Europa

Wie der Konflikt im Asowschen Meer begann: Die Festsetzung des russischen Fischkutters "Nord"

Die Festnahme von 10 russischen Fischern auf dem Schiff "Nord" durch den ukrainischen Grenzschutz im März stehen am Anfang des Konflikts im Asowschen Meer. Doch die Rolle dieses Vorfalls wird hierzulande heruntergespielt.
Wie der Konflikt im Asowschen Meer begann: Die Festsetzung des russischen Fischkutters "Nord"© State Border Guard Service of Ukraine

Letzte Woche hat die russische Botschaft in Berlin zu den Vorwürfen Stellung genommen, die die Ukraine im Hinblick auf die Eskalation der Lage im Asowschen Meer gegen Russland erhebt. Diese Vorwürfe werden in der Regel unhinterfragt auch von westlichen Medien und Politikern übernommen. Insgesamt hat die Botschaft zu zehn Vorwürfen Gegenargumente vorgetragen.

Auf den Vorwurf, Russland missbrauche sein Recht auf Grenzkontrollen im Asowschen Meer und der Straße von Kertsch aus politischen Gründen, entgegnet die Botschaft, dass die 2018 steigende Anzahl von Inspektionen der Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen in der Straße von Kertsch nach der Inbetriebnahme des ersten Bauabschnitts der Krimbrücke geschuldet sei. Ein zweiter Grund sei die Unterbindung der "rechtswidrigen Handlungen der ukrainischen Sicherheitsbehörden, die in Verletzung der geltenden bilateralen Vereinbarungen zum Asowschen Meer im März 2018 den russischen Fischkutter 'Nord' gekapert haben".

"Das Kapern" des Fischkutters ereignete sich am 25. März ca. 14 Kilometer von der ukrainischen Küste. Der ukrainische Grenzschutz hielt das Schiff fest und nahm die Personalien der Fischer auf. Alle stammten von der Krim und besaßen mittlerweile russische Pässe. Den Fischern wurde die Verletzung des ukrainischen Territoriums vorgeworfen.

"Bei einer Untersuchung wurde festgestellt, dass die Besatzungsmitglieder die Ausreisebestimmungen der Krim verletzt haben", teilten an diesem Tag die ukrainischen Behörden mit. Die "Nord" sei "zu weiteren Ermittlungen" in den Hafen von Berdjansk geschleppt worden.

Die Ukraine erkennt auf der Krim ausgestellte russische Pässe nicht an und hielt die Fischer für mehrere Tage auf dem Schiff fest – neben fünf Tonnen faulendem Fisch. Den Besatzungsmitgliedern wurden die Pässe abgenommen, stattdessen bekamen sie Protokolle des Versuchs eines Grenzübertritts mit "ungültigen Dokumenten", weil Kiew sie als ukrainische Bürger betrachtete. 

Russland warf daraufhin der Ukraine "staatlich geförderte Piraterie" vor. Die Ukraine habe kein Recht, das Schiff zu stoppen, da es eine Vereinbarung zwischen beiden Staaten über die gemeinsame Nutzung der Straße von Kertsch und des Asowschen Meeres gebe, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums. Diese sei 2003 unterzeichnet und im April 2004 von den Parlamenten beider Länder ratifiziert worden, behaupteten die russischen Behörden.

Nach fünf Tagen wurden jedoch neun Crewmitglieder gegen Kaution freigelassen. Allerdings konnten die meisten von ihnen lange Zeit nicht nach Russland zurück. Zwei Fischer konnten noch im April über die weißrussische Grenze nach Russland gelangen. Die anderen wurden erst am 30. Oktober gegen sieben ukrainische Fischer ausgetauscht, die zuvor wegen illegalen Schollenfangs vor der Krimküste von den russischen Behörden festgehalten wurden. Laut Russlands Menschenrechtsbeauftragter Tatjana Moskalkowa hat der Austausch russischer Seeleute gegen ukrainische Fischer bewiesen, dass ein Dialog mit der ukrainischen Seite und eine vernünftige Lösung der Frage möglich sind.

Die russischen Matrosen und ihr Kapitän beklagten jedoch ständige Erniedrigungen seitens des ukrainischen Grenzschutzpersonals und der Mitarbeiter des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU sowie die Unterlassung medizinischer Hilfeleistung für Bedürftige – nach dem Schiffsarrest hätten der Kapitän und ein Matrose eine hypertensive Krise (eine Blutdruck-Entgleisung mit extrem hohen Werten) erlitten, doch man habe ihnen ärztliche Hilfe verweigert.

Den Kapitän des Schiffes "Nord", Wladimir Gorbenko, lassen die ukrainischen Behörden bis heute nicht frei, ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die anberaumte erste Gerichtsverhandlung am 7. November wurde vorerst verschoben. Der Fischkutter bleibt ebenso im Gewahrsam der Ukraine. Die ukrainischen Behörden wollen ihn mit einem Startpreis von ungefähr 60.000 Dollar versteigern.

Der russische Präsident erinnerte während seiner Pressekonferenz nach dem G20-Gipfel in Buenos Aires an diesen Vorfall. Auf die Forderung, die 24 am 25. November in der Straße von Kertsch festgenommenen ukrainischen Marinesoldaten freizulassen, entgegnete er:

Was die Rückgabe von Schiffen und Mariensoldaten anbelangt, wollen wir an jene russischen Fischer erinnern, die im Asowschen Meer ohne jeden Grund inhaftiert wurden.

Zudem betonte der russische Staatschef, der Vertrag von 2003 sehe eine fünf Kilometer breite Zone als Territorialgewässer vor. Der restliche Teil des Meeres gelte als gemeinsames Territorium, unter anderem auch zur wirtschaftlichen Nutzung. "Die Fischer sind nicht einmal in der Fünf-Kilometer-Zone gewesen. Sie wurden einfach festgenommen. Der Kapitän wird immer noch dort festgehalten, ohne jeden Grund. Das ist einfach Willkür", so Putin. 

Weiterer Bedarf an zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen entstehe laut der russischen Botschaft außerdem durch verübte oder vereitelte Sabotage und Terroranschläge. Dazu zählten Sprengung der Hochspannungsleitungen im Gebiet Cherson im Jahr 2015, um die Krim "von der Stromversorgung abzuschneiden", sowie ein vereitelter Versuch im Juni 2016, Taue in der Fahrrinne der Straße von Kertsch zu verlegen.

Diese Anschläge und Sabotageakte wurden u.a. vom in Russland als extremistische Organisation eingestuften Medschlis der Krimtataren geplant und durchgeführt. Als am 24. Oktober die russisch-ukrainische Kommission zur Regelung der Fischfangquoten im Asowschen Meer in einem Kiewer Hotel tagte, drang der Anführer der Krimtataren und Rada-Abgeordnete Refat Tschubarow in den Raum ein und beendete die Sitzung unter dem Vorwurf, eines der russischen Kommissionsmitglieder habe illegal die Krim besucht. Wegen der fehlenden Sicherheit der russischen Delegation musste diese ihre Arbeit in Kiew einstellen. Die abschließende Resolution, die jedes Jahr neu verhandelt wird, wurde aus diesem Grund nicht verabschiedet.

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