Kosovo-Anerkennung durch Serbien als Schlüssel zur Einverleibung des Westbalkans durch die EU
von Kamran Gasanow
Am 17. Februar hat das Kosovo den 10. Jahrestag der Anerkennung seiner Unabhängigkeit von Serbien gefeiert. Am Vorabend dieses Jubiläums besuchte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel Pristina. Von dort aus begrüßte er eine mögliche Aufnahme Serbiens in die Europäische Union, mahnte aber gleichzeitig die Notwendigkeit an, die Souveränität des Kosovo anzuerkennen. Wenn sich Serbien in Richtung EU bewegen will, seien der Aufbau eines Rechtsstaates und die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo die Hauptbedingungen, sagte Gabriel.
Somit legte Gabriel ausdrücklich die Anforderungen von Brüssel dar, die in der neuen EU-Strategie für den westlichen Balkan dargestellt wurden. Laut dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sollen Serbien und Montenegro bis 2025 Mitglieder der EU werden. Dafür muss Belgrad jedoch ein "rechtlich verbindliches Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo" unterzeichnen. Die geplante EU-Erweiterung umfasst auch Mazedonien, Albanien und Montenegro, die das Kosovo bereits anerkannt haben, sowie Bosnien und Herzegowina, wo die Meinungen zwischen den Bosniaken und der Republika Srpska divergieren.
Der "Druck" des deutschen Ministers auf die Serben ist nicht überraschend, da Deutschland im Jahr 2008 als einer der ersten Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützte. Auf der anderen Seite agiert er als Vertreter des stärksten Staates in der EU als "Sender" dominierender Stimmungen in Brüssel. Serbien, das nach dem NATO-Beitritt von Kroatien, Albanien und Montenegro in eine "feindliche Umgebung" geriet, ist damit nicht nur mit politisch-militärischem, sondern auch psychischem und ökonomischem Druck konfrontiert. "Anerkannt das Kosovo, sonst bekommt ihr kein Geld von europäischen Fonds und keinen gleichen Status für serbische Arbeiternehmer in Europa", so ungefähr klingen die Anforderungen aus Brüssel.
Bemerkenswert ist, dass nicht nur Serbien des Kosovos wegen unter Druck gesetzt wird, sondern auch mehrere Mitgliedsstaaten. Es geht um die Slowakei, Rumänien, Spanien, Griechenland und Zypern. Gabriel versprach, "die fünf EU-Länder zu überzeugen", das Kosovo anzuerkennen, das "niemals Teil von Serbien sein wird".
Europäischer Konsens über das Kosovo
Das Treffen der EU-Außenminister in Sofia am 15. März hat die Auffassungsunterschiede über das mögliche Beitrittsdatum Serbiens ans Licht gebracht. Slowenien und Frankreich halten einen Beitritt bis 2025 für unmöglich. Andererseits fordert Ungarn, Serbien und Montenegro bis 2022 aufzunehmen. Wie auch immer: Die Gespräche bestätigten die Entschlossenheit Brüssels, den westlichen Balkan letztlich zu "absorbieren". Die Frage ist nicht, ob, sondern wann die Erweiterung stattfinden würde. In Europa herrscht ein unbestreitbarer politischer Konsens über einen zunehmenden Einfluss Russlands, Chinas und der Türkei an den Grenzen der EU. Der slowenische Außenminister Karl Erjavec beschwert sich über die "Trägheit" der EU, weswegen Brüssel gegenüber Moskau, Peking und Ankara, die bereits eine "Westbalkan-Strategie" verfolgten, nur verlieren könne.
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Gemäß der Kommissionsstrategie sollen in erster Linie Serbien und Montenegro in die Union aufgenommen werden. Was Montenegro anbelangt, ist Podgorica bereits der NATO beigetreten, die, wie die Praxis zeigt, als Inkubator für eine weitere EU-Mitgliedschaft dient. Belgrad ist eine ganz andere Geschichte. Sind die Serben bereit, die "knechtenden Bedingungen" zugunsten des "europäischen Lebkuchens" zu akzeptieren?
"Gabriel, Du bist arrogant"
Zumindest verbal bleibt Serbien hart. Außenminister Ivica Dacic sagte in einem Interview mit dem Belgrader Kurier:
Gabriel, Du bist arrogant. Träum nur weiter, dass wir das Kosovo anerkennen. Gabriel kann reden, was er will, daraus wird nichts.
Dacic machte auch deutlich, dass der deutsche Außenminister wenige Schritte vom Rücktritt entfernt ist, und deutet an, dass man die Worte Gabriel allein schon deshalb nicht ernst nehmen sollte.
Konnte man von Belgrad eine andere Reaktion erwarten? Der serbische Politologe Andreia Pajovic ist davon überzeugt, dass die Anerkennung des Kosovo eine "nationale Katastrophe" für Serbien wäre, und jeder Politiker, der dies täte, würde sein Amt verlieren. Der Balkanexperte meint:
Jetzt ist die Realität so, dass Serbien ohne EU nicht überleben kann, aber Kosovo als albanisch anerkennen [das ist wichtig, nicht unabhängig, sondern albanisch; K.G.] - das würde die Träume von Generationen zerstören. Seit der Geburt des modernen Serbiens im Jahre 1804 war es der serbische nationale Traum, das Kosovo zurückzuerlangen, wo das politische, kulturelle und religiöse Zentrum des mittelalterlichen Serbiens war. Der Sieg im Balkankrieg gegen die Türkei im Jahr 1912 bedeutete die lang erhoffte Rache und das Kosovo wurde wieder Teil von Serbien.
Es ist offensichtlich, dass die Kosovo-Schlacht im Bewusstsein von Generationen von Serben bleibt, die den Verlust ihres geistigen Zentrums nicht hinnehmen können, auch wenn sie die erbarmungslosen Ergebnisse des Jugoslawien-Krieges dazu zwingen. In einem Interview mit dem russischen Fernsehender Tsargrad hat der ehemalige US-Verteidigungsminister William Perry sein Bedauern über die Bombardierung von Belgrad zum Ausdruck gebracht. Aber was nützt es? Die Sache ist vorbei.
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Die EU und die NATO rechnen mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit Serbiens. Von seinen fünf wichtigsten Handelspartnern sind vier EU-Länder. Über 65 Prozent des serbischen Handelsumsatzes entfallen auf die Europäische Union. Der Beitrittsprozess Belgrads wurde im Jahr 2000 ins Leben gerufen, als die EU Einfuhrzölle für Serbien abschaffte. Im Jahr 2008 unterzeichnete man das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA). Im darauffolgenden Jahr wurde serbische Bürger das Recht auf visumfreie Einreise in den Schengen-Raum eingeräumt. Im Dezember 2013 gaben der Rat der EU und der Europäische Rat grünes Licht, um die Verhandlungen über eine Vollmitgliedschaft Serbiens in der EU zu beginnen. Im Rahmen der Entwicklungshilfe bis 2020 erhält das Balkanland fast drei Milliarden Euro aus dem "Instrument for Pre-Accession Assistance", einem Fonds für Beitrittsländer.
EU will wirtschaftliche Abhängigkeit ausnutzen
Es ist zu betonen, dass der ehemalige Kommissionpräsident Jose Manuel Barroso und Erweiterungskommissar Stefan Füle, die die europäische Integration des Balkans intensivierten, die Anerkennung des Kosovo noch nicht zur Voraussetzung für Serbiens Aufnahme erklärt hatten. Seither wuchs die wirtschaftliche Abhängigkeit Belgrads von Brüssel ständig und es kamen Politiker an die Macht, die bereit waren, die nationale Souveränität im Interesse der Finanzen zu opfern. Man sollte daran erinnern, dass die EU-Länder das "Stabilisierungs- und Assoziierungs-Abkommen" (SAA) ratifizierten und die Verhandlungen über die Mitgliedschaft erst begannen, nachdem die Belgrader Behörden die früheren Akteure während des Balkankrieges Radovan Karadzic und Ratko Mladic an Den Haag auslieferten. Beide werden bis jetzt von vielen Menschen in Serbien für "Helden" gehalten.
Der Politologe Dmitrij Babic meint, dass die Europäische Union Serbien zur Anerkennung des Kosovo drängen wird.
Ich denke, dass es keine offizielle, volle Anerkennung des Kosovo durch Belgrad mit dem Austausch von Botschaften geben wird. Aber de facto hat Belgrad Kosovo bereits anerkannt. Die öffentliche Meinung in Serbien ist stark gegen die Anerkennung. Aber Serben bekommen nur die Presse, die von großen Unternehmen bezahlt wird, und diese hängen fast immer mit der EU und USA zusammen. Als Ergebnis gehen alle angesehenen Zeitungen wie Politika bisher an diesem Thema vorbei. [Serbiens Präsident Aleksandar] Vucic führt sein Land langsam, aber sicher zu einer De-facto-Anerkennung des Kosovo", sagte Babic in einem Interview mit dem Autor dieses Artikels.
Mögliche NATO-Mitgliedschaft gegen Russlands Interessen
Die Möglichkeit eines serbischen EU-Beitritts beunruhigt auch Russland, das aus Solidarität mit dem "Brudervolk" das Kosovo bis jetzt nicht anerkannt hat. Ein Vertreter des russischen Außenministeriums wies in einem vertraulichen Gespräch mit dem Autor darauf hin, dass Serbiens EU-Mitgliedschaft automatisch dessen Beitritt zur NATO nach sich ziehen würde. In diesem Fall würde Russland seinen letzten Verbündeten auf dem Balkan verlieren.
Anderseits verstehen einige Experten wie Sergei Karaganow auch die Unvermeidbarkeit eines Beitritts Serbiens in die EU. Sie sehen darin aber keinen Verlust, sondern eine Chance für Russland. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Russischen Universität für Völkerfreundschaft und Doktor der Geschichtswissenschaften, Konstantin Kurilew, stellt fest, dass Russland keine ernsthaften Einflussinstrumente auf dem Balkan besitzt, und sich auf die öffentliche Meinung in diesen Ländern zu verlassen, wäre zwecklos. Er meint:
Im benachbarten Montenegro waren 85 Prozent der Bürger gegen den NATO-Beitritt, aber nichtsdestotrotz hat er stattgefunden. Wie kann man ihre Absorption verhindern? Russland hat keine Werkzeuge. Wenn sie [die Serben] ihre Geschichte aufgeben und das Kosovo anerkennen wollen, wie sollen wir [Russen] das verhindern? Auf keinen Fall. Und sollten wir dies generell verhindern? Wäre es nicht besser, ein weiteres Land in der EU zu haben, das gegenüber Russland wohlwollend eingestellt ist?
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Warum aber wollen die europäischen Behörden die Anerkennung des Kosovo durch Serbien? Auf regionaler Ebene ist die Anerkennung des Kosovo der Schlüssel zur Aufnahme der fünf anderen Balkanländer. Eine EU, die Serbien mit seinen territorialen Ansprüchen auf das vorwiegend von Albanern bewohnte Gebiet in ihre Reihen aufnimmt, würde nicht in der Lage sein, Albanien und dem Kosovo selbst die Mitgliedschaft vorzuschlagen. Belgrad würde ein Veto einlegen. Und wenn das Kosovo zuvor eintritt, wird ein Beitritt Serbiens unmöglich sein. Die Mitgliedschaft in der EU ist ohne eine offizielle Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo von allen Mitgliedsstaaten entsprechend unmöglich. In einem umfassenderen Sinn wäre die Einbeziehung des westlichen Balkans in die EU eine Art von Recovery-Tool für Brüssel nach der Flüchtlingskrise, den Terroranschlägen und dem Brexit. Eine andere Frage ist, ob die EU überhaupt in der Lage sein wird, neue Länder zu "verdauen", die eine zusätzliche finanzielle Belastung für Deutschland, Österreich und Skandinavien bedeuten würden.
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