Neoliberalismus wirkt: EU-Kommission plant finanzielle Belohnungen für Sozialabbau
Während der Eurokrise mussten EU-Mitgliedsstaaten, die den sogenannten Rettungsschirm der Troika in Anspruch nahmen, als Gegenleistung tiefgreifende Strukturreformen wie Anhebung des Rentenalters und massive Einschnitte in das Sozial- und Tarifsystem durchführen.
Dieser forcierte Sozialabbau gegen den teilweise vehementen Widerstand der Bevölkerung war in den Augen der EU-Bürokraten so erfolgreich, dass die EU-Kommission bereits 2013 einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" durchsetzen wollte, der dieses Instrument dauerhaft für alle Mitgliedsstaaten auch in Nichtkrisenzeiten etablieren sollte.
Federführend bei diesem "Troika für alle"-Ansatz waren damals die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Allerdings gab es scharfen Protest von Seiten der europäischen Gewerkschaften, und auch viele EU-Mitgliedsstaaten kritisierten den geplanten Eingriff in ihre nationalen Zuständigkeiten. Die Kommission legte in Folge das Projekt zunächst auf Eis.
Aber nun hat jedoch die EU-Kommission das Projekt erneut auf die Agenda gesetzt. Versteckt hinter dem sperrigen Titel "Vorschlag zur Veränderung der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen für die europäischen Struktur- und Investitionsfonds (Dachverordnung)" soll dieser konkrete Gesetzgebungsvorschlag nach dem Willen der Kommission bis Mitte des Jahres vom Europäischen Rat und Europäischen Parlament verabschiedet werden. Im Gegensatz zu 2013 gibt es bisher allerdings noch keinen nennenswerten Widerstand gegen das Projekt. Das Kalkül der EU-Kommission scheint diesmal aufzugehen.
Das übergreifende Ziel, das die Kommission dabei verfolgt, ist nach eigener Darstellung "eine bessere Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitik, um robustere Wirtschaftsstrukturen und eine stärkere Konvergenz der Wirtschaftsleistung zu fördern und so besser auf Schocks reagieren zu könne"“.
Brüssel mischt sich in Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten ein
Dafür sind nach Ansicht der EU umfassende Strukturreformen nötig, die – wie beim damaligen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit – durch EU-Gelder gefördert werden sollen: Wenn ein Mitgliedsstaat sich auf entsprechende Reformen verpflichtet und diese mit der Kommission zusammen vertraglich festhält, erhält dieser nach erfolgreicher Umsetzung zusätzliche Mittel aus dem EU-Haushalt. Bei diesen Reformen soll es sich explizit um solche handeln, die eigentlich in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten liegen, und bei denen die EU de jure eigentlich gar kein Mitsprachrecht hat. Die EU-Kommission gibt das auch offen zu:
Das reibungslose Funktionieren einer stärker integrierten Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) erfordert geeignete politische Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene. Da viele der für die WWU entscheidend wichtigen Politikbereiche nach wie vor hauptsächlich in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen, sind die Koordinierung dieser Bereiche und die zeitliche Abfolge der Reformen von wesentlicher Bedeutung, wenn es gilt, ihre Wirkung nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf EU-Ebene zu maximieren."
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Als Reform-Rahmen soll das sogenannte "Europäische Semester" dienen, ein Prozess, in dem die Mitgliedsstaaten ihre Wirtschafts- und Haushaltspolitik miteinander koordinieren. Der Schwerpunkt soll nach Vorstellung der Kommission
auf Reformen liegen, die die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften am meisten stärken und positive Spillover-Effekte auf andere Mitgliedsstaaten haben können. Dazu zählen Reformen der Produkt- und Arbeitsmärkte, Steuerreformen, der Ausbau von Kapitalmärkten, Reformen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen sowie Investitionen in Humankapital und Reformen der öffentlichen Verwaltung."
Das Vorhaben soll nach einer Testphase dauerhaft verankert werden. Im Zuge der nationalen Reformprogramme im Europäischen Semester schlagen die Mitgliedsstaaten Reformmaßnahmen vor, in Form von maximal dreijährigen "Reformzusage-Paketen". Die Kommission prüft diese, kann Änderungen einfordern und legt den Betrag fest, der zur Unterstützung bereitgestellt wird. Nach erfolgreicher Umsetzung erhalten die Mitgliedsstaaten die entsprechende finanzielle Belohnung.
Größerer Widerstand bleibt bislang aus
Öffentlicher Widerstand gegen die von der EU-Kommission geplanten weitreichenden neoliberalen Maßnahmen ist bisher kaum zu vernehmen. Lediglich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat bisher eine Stellungnahme veröffentlicht, die das Ansinnen der Kommission mit Verweis auf eine weitere Verschärfung der Kürzungspolitik ablehnt und betont, dass die die EU-Kommission bereits mit den bestehenden Möglichkeiten einzelne Mitgliedsstaaten regelmäßig auffordert, die Löhne im öffentlichen Dienst einzufrieren, die Tarifvertragssysteme zu dezentralisieren, und Arbeitsmärkte zu flexibilisieren.
Neben dem weiteren Raubbau an den europäischen Sozialsystem zeugt das Vorhaben der EU-Kommission auch von einem massiven Demokratieproblem. In den Überlegungen der Kommission ist das Europäische Parlament erst gar nicht einbezogen, da die entsprechenden Pakete zwischen der Kommission und den einzelnen Mitgliedsstaaten verhandelt und geschlossen werden sollen.
Der Finanzexperte und Handelsblatt-Journalist Norbert Häring findet für dieses Vorgehen der EU-Kommission harsche Worte:
Als gäbe es keine AfD, keinen Front National und keine rebellischen mittel-osteuropäischen Regierungen arbeitet die EU-Kommission weiter daran, Europa in ein demokratiefernes neoliberales Unternehmerparadies umzubauen. Der neueste Trick: Für Sozialabbau und Entrechtung von Arbeitnehmern soll es Geld aus den EU-Strukturfonds geben."
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