Europa

Bergamo: Die Stadt, in der die Totenglocken ständig läuten

Die Menschen ohne Angehörige sterben "wie die Hunde", berichten Einwohner. Die Krematorien kommen nicht mehr nach. Italien zählt nun sogar schon mehr Corona-Tote als China. Die Region um Bergamo ist Europas Epizentrum der Krise – auch, weil Fehler begangen wurden.
Bergamo: Die Stadt, in der die Totenglocken ständig läutenQuelle: www.globallookpress.com © Claudio Furlan / Keystone Press Agency

Für all die Toten ist seit Tagen kein Platz mehr. Das Militär muss die Särge in Krematorien anderer Städte schaffen. Denn in Bergamo weiß man sich nicht mehr zu helfen. Hier in der Gegend um die 120.000-Einwohner-Stadt nahe Mailand liegt das Epizentrum der Krise seit dem Ausbruch des Coronavirus in Europa. Hier erleben die Menschen Tag für Tag, dass das Virus keine ferne Bedrohung ist. Und hier machen sie die bittere Erfahrung, was es bedeutet, wenn man zu lange gewartet und die Gefahr unterschätzt hat.

Nicolas Facheris hat seit Tagen nicht mehr geschlafen, er arbeitet rund um die Uhr. Er ist Bestatter in dem Ort Madone in der Provinz Bergamo.

Am Montag hatte ich einen Nervenzusammenbruch", berichtet er der Nachrichtenagentur Ansa. "Wir sehen kein Ende. Und wir leben in der Angst, dass das Telefon wieder klingelt."

Auf Nachfrage, mit ihm persönlich zu sprechen, sagt er: "Ich habe jetzt leider keine Zeit."

In Bergamo gibt es mehr als 4.300 erkannte Infizierte, so viele wie in keiner anderen Provinz in Italien. Der dpa sagt Gloria Zavatta, die Präsidentin der Hilfsorganisation Cesvi: "Alleine letzte Woche hatten wir in der Stadt Bergamo 300 Tote... Wir haben einen dramatischen psychologischen Stress." Die Familien könnten ihre Lieben im Krankenhaus nicht besuchen und sie auch nicht beim Sterben begleiten.

Das kommunale WLAN wurde abgestellt

Bürgermeister Giorgio Gori geht davon aus, dass viel mehr Menschen mit dem Virus infiziert sind. Und dass viel mehr an ihm gestorben sind, aber gar nicht im Krankenhaus behandelt werden konnten.

Er hat das kommunale WLAN abgestellt, damit sich die Leute nicht an diesen Plätzen versammeln. Er hat die Bürger ein ums andere Mal zum Zuhausebleiben aufgerufen. Er hat die Spielautomaten in den Tabakläden, die noch öffnen dürfen, geschlossen – damit die Menschen nicht aus Langeweile an Automaten zocken und sich gegenseitig anstecken. Es hat nichts genutzt.

Die Öfen der Krematorien laufen ununterbrochen, Beerdigungen werden nicht mehr gefeiert, und wir machen jede halbe Stunde eine Bestattung. Es ist unvorstellbar", sagte er der Zeitung La Repubblica.

Die Regierung in Rom hat zwar die unweit liegende Provinz Lodi gleich nach Bekanntwerden der ersten Fälle auch dort nach dem 21. Februar zur Sperrzone erklärt und das Gebiet abgeriegelt. Damit hat sich die Lage mittlerweile etwas stabilisiert. Doch Bergamo gehörte nicht zur "Zona Rossa". Die Ansteckungszahlen explodierten wenig später förmlich.

Die Einwohner wurden erst im Zuge der landesweiten Sperren am 10. März unter Quarantäne gestellt, zu spät. Die Leichen mussten nun sogar in Kirchen deponiert werden. Die Lokalzeitung Eco di Bergamo hatte unlängst elf Seiten Todesanzeigen. Bürgermeister Gori ruft daher auch die Verantwortlichen im Ausland auf, nicht die gleichen Fehler wie in Italien zu machen. Das soll heißen: Nicht zu lange mit drastischen Sperrmaßnahmen warten!

Auch jetzt halten sich viele Italiener immer noch nicht an die rigiden Ausgangssperren

Ärzte in Bergamo schlugen schon Anfang März Alarm – so zum Beispiel Daniele Macchini mit einem Brandbrief auf Facebook. "Ich verstehe, dass es notwendig ist, keine Panik zu machen", schrieb er. "Aber (...) wenn ich immer noch Menschen höre, die sich einen Dreck um die Empfehlungen scheren, und Menschen, die andere um sie herum versammeln und sich beschweren, dass sie nicht ins Fitnessstudio gehen oder Fußballturniere spielen können, dann erschaudere ich."

Auch jetzt halten sich viele Italiener immer noch nicht an die rigiden Ausgangssperren, finden Ausreden, doch nach draußen zu gehen.

Der Arzt Stefano Fagiuoli vom Krankenhaus Papa Giovanni XXIII. in Bergamo richtet nun eine englische Video-Nachricht an die Welt. "Erste Botschaft: Bleibt zuhause." Die zweite: Das Krankenhaus sucht "verzweifelt" Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte. Einige haben sich aus China auf den Weg gemacht. Doch das reicht nicht. Außerdem ruft er zu Spenden auf, auch von Beatmungsgeräten und Schutzkleidung für das medizinische Personal. Schon der Regionalpräsident der Lombardei, Attilio Fontana, hatte gewarnt, dass es bald keine Möglichkeiten mehr für die Behandlung aller Patienten geben werde.

"Alle sterben wie die Hunde", berichtet Roberta Zaninoni verzweifelt in einem Videoappell. Ihr Vater ist eines der Hunderten Opfer der Provinz Bergamo. "Er war nicht alt. Und er war nicht krank." Auch jüngere Menschen würden sterben. Sie hätte das alles auch am Anfang unterschätzt. Doch nun seien ironische Videos und Witze über das Virus nicht angebracht: "Hier hört man nur noch Sirenen der Ambulanzen und Totengeläut."

Mehr zum Thema - Wer stirbt in Italien an COVID-19 und warum? Eine Analyse des italienischen Gesundheitsinstituts

(Annette Reuther, dpa)

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.