Studie: Massentierhaltung birgt Gesundheitsrisiken – Schweinehalter wollen mehr schlachten
Während der nun selbst samt zahlreicher Mitarbeiter mit dem Coronavirus infizierte US-Präsident Donald Trump schwört, China für die Pandemie "bezahlen zu lassen", lohnt wohl ein Blick auf die eigenen "Sauereien", auch im Westen. Denn die in der Landwirtschaft vieler Länder praktizierte und zudem subventionierte Massentierhaltung, in der Tausende von Tieren auf engem Raum gehalten werden, stelle den idealen Nährboden für die Entstehung weiterer neuartiger Viren dar, wie es in einem Bericht der Humane Society International heißt.
UN-Experten hatten bereits früher gesagt, dass die industrielle Tierhaltung im vergangenen Jahrzehnt die meisten neuen Infektionskrankheiten beim Menschen verursacht und das Risiko neuer Pandemien birgt.
Das Weißbuch der Humane Society International verweist auf die künftigen Risiken durch eine Zunahme von Infektionskrankheiten (EIDs). Ein Großteil der neuen Krankheitserreger beim Menschen und die jüngsten Pandemien sind demnach Viruserkrankungen, wie beispielsweise Ebola, das erworbene Immundefektsyndrom (AIDS), das Schwere Akute Respiratorische Syndrom (SARS) und die Vogelgrippe (HPAI).
As this excellent @NRO article documents, the bravery and efficacy of animal rights activists — taking on one of the most powerful and toxic industries in the world, which harm humanity and the planet on every level — deserves far more attention. https://t.co/d8lavM5YEN
— Glenn Greenwald (@ggreenwald) October 6, 2020
Im Jahr 2018 wurden weltweit fast drei Milliarden Enten, über sieben Milliarden Hühner, fast 1,5 Milliarden Schweine und über 68 Milliarden Masthühner geschlachtet. Zwar gibt es andere Bereiche für das Entstehen und die Ausbreitung von Krankheiten, doch verändere die Intensivierung der Fleischproduktion die Dynamik viraler Wirte und schaffte neue Wege für die Verbreitung von Viren und die Entwicklung neuer Virusstämme.
Die Humane Society International identifiziert fünf zentrale "Pandemierisiken" durch die Massentierhaltung, eine Art "Petrischale" für das Ausbrechen, die Mutation und die Verbreitung von Krankheitserregern.
Zum einen die Virusübertragung durch die Ausdehnung von Betrieben in ehemals wilde Gebiete, wodurch Wild- und Haustierarten erst in Kontakt miteinander kommen. Zudem die Erzeugung neuer Virusstämme durch das Einsperren einer großen Anzahl gestresster Tiere in Innenräumen; eine dichte geografische Konzentration von Betrieben, die das Risiko der Verbreitung von Krankheitserregern erhöht; außerdem den Tierhandel mit lebenden Tieren zwischen Ländern und Kontinenten, wodurch sich Krankheitserreger ausbreiten können; und schließlich Märkte für lebende Tiere, Landwirtschaftsmessen und Auktionen, mit denen "Knotenpunkte" geschaffen werden, sodass Tiere von vielen verschiedenen Orten in die Nähe der Öffentlichkeit gebracht werden, wo sich Viren vermehren können.
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Auch die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Fleischindustrie, in der häufig osteuropäische Menschen geradezu entrechtet werden, stehen seit Längerem in der Kritik, insbesondere seit sich am prominenten Fall Tönnies zeigte, wie dadurch die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt wird. Trotz der Erkenntnisse scheint sich bisher nicht allzu viel geändert zu haben, die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen gegen den Missbrauch von Subunternehmen sollen ab Januar 2021 greifen.
In einem Schlachtbetrieb der Tönnies-Gruppe im niedersächsischen Sögel waren bis Donnerstag 112 Beschäftigte mitCorona infiziert. Während sich der Fleischkonzern Tönnies weigert, die den vom früheren Corona-Ausbruch betroffenen Kommunen um Rheda-Wiedenbrück entstandenen Kosten in Millionenhöhe voll zu begleichen, hat das nun im niedersächsischen Betrieb losgetretene "dynamische Infektionsgeschehen" Auswirkungen auf das gesamte Kreisgebiet Emsland, wo sich die Inzidenz innerhalb kurzer Zeit stark erhöhte. Schüler und Lehrer mussten daher auch während des Unterrichts in den Klassenräumen einen Mund-Nasen-Schutz tragen, weitere Maßnahmen betreffen Veranstaltungen.
VdK-Präsidentin Bentele fordert, dass die hohen Infektionszahlen im Fleischkonzern #Tönnies ein politisches Nachspiel haben. „Wir dulden seit Jahren Lohn- und Sozialdumping mitten unter uns. Das muss sofort ein Ende haben." https://t.co/91Gt0O6sHv
— Sozialverband VdK (@VdK_Deutschland) October 5, 2020
Die Ware Tier staut sich nach Verbreitung von Viren
Die Folgen der Ausbrüche betreffen wiederum die Mastbetriebe. Aktuell fordern die niedersächsischen Schweinehalter und die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) in einem Brief an Ministerpräsident Stephan Weil ein "Bündel an Maßnahmen", da sie sich in einer "akuten und existenzgefährdenden Notlage" befänden. Neben der "ruinösen Preissituation" wüssten immer mehr von ihnen gar nicht mehr wohin mit den Schweinen, da Schlacht- und Zerlegekapazitäten" fehlten. Außer den Folgen der COVID-19-Pandemie und den damit verbundenen Auflagen verstärken die Einfuhrverbote für deutsches Schweinefleisch in vielen Ländern nach dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP), ebenfalls eine Virusinfektion, den "Angebotsüberhang".
Als Lösung schlagen die Schweinehalter vor, Arbeitszeit auf Sonn- und Feiertage auszuweiten, Schlacht- und Zerlegezeiten zu verlängern und die Schlachtobergrenzen temporär auszusetzen oder zu erweitern. Auch ein zum Tönnies-Konzern gehörender Betrieb im Emsland muss zum Wochenende für drei Wochen komplett schließen, Tönnies kündigte Rechtsmittel dagegen an.
Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast kündigte noch drastisch verschärfte Tierschutzprobleme an, weil die Ware Schwein sich nun staut: "Wir werden in den nächsten Wochen ein gravierendes Tierschutzproblem in vielen Ställen bekommen."
Sollten die Schlacht- und Zerlegekapazitäten nicht schnell wieder aufgestockt werden, könnte zu Weihnachten weit über eine Million Schweine in den Ställen stehen, warnte ISN-Geschäftsführer Torsten Staack.
Bauernpräsident Joachim Rukwied forderte, alle Möglichkeiten zu nutzen, den "Schweinestau" in den Ställen abzubauen. In der Neuen Osnabrücker Zeitung sprach er sich für Wochenendarbeit in den deutschen Schlachthöfen aus und sprach von "Kompromissbereitschaft", auch um das "Tierwohl weiter gewährleisten zu können".
Wie die Schweinehalter plädierte auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) für Ausnahmegenehmigungen für Sonn- und Feiertagsarbeit. Außerdem müsse alles getan werden, um einen weiteren Zuwachs in den Ställen zu verlangsamen. Am Freitag trifft sich Klöckner mit ihren Amtskolleginnen aus NRW und Niedersachsen.
Auch um Auswege aus diesem Kreislauf zu finden, soll seit September eine Regierungskommission mit Vertretern von Landwirtschaft, Handel und Ernährungsbranche, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützern sowie Wissenschaftlern nach gemeinsamen Wegen aus dem Dilemma suchen. Zum Auftakttreffen bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderten Umwelt- und Verbraucherschützer neue übergreifende Lösungen, die für die Bauern aber auch finanzierbar sein sollen. Klöckner betonte, dass die Wirtschaftlichkeit bei allem Umwelt- und Tierschutz Vorrang haben müsse, und warnte, dass Ökologie allein, die sich nicht rechnet, am Ende zur Aufgabe von Betrieben führen werde.
Einen Zwischenbericht soll die "Zukunftskommission Landwirtschaft" noch im Herbst vorlegen, den Abschlussbericht mit Empfehlungen dann im Frühsommer 2021. Merkel hatte das beratende Gremium Ende des vergangenen Jahres angesichts bundesweiter Bauernproteste vorgeschlagen.
Der Chef der Organisation Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Klaus Müller, sagte der dpa, Deutschland brauche eine ökologisch, sozial und ökonomisch zukunftsfähige Landwirtschaft. "Nur so wird sie breite gesellschaftliche Akzeptanz erfahren."
Martin Kaiser, Geschäftsführer der Umweltorganisation Greenpeace, betonte: "Landwirtschaft ist für uns alle lebenswichtig. Sie darf ihre eigenen Grundlagen nicht länger zerstören." Er verwies dabei auf eine politische Ursache des Dilemmas: Laut Kaiser fördert die derzeitige Landwirtschaftspolitik mit Milliarden an Steuergeldern Monokulturen und Massentierhaltung und damit eine Landwirtschaft, die natürliche Ressourcen übernutzt und dem Klima massiv schadet. Er wolle sich in der Kommission dafür einsetzen, die Landwirtschaft ökologisch auszurichten und umweltschädliche Subventionen abzubauen. "Die dafür benötigte Finanzierung für die Bäuerinnen und Bauern muss schnell auf den Weg gebracht werden", sagte Kaiser.
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