UN-Vertretung in der Ukraine fordert sofortige Löschung der Webseite mit Feindesliste
Der stellvertretende Leiter der UN-Überwachungsmission in der Ukraine, Benjamin Moreau, forderte die Rada-Abgeordneten dazu auf, die Schließung der ukrainischen Skandal-Webseite "Mirotworez" (Friedensstifter) einzuleiten.
Ich erinnere Sie immer wieder daran – die Webseite 'Friedensstifter'. Wie Sie wissen, enthält diese personenbezogene Daten von Einzelpersonen, einschließlich Journalisten, die gegen nationale Gesetze und internationale Normen verstoßen. Diejenigen, deren Daten auf der Webseite veröffentlicht werden, werden als Terroristen, Separatisten und Verräter bezeichnet. Die Offenlegung von Informationen über sie wiederum stellt eine Bedrohung für diese Personen dar", sagte Moreau im ukrainischen Parlament vor Abgeordneten.
Der UN-Sprecher erinnerte an den Mord an dem ehemaligen Milizsoldaten Roman Dschumajew in Mariupol, dessen Daten auf der Webseite veröffentlicht wurden. "Eine Untersuchung dieses Falles wurde eingeleitet, es wurden jedoch bisher keine Fortschritte erzielt. Leider bleiben die Kontaktdaten vieler Journalisten immer noch auf dieser Seite, was zu deren Gefährdung beiträgt. Deshalb fordern wir die Abgeordneten erneut dazu auf, die Schließung des Portals einzuleiten und die Untersuchung zu einem Abschluss zu bringen", fügte Moreau hinzu.
Zuvor berichtete die Nationale Polizei der Ukraine, dass Unbekannte einen Bewohner von Mariupol, der in den Konflikt im Donbass auf der Seite der Donezker Volkswehr verwickelt war, am 16. September vor der Haustür seiner Wohnung erschossen haben. Später gaben die Medien den Namen des Getöteten bekannt.
Im Jahr 2017 wurde der damals 26-jährige Roman Dschumajew auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet festgehalten und inhaftiert. Im August dieses Jahres hat das Gericht ihn entlassen und unter Hausarrest gestellt. Der Ombudsmann für Menschenrechte der nicht anerkannten Volksrepublik Donezk sagte, dass Dschumajew in die Liste für den Austausch von Gefangenen mit Kiew aufgenommen wurde.
Die Webseite Mirotworez ist seit dem Jahr 2014 bekannt für ihre skandalösen Publikationen, Informationen über Journalisten und Milizen der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie andere Bürger, die sie "Verräter der Heimat" oder "antiukrainische Kräfte" nennen.
Im Frühjahr 2016 veröffentlichte "Mirotworez" Listen von Journalisten samt Kontaktdaten, darunter auch ausländischer Journalisten, die von den Volksrepubliken Donezk und Lugansk akkreditiert wurden, woraufhin einige von ihnen bedroht wurden. Die damalige OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Dunja Mijatović, bezeichnete die Veröffentlichung als "einen alarmierenden Schritt, der die Sicherheit von Journalisten weiter gefährden könnte".
Den eklatantesten Fall, durch den der Webseite die Funktion einer "Abschussliste" attestiert wurde, stellte bislang der Mord an dem bekannten ukrainischen Publizisten, Fernsehautor und Schriftsteller Oles Busyna im April 2015 dar.
Am 13. und 14. April 2015 wurden Daten samt Adressen des Ex-Politikers der Partei der Regionen, Oleg Kalaschnikow, sowie von Oles Busyna veröffentlicht. Am 15. April wurde Kalaschnikow und am darauffolgenden Tag auch Busyna auf offener Straße in Kiew erschossen.
Die Einträge wurden von einem Nutzer mit dem Pseudonym "404" veröffentlicht. Nach dem Mord an Kalaschnikow hieß es: "Für die erfolgreiche Erfüllung der Aufgabe erhielt Agent '404' heute einen außergewöhnlichen Titel und ein wertvolles Geschenk." Eine Stunde nach dem Mord an Busyna hieß es dann: "Agent '404' zeichnete sich erneut aus. Für den Erfolg seiner heutigen Mission erhielt er eine kurze Freistellung." Bis heute wurden die Mörder nicht gefasst. Die zwei mutmaßlichen Mörder und Mitglieder rechtsradikaler Vereinigungen, Andrej Medwedko und Denis Polischuk, jedoch sind auf freiem Fuß und bekleiden derzeit sogar wichtige gesellschaftliche Ämter. Medwedko ist Aufsichtsratsmitglied in der Antikorruptionsbehörde NABU.
Maria Sacharowa, offizielle Vertreterin des russischen Außenministeriums, kritisierte die Betreiber der Webseite ebenfalls scharf. Sie nannte die Veröffentlichungen der Personendaten von Journalisten "einen direkten Aufruf zur Vergeltung an Journalisten". Inzwischen beinhaltet die Webseite Daten von Tausenden Personen. Oft reicht eine Äußerung oder beispielsweise ein "illegaler" Krim-Besuch aus, um an die öffentliche Liste zu gelangen.
So wurden auch die Besatzungsmitglieder der A321, die bei Moskau in August in einem Maisfeld notgelandet ist, in die Mirotworez-Datenbank aufgenommen. Sie werden des "illegalen Personen- und Güterverkehrs" auf die Krim beschuldigt.
Die Webseite wird mit dem Ex-Berater des Innenministers und Rada-Abgeordneten Anton Geraschenko in Verbindung gebracht. Er hat Ende 2014 die Inbetriebnahme des Portals angekündigt, begründet und gelobt.
Vor ein paar Wochen habe ich ein Projekt von einer Gruppe Gleichgesinnter vorgestellt, um Daten über Terroristen und Separatisten zu sammeln und das Innenministerium und den Sicherheitsdienst SBU bei ihrer Arbeit zu unterstützen – die Webseite 'Mirotworez', schrieb Geraschenko seinerzeit auf Facebook.
Nun hat der umstrittene Politiker ein noch höheres Amt inne – den Posten als stellvertretender Innenminister. Der Postenwechsel fand bereits zu Selenskij-Zeiten statt.
Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, der während seiner Pressekonferenz am 10. Oktober mit der Frage zu "Mirotworez" konfrontiert wurde, sagte, dass er keine Befugnis habe, Webseiten zu schließen.
"Einmal öffnete sogar meine Frau die Seite 'Friedensstifter', dann wurde sie geschlossen. (...) Weil meine Frau diese besucht hatte, können Sie meine Einstellung nachvollziehen (zu dieser Seite/Anm.). (...) Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich sie besucht habe. (...) Ich als Präsident habe nicht die Befugnis, Seiten zu öffnen oder zu schließen", sagte Selenskij.
Der Präsident sagte auch, dass er nicht wüsste, wem das Portal gehört. Ihm zufolge sei dies jedoch definitiv nicht der stellvertretende Innenminister Anton Geraschenko.
Auch der Parlamentssprecher Dmitrij Rasumkow sah sich für die Schließung der Hetzseite nicht zuständig. Seine Stellungnahme zur Forderung des UN-Vertreters fiel wortgleich mit der Äußerung des Präsidenten aus:
Das Parlament kann nicht in solche Prozesse einbezogen werden, da wir nicht über solche Befugnisse verfügen, um die Nachrichtenportale und andere Webseiten zu schließen, und ich bin mir nicht sicher, ob die Werchowna Rada sie braucht.
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