Aufklärung weiter nicht in Sicht: Fünfter Jahrestag des Maidan-Massakers in Kiew
Weil die ukrainische Regierung 2013 die Verhandlungen zum Assoziationsabkommen mit der EU abgebrochen hatte, wurden Proteste und Platzbesetzungen von Regierungsgegnern in Kiew und der Westukraine organisiert. Als sich die Aktionen gegen die Regierung unter Präsident Wiktor Janukowitsch im Februar 2014 zuspitzten, kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Regierungsgegnern. Infolgedessen floh der gewählte Präsident aus dem Land und eine neue Regierung unter Oleksander Turchynov kam an die Macht. Was ist bislang über das Blutbad bekannt? Wer waren die Täter und wie steht es um die weitere Aufklärung?
Das Massaker
Im Februar waren die Demonstranten auf dem Maidan nach drei Monaten Dauerprotest erschöpft, die Polizei bereitete sich auf die Erstürmung des Platzes vor. Am 18. Februar kam es auf dem Maidan zu ersten Schüssen auf Polizisten. Bis zum 19. Februar wurden 31 Aktivisten und acht Polizisten erschossen, wie das ukrainische Online-Magazin BIRD IN FLIGHT berichtete. Durch diese Eskalation, für die der Westen die Sicherheitskräfte verantwortlich machte, bekam die Bewegung gegen Präsident Janukowitsch neuen Aufschwung. Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen waren nach Kiew gereist, um zwischen der Opposition und der Regierung zu vermitteln. Präsident Janukowitsch handelte daraufhin mit der Opposition einen Waffenstillstand aus, welcher jedoch am selben Tag von gewalttätigen Aktivisten wieder gebrochen wurde.
Am 20. Februar eskalierte die Situation vollends. Einige Protestler versuchten, die Polizeibarrikade vor dem Regierungsviertel zu stürmen. Dabei kam es zu Schüssen auf beiden Seiten. Viele Demonstranten wurden von hinten beziehungsweise von oben erschossen, wie in forensischen Untersuchungen festgestellt wurde.
Insgesamt starben an diesem Tag 49 Aktivisten und vier Polizisten. Der Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski hat in seinen Analysen zum Massaker herausgefunden, dass der größte Teil der Opfer von Scharfschützen getötet wurde, die sich in Gebäuden befanden, die von den sogenannten Maidan-Selbstverteidigungskräften kontrolliert wurden.
Durch den internationalen Druck, der nach diesem Massaker auf Janukowitsch lastete, sah sich der Präsident am 21. Februar gezwungen, vorgezogene Neuwahlen auszurufen. Des Weiteren wurde von der Regierung und der Opposition gemeinsam festgelegt, dass sich die Sicherheitskräfte ausschließlich auf den Schutz der Regierungsgebäude konzentrieren und nicht mehr gegen die Besetzer des Maidans vorgehen sollten. Außerdem hatten sich beide Parteien verpflichtet, gemeinsam mit dem Europarat die jüngsten Gewalttaten zu untersuchen. Allerdings versuchten die radikalsten Demonstranten weiterhin, den Sitz des Präsidenten zu stürmen. Infolgedessen floh dieser nach Charkow und später nach Russland.
Die Folgen
In einer Abstimmung im ukrainischen Parlament wurde der Präsident am 22. Februar kurzerhand abgesetzt und durch Turchynov ersetzt. Da dabei die erforderliche Drei-Viertel-Mehrheit nicht erreicht werden konnte, wie es die Verfassung vorsieht, wurde dies einfach übergangen. Hohe Posten in der Verwaltung gingen in die Hände ehemaliger Maidan-Kämpfer. So ist der ehemalige Kommandant der Maidan-Hundertschaften, Andrei Parubij, heute der Präsident des ukrainischen Parlaments. Der Maidan-Aktivist Arsenij Jazenjuk konnte Premierminister werden und der finanzielle Förderer der Bewegung, Petro Poroschenko, wurde im Mai 2014 gar zum Präsidenten gewählt.
Gerichtsprozesse
Laut der Studie von Katchanovski hat die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine ermittelt, dass in 13 Fällen die angeschossenen Demonstranten aus rein physikalischen Gründen nicht von den "Berkut"-Sondereinheiten der Polizei getroffen werden konnten. Während der Gerichtsprozesse in Kiew zu den Ereignissen auf dem Maidan wurde dieser Sachverhalt von den Richtern aber ignoriert. Mehrere Polizisten wurden von diesen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wegen des Mordes an Demonstranten verurteilt. Alle Schützen, die auf Mitglieder der "Berkut" geschossen hatten, konnten dank einer Amnestie gar nicht erst angeklagt werden.
Aussagen mutmaßlicher Schützen
2016 bekannte sich Iwan Bubentschik dazu, mehre Polizeikommandeure auf dem Maidan erschossen zu haben. Der ehemalige Soldat und Afghanistanveteran hätte das zur Verteidigung seiner Heimat und seines Volkes getan, wie er in einem Interview mit dem Online-Magazin BIRD IN FLIGHT stolz verkündete.
In einer Dokumentation des italienischen Journalisten Gian Micalessin aus dem Jahr 2017 gaben drei georgische Soldaten an, dass sie 2014 für den Maidan angeheuert wurden. Sie hätten auf Demonstranten und gleichzeitig auf die Polizei schießen sollen, um Chaos zu stiften. Die Scharfschützen nennen den Politiker Serhiy Pashinsky als die Person, von der sie die Schießbefehle erhalten hätten. Der heutige Abgeordnete Volodymyr Parasiuk sei für die Überwachung der Aktion zuständig gewesen.
Diese Aussage deckt sich mit den Ergebnissen von Katchanovski, der unter anderem bei der Analyse eines ZDF-Videos ebenfalls Parasiuk als Teilnehmer der Aktion identifiziert.
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In diesem Beitrag wird eindeutig dokumentiert, dass bewaffnete Maidan-Kämpfer mit Scharfschützengewehren in Richtung der Polizei und der Demonstranten schießen. Westliche Medien beschuldigten allerdings nach den Kämpfen augenblicklich die Regierung Janukowitsch. Deren Sicherheitsdienste hätten Jagd auf Demonstranten gemacht. Bis heute hat sich an dieser Sichtweise nichts geändert.
Aufklärung
Die offiziellen Untersuchungen sind nicht abgeschlossen, eine vollständige und transparente Ermittlung zu den Vorgängen auf dem Maidan liegt noch nicht vor. Dabei handelt es sich laut Katchanovski um eines der am besten dokumentierten Massaker der Weltgeschichte. Jedoch scheint es bei den Richtern, Staatsanwälten und Journalisten an politischem Willen zur Aufklärung zu mangeln. Während die Mörder von Polizisten ungestraft bleiben, werden Mitglieder der "Berkut"-Sondereinheiten zu langen Haftstrafen verurteilt.
Besonders merkwürdig ist allerdings die Tatsache, dass das Gericht feststellte, dass "eine dritte Partei" auf die Demonstranten geschossen hat, aber konkreten Hinweisen zu dieser These nicht nachgeht. Mit einer vollständigen Aufklärung ist deshalb in der nächsten Zeit nicht zu rechnen. Auch bei der Bundesregierung hält sich das Interesse an einer Klärung der Vorfälle in Grenzen. In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu den Ereignissen am 20. Februar heißt es:
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die über die (…) Ermittlungsergebnisse der ukrainischen Staatsanwaltschaft hinausgehen.
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