Strategie der Spannung: Spanischer Geheimdienst kontrollierte Terrorzelle in Katalonien
Der Chef der islamistischen Terrorzelle, die vor knapp zwei Jahren Anschläge in Katalonien verübte, war Spitzel des spanischen Geheimdienstes CNI (Centro Nacional de Inteligencia); der CNI kontrollierte und überwachte die Zelle bis zum Ende bis ins Detail. Das geht aus Dokumenten hervor, die die spanische Onlinezeitung Público verschiedentlich hier und da in der vergangenen Woche veröffentlichte.
Demnach war Abdelbaki Es Satty, Imam von Ripoll und Kopf der islamistischen Terrorzelle in Katalonien, bis zu seinem Tod im August 2017 Spitzel des CNI. Público berichtet von einem E-Mail-Konto, über das der Geheimdienst nach dem Prinzip des toten Briefkastens – ohne auch nur jemals eine Mail zu versenden – mit dem Terroristen kommunizierte. Der Geheimdienst war auch durch Abhörmaßnahmen detailliert über die Aktivitäten der Gruppe informiert. Mitglieder der Gruppe wurden auch bei einer Reise in die Schweiz und nach Deutschland minutiös überwacht.
Es Satty starb mit einem anderen Mitglied seiner Zelle am Abend des 16. August 2017 in seinem Haus in Alcanar, als es vermutlich beim Bau einer Bombe zu einem Unfall kam. In den Ruinen des Hauses fand die Polizei über 100 Butan- und Propangasflaschen. Ein überlebendes Mitglied der Zelle gestand später, dass die Gruppe mit den Bomben, an denen sie bereits monatelang gebastelt hatte, Anschläge in Barcelona ausführen wollte. In den Ruinen fand sich auch ein Zettel mit den Zugangsdaten des genannten E-Mail-Kontos.
Nach dem Verlust ihres Anführers und des Sprengmaterials beschloss die Gruppe, kurzfristig Anschläge ohne Bomben zu verüben. Am Nachmittag des 17. August fuhr ein Lieferwagen im Zentrum Barcelonas in eine Menschenmenge; in der Nacht darauf erschossen Polizisten in Cambrils fünf Terroristen, die mit Messern und einer Axt vermutlich ein Attentat auf der Strandpromenade der katalanischen Kleinstadt planten. Insgesamt fielen den Terroristen 16 Menschen zum Opfer, darunter zwei Kinder.
Público berichtet, dass der CNI die Mitglieder der Terrorzelle bis zum Tag des Anschlags beobachtete und kontrollierte und bis ins Detail über ihre Aktivitäten informiert war – ohne ihrem Treiben Einhalt zu gebieten. Der Geheimdienst löschte die Akte Es Sattys nach Angaben der Zeitung am Tag nach dem Attentat, dem 18. August 2017, obwohl dessen Identität erst Tage später durch einen DNA-Test geklärt wurde. Der Dienst habe Es Satty 2014 im Gefängnis verpflichtet, wo dieser eine Strafe wegen eines Drogendelikts verbüsste.
Der CNI machte dem Islamisten ein Angebot, das dieser nicht ablehnen konnte: Im Gegenzug für seine Kooperation wollte der CNI die Es Satty drohende Abschiebung nach Marokko verhindern. In der Folge erfuhr der Mann im Gefängnis eine bessere Behandlung; nach seiner Entlassung besorgte der CNI seinem Informanten eine Stelle als Imam in Ripoll im Norden Kataloniens. Dort baute er dann die Terrorzelle auf. Público berichtet auch, dass der CNI-Chef der Region Barcelona verhinderte, dass Es Satty eine Stelle in der katalanischen Metropole erhielt.
Die katalanische Polizei Mossos d'Esquadara klärte das Attentat zügig und professionell auf – und das ohne Unterstützung des CNI und anderer Behörden in Madrid. Der CNI räumte zwar schon im Sommer 2018 Kontakte zu Es Satty ein, versuchte aber diese herunterzuspielen. Die Mossos wurden über die terroristische Bedrohung nicht informiert.
Die neuen Enthüllungen von Público sind durchaus als spektakulär zu bewerten. Umso bemerkenswerter ist das ausbleibende Echo in Politik und Medien: Die großen Medien in Spanien schweigen, übrigens auch die in Deutschland, wo nur Telepolis und das Neue Deutschland berichteten.
Die katalanische Regionalregierung fordert Aufklärung, die Regierung in Madrid verweigert jede substanzielle Aussage. Im vergangenen Jahr verhinderten Konservative, Sozialisten und die liberalen Ciudadanos im Parlament in Madrid die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Die von Público geschilderten Aktivitäten des CNI sind nicht mit "Pannen" oder "Schlamperei" zu erklären, wie das auch in Deutschland als Erklärung bei geheimdienstlichen Auffälligkeiten im Kontext islamistischen und rechtsextremen Terrors wenig überzeugend versucht wurde. Offensichtlich züchtete und hegte dieser Dienst den islamistischen Terror in Katalonien.
Verständlich wird ein solches Vorgehen nur, wenn man dies als Element einer "Strategie der Spannung" versteht, mit dem staatliche Akteure verdeckt durch das Verbreiten von Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung politische Ziele befördern. Letztlich geht es um deren Kontrolle und Steuerung im Sinne der Eliten. Ein derartiger Hintergrund kann angesichts der zahllosen Auffälligkeiten und Ungereimtheiten gerade in Bezug auf die Rolle der Dienste auch für Terrorattacken in anderen europäischen Ländern angenommen werden, auch für die in Deutschland.
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