Europa

Hier tricksen, da täuschen – Großbritannien hat seinen schmutzigen Wahlkampf

Am 12. Dezember wählen die Briten ein neues Parlament. Nach dem Chaos um das Brexit-Abkommen wurde allgemein ein "schmutziger Wahlkampf" erwartet. Vor allem die Tories unter Premierminister Boris Johnson geben sich redlich Mühe, den Erwartungen gerecht zu werden.
Hier tricksen, da täuschen – Großbritannien hat seinen schmutzigen WahlkampfQuelle: AFP

Stellen Sie sich vor, die SPD präsentiert ein neues Wahlprogramm und die CDU richtet umgehend eine Webseite ein, um sie davon abzuhalten, eben dieses Wahlprogramm zu finden. So geschehen in Großbritannien, wo die regierenden Tories unter Premierminister Boris Johnson eine Fake-Webseite einrichteten, die vorgibt, das Wahlprogramm der oppositionellen Labour-Partei zu präsentieren.

Unter der Webadresse "labourmanifesto.co.uk" findet sich jedoch nicht das Programm von Labour, sondern Wahlwerbung der konservativen Tories. Nicht nur das: Johnsons Partei bezahlte Google noch extra dafür, um die Webseite an die Spitze der Suchergebnisse unter dem Schlagwort "Wahlprogramm Labour" zu bringen. Die echte Seite von Labour findet sich hier.

Die Tories wurden seit Beginn dieses Wahlkampfes immer wieder scharf kritisiert, weil sie zum Teil mit grenzwertigen Mitteln vorgehen. Letzten Monat schnitten sich die Konservativen ein Video zurecht, und zwar so, dass es den Schattenbrexit-Sekretär Keir Starmer von der Labourpartei in einem Interview mit dem Sender ITV beim Thema Brexit als völlig verloren zeigt. Doch dem ist keineswegs so, wie die ungeschnittene Version belegt.

Ein weiteres Beispiel für die Schummeleien der Tories ist der Twitter-Account "factcheckUK". Während des ersten TV-Duells zwischen Boris Johnson und seinem Herausforderer Jeremy Corbyn änderte die Pressestelle der Konservativen kurzfristig ihren offiziellen Twitter-Account "CCHQ Press" in "factcheckUK" um. Dies könne leicht mit echten Faktencheck-Diensten wie Full Fact oder Fact Check verwechselt werden, monierte daraufhin die unabhängige Organisation Full Fact am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter.

Es ist unangemessen und irreführend für die Pressestelle der Konservativen, ihren Twitter-Account während dieser Debatte in 'factcheckUK' umzubenennen.

Twitter kündigte für einen Wiederholungsfall "entschlossene Gegenmaßnahmen" an. Die Labour-Partei sprach von einem "lachhaften Versuch" der Tories, die Zuschauer zu übertölpeln. "Man kann ihnen kein Wort glauben." Der Vorsitzende der Konservativen, James Cleverly, wies in einem BBC-Interview hingegen den Vorwurf der Irreführung brüsk zurück.

Nach dem Ende der Debatte im Fernsehsender ITV am Dienstagabend und Protesten wegen der neuen Bezeichnung benannte die Pressestelle ihren Account wieder in den ursprünglichen Namen um.

Bei so viel Wirbel um Wahlkampftricks gehen die eigentlichen Inhalte leider unter. Dabei gibt es klare Unterschiede in der Ausrichtung der beiden Parteien. In der TV-Debatte griff Johnson seinen Kontrahenten immer wieder scharf wegen dessen Versprechens eines zweiten Brexit-Referendums an. "Werden Sie für den Verbleib oder den Austritt werben?", fragte Johnson. Er selbst präsentierte sich als Macher, der mit seinem nachverhandelten Brexit-Deal dem leidigen Thema bald ein Ende setzen will.

Die Labour-Partei will die Briten innerhalb von sechs Monaten in einem Referendum vor die Wahl zwischen einem Brexit mit enger Bindung an die EU oder dem gänzlichen Verbleib in der Staatengemeinschaft stellen. Corbyn will sich aber nicht festlegen, ob er für oder gegen den Austritt werben würde. Die Weigerung Corbyns, sich klar zu positionieren, zieht sich mittlerweile durch den gesamten Wahlkampf und könnte Labour entscheidende Stimmen kosten.

Der Oppositionsführer blieb auch eine klare Antwort schuldig, wie er zu einer zweiten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands steht. Will er Premierminister werden, ist er auf die Unterstützung der Schottischen Nationalpartei (SNP) angewiesen, die ein baldiges neues Referendum über Loslösung von Großbritannien zur Bedingung macht.

Corbyn punktete jedoch mit dem Vorwurf, Johnson wolle den chronisch unterfinanzierten Nationalen Gesundheitsdienst NHS einem Handelsabkommen mit den USA opfern. Den Plan des Premierministers, die EU am 31. Januar 2020 mit seinem in Brüssel nachverhandelten Abkommen zu verlassen, bezeichnete Corbyn als "Unsinn". Johnson werde "mindestens sieben Jahre" zum Aushandeln eines Handelsdeals mit Washington brauchen. Und auch eine Übergangsphase bis Ende 2020 werde nicht ausreichen, um sich auf ein Abkommen über die künftigen Beziehungen mit der EU zu einigen.

Nach einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov war das Publikum in ungefähr gleiche Teile in der Frage gespalten, wer das TV-Duell für sich entscheiden konnte, jedoch mit leichten Vorteilen für Corbyn. Für Johnson, der als klarer Favorit in die Auseinandersetzung gegangen war, dürfte das ein herber Rückschlag sein.

Corbyn legte am Donnerstag noch einmal nach: Bei der Präsentation seines Wahlprogramms in der Universität von Birmingham sprach der Labour-Chef vom "radikalsten Umbauplan seit Jahrzehnten". Dieser werde auf großen Widerstand stoßen, denn "Banker, Milliardäre und das Establishment" strebten keinen Wandel an, da sie ein "korruptes System" aufgebaut hätten, das ihnen diene.

Corbyn will hunderte Milliarden Euro investieren, um eine "grüne industrielle Revolution" anzustoßen, die eine Million Arbeitsplätze in den deindustrialisierten Gebieten – vor allem in den gebeutelten "Midlands" und im Norden Englands – schaffen soll. Er will zudem gewaltige und vor allem rasche Investitionen in die Infrastruktur tätigen. Jedes Jahr sollen 100.000 neue Häuser im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gebaut werden.

Die Bahn, die Post und die Wasser- und Energiebetriebe sowie einen Teil der British Telecom sollen verstaatlicht werden. Rentner sollen mehr unentgeltliche Pflege in Anspruch nehmen können, Eltern mehr staatlich finanzierte Kinderbetreuung, Behinderte mehr Unterstützung. Viel Beifall bekam Corbyn in der Universität Birmingham für seine Ankündigung, dass Studenten unter einer Labour-Regierung keine Hochschulgebühren mehr bezahlen müssen.

Dafür sollen die "oberen fünf Prozent" der Einkommen zur Kasse gebeten werden. Zudem sollen auch große Unternehmen – insbesondere die "großen Verschmutzer in der Öl- und Gasindustrie", aber auch die großen Internetkonzerne wie Apple und Google – mehr Steuern zahlen. Bürger, die weniger als umgerechnet 93.000 Euro im Jahr verdienen, müssten sich nicht vor Einbußen fürchten, versprach Corbyn.

Ob das neue Wahlprogramm seine Wirkung entfaltet, bleibt abzuwarten. Mehrere Umfragen in Großbritannien – darunter auch die von YouGov – sehen weiterhin einen stabilen Vorsprung der Tories.

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