt!
Nun ist Käßmann keine Freundin der russischen Politik. Auch sie spricht von einem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, widerspricht der Einschätzung Wladimir Putins als Kriegsverbrecher nicht und versteigt sich sogar zu der Äußerung, die Rechtfertigung der Speziellen Militäroperation durch den Patriarchen Kyrill sei Gotteslästerung. Wie könne sich Russland nur von westlichen Werten wie Freiheit, Gleichberechtigung und der Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften angegriffen fühlen! Natürlich darf auch nicht der obligatorische Hinweis auf die "Populisten" fehlen, denen das Friedensthema nicht überlassen bleiben dürfe.
Es würde zu weit führen, Käßmanns in die Tiefe gehende Ausführungen hier ausführlich wiederzugeben. Sie sind auf jeden Fall sehr lesenswert. Margot Käßmann bringt nahezu unzählige Beispiele für die bedenkliche Entwicklung Deutschlands in Richtung Krieg. Einige seien dennoch hier genannt: die Zusammenarbeit von Schulen und Hochschulen mit Jugendoffizieren und Militär, die zum Teil sogar zur Pflicht erklärt worden ist; die Forderung von Politikern nach einer totalen Einbeziehung der Gesellschaft im Rahmen der anzustrebenden Kriegstüchtigkeit; die Einführung eines Veteranentages; die (zurückgenommene) Änderung des Traditionserlasses der Bundeswehr (harmlose Würdigung der militärischen Leistungen der Altvorderen oder Rechtfertigung national-sozialistischer Kriegsführung durch die Hintertür? – die Gesellschaft ist sich da uneins); die schwierige, teils sich verschärfende Lage russischer und ukrainischer Kriegsdienstverweigerer in der BRD; die ungeheure Steigerung der Rüstungsausgaben in Deutschland und weltweit; die provokanten NATO-Manöver an der Ostflanke; die geplante Stationierung von landgestützten US-Langstreckenraketen in Deutschland, ohne dass diese Entscheidung überhaupt richtig in Politik und Gesellschaft diskutiert wurde; die haarsträubende Tatsache, dass jetzt wieder (wie im Zweiten Weltkrieg) deutsche Panzer gen Osten rollen; die mediale Diffamierung von Friedensbewegten und Skeptikern bezüglich der Waffenlieferungen für die Ukraine; die Verweigerung im Mainstream-Diskurs, die Vorgeschichte des Ukrainekrieges zu beleuchten (Stichwort: NATO-Osterweiterung) und, und, und. Wie bei einer Bischöfin nicht anders zu erwarten, finden sich auch Überlegungen theologischer Art.
Gegen Ende des Artikels redet Margot Käßmann ihren Bischofskollegen noch einmal direkt ins Gewissen – man möchte fast sagen: mit brennender Sorge, wenn der Begriff nicht schon historisch vorbelastet wäre. "Dass die evangelische Militärseelsorge kürzlich erklärt hat, sie bereite sich auf einen möglichen Verteidigungsfall vor und sei dabei, einen 'geistlichen Operationsplan Deutschland' zu erarbeiten, der festlege, wie die Kirche im Kriegsfall handeln könne, zeugt bedauerlicherweise nicht von unbedingtem Friedensengagement der Kirchen, sondern von einer Vorbereitung auf Krieg."
Man muss keine Pazifistin sein wie Altbischöfin Käßmann, um sich vor einem kriegstüchtigen Deutschland zu fürchten. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Worte diesmal mehr Einsichtige erreichen werden als vor über zehn Jahren, als sie meinte, für die Taliban zu beten sei besser, als sie zu bombardieren. Damals wurde sie mit scharfer Kritik, ja sogar mit Hohn regelrecht überschüttet. Heute finden sich kaum noch Befürworter für den Krieg in Afghanistan. Allerdings ist Afghanistan weit weg, auch wenn ein SPD-Politiker damals meinte, Deutschlands Sicherheit müsse auch am Hindukusch verteidigt werden. Auf einen Krieg mit Russland sollten wir es besser nicht ankommen lassen.
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