Litauen: Deutsche wollen ihr Leben nicht für die "Verteidigung des Baltikums" riskieren
Von Stanislaw Leschtschenko
Die litauische Regierung warb bei der deutschen längere Zeit dafür, ein deutsches Militärkontingent dauerhaft in der baltischen Republik zu stationieren. Vilnius erreichte sein Ziel – im Jahr 2023 wurden die einschlägigen Abkommen unterzeichnet, und am 8. April dieses Jahres schickte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius die ersten zwanzig Freiwilligen der neu gebildeten Brigade "Litauen" ins Baltikum. Es ist das erste Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass Deutschland ein militärisches Kontingent dauerhaft in einem fremden Land stationiert.
In Litauen befinden sich derzeit nur die Hauptquartiersstrukturen der neuen Brigade, während die Einheit selbst noch aufgebaut werden muss. Oberst Andre Hastenrath, Kommandeur des Vorauskommandos, sagte, sein Ziel sei es, den deutschen Soldaten alle Vorteile des Dienstes in Litauen zu verdeutlichen:
"Es ist nicht nur eine gute militärische Erfahrung, sondern auch eine Gelegenheit, Teil der litauischen Gesellschaft zu werden."
Die offiziellen Pläne kollidierten jedoch mit der Realität. Die Brigade ist schließlich eine Freiwilligenbrigade und es bedarf für die Entsendung nach Litauen der ausdrücklichen Zustimmung der Soldaten. Aber nur wenige deutsche Soldaten sind bereit, in ein obskures osteuropäisches Land zu ziehen, das sogar an Russland und Weißrussland grenzt – also an die Staaten, die, wie die westliche Propaganda behauptet, einen Angriff auf die NATO vorbereiten.
Neben der Angst, in das Epizentrum von Kriegshandlungen zu geraten, wirken auch rein alltägliche Schwierigkeiten abschreckend. Der deutsche Militärjournalist Thomas Wiegold erklärte gegenüber den litauischen Medien, dass die deutschen Soldaten für den Auslandseinsatz "nicht Schlange stehen", weil Litauen mit seiner Sprache, seinem Sozialsystem und seinem unattraktiven Arbeitsmarkt auf sie abschreckend wirke.
Das Problem liegt in dem Vorschlag, für mindestens ein paar Jahre nach Litauen zu gehen – sozusagen, um dort Wurzeln zu schlagen – und nicht (wie bisher) im Rotationsverfahren für ein paar Monate. Folglich sollten die Familien mitgebracht werden.
Die Familienangehörigen von Bundeswehrsoldaten sind jedoch nicht darauf erpicht, ihr Eigenheim in Düsseldorf oder Bremen gegen eine Zweizimmerwohnung in Kaunas einzutauschen. Auch werden nicht alle Ehefrauen von Soldaten damit einverstanden sein, die ganze Zeit nur im Haushalt tätig zu sein – viele von ihnen wollen selbst Geld verdienen. Aber was für einen Job kann man in einem Land bekommen, aus dem die Litauer selbst in großer Zahl nach Westeuropa auswandern? Außerdem ist der Durchschnittslohn in Litauen zweimal niedriger als in Deutschland. Natürlich kann ein Soldat seine Familie auch in Deutschland zurücklassen und allein nach Litauen gehen. Aber werden in einem solchen Fall regelmäßige Reisen nach Hause erlaubt sein?
Wiegold dazu:
"Aus diesem Grund ist ein Umzug nach Litauen für Soldaten mit Familie wenig interessant. Es stellen sich auch Fragen, wie ihre Karriere aussehen wird und wo sie nach ihrer Rückkehr aus Litauen arbeiten werden. Es ist also nicht alles so einfach, wie es von litauischer Seite aus scheint."
Er fügt hinzu, die Soldaten und ihre Familien bräuchten eine umfassende soziale Infrastruktur – komfortable Wohneinrichtungen, Transportmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Schulen für ihre Kinder. Und es gehe dabei nicht nur um die Finanzierung, man müsse auch geeignetes Personal finden, so Wiegold. Aber wo bekommt man Ärzte und Pädagogen für die deutschen Soldaten her? Oder soll man auf die Dienstleistungen der litauischen Medizin zurückgreifen und die Kinder in litauische Schulen schicken, damit sie in der Landessprache lernen? Die Bundeswehrführung gibt auf diese Fragen keine klaren Antworten.
Wie bekannt ist, werden die deutschen Soldaten auf den Truppenübungsplätzen Rūdninkai und Rukla trainieren, aber mit ihren Familien in Vilnius und Kaunas wohnen. Der ursprüngliche Plan, Unterkünfte speziell für deutsche Soldaten zu bauen, musste aufgrund der hohen Kosten aufgegeben werden. Derzeit verhandelt das litauische Verteidigungsministerium mit lokalen Bauträgern über langfristige Mietverträge. Das Verteidigungsministerium merkte an, dass die anfänglichen Anforderungen der Deutschen an die Unterkünfte "sehr hoch" waren, es sei aber gelungen, die Erwartungen "ein wenig" zu senken.
Ralf Georgi, Kommandeur eines der Bundeswehrbataillone, erklärt:
"Viele Soldaten warten einfach noch ab, welche Bedingungen dort für sie geschaffen werden."
Oberstabsfeldwebel Alexander K., Vater von zwei Kindern und Afghanistan-Veteran, sagt seinerseits, dass "die Haltung uneinheitlich ist": Einige seien bereit, nach Litauen zu gehen, andere nicht. Alexander selbst versichert jedoch, dass er für den Einsatz bereit ist:
"Letztendlich diene ich meinem Land und damit auch Europa. Und Litauen ist ein Teil von Europa."
Seine Familie werde jedoch höchstwahrscheinlich nicht mitkommen, weshalb sich Alexander die Frage stelle, wie oft er sie wird sehen dürfen.
Florian Hahn, Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagt, die geplante Brigade in Litauen sei "außenpolitisch ein gutes Signal" – die Frage sei aber, "ob die Bundeswehr wirklich in der Lage ist, es zu realisieren." Nach Hahns Berechnungen wird die Brigade den deutschen Staatshaushalt insgesamt 6 Milliarden Euro kosten – allerdings sei es ihm "ein Rätsel", aus welchen Quellen das Geld kommen soll.
Nach Angaben des Spiegels wurde im vergangenen Jahr eine Umfrage unter deutschen Soldaten über die Möglichkeit eines Wehrdienstes in Litauen durchgeführt – und nur jeder Fünfte äußerte einen solchen Wunsch. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, forderte in diesem Zusammenhang, die "vielfältigen Belange und Interessen" der Soldaten und ihrer Familien bei der Stationierung an der NATO-Ostflanke zu berücksichtigen. Dies betreffe unter anderem Kindergärten, Schulen, medizinische und kulturelle Einrichtungen.
Dovilė Šakalienė, Mitglied des litauischen Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung, sieht in solchen Statistiken jedoch nichts Schlimmes – schließlich habe sich eine gewisse Anzahl von Deutschen bereit erklärt, nach Litauen zu ziehen:
"Das zeigt nur, dass Litauen kein so unerwünschtes Land ist. Außerdem haben wir bisher keine gemeinsamen Kommunikationsaktivitäten zwischen der litauischen und der deutschen Armee unternommen, um mehr Informationen über Litauen und die hier vorhandenen Möglichkeiten zu vermitteln."
Darüber hinaus brachte sie ein unerwartetes Argument vor, mit dem bei deutschen Soldaten für einen Umzug nach Litauen geworben werden könnte. Es sei kein Geheimnis, dass in Deutschland der Militärdienst als Echo des verlorenen Zweiten Weltkriegs nicht besonders ehrenvoll ist. Šakalienė zufolge werde die Bundeswehr in der Öffentlichkeit verachtet, und deutsche Soldaten seien allein aufgrund ihres Militärdienstes "Aggressionen und Mobbing" ausgesetzt. Doch im Falle eines Umzugs nach Litauen, so versicherte die Politikerin, würden die deutschen Soldaten eine respektvolle Behandlung erfahren, die alle Schwierigkeiten des Alltags aufwiegen werde.
Auch wenn die technischen Probleme in Litauen seit vielen Jahren nicht gelöst seien und die Soldaten in Gruppen in Kasernen lebten, wo sie seit mehreren Jahren keine Klimaanlage hätten, spürten sie, dass die Armee und die Alliierten von Litauen respektiert werden. Würde man diese Botschaft weiter verbreiten, sehe heute auch die Motivation von Bundeswehrangehörigen, nach Litauen zu ziehen, anders aus, meint Šakalienė.
Doch auch die aktuellen Statistiken, so betont die litauische Parlamentarierin noch einmal, würden für die Ankunft der Brigade kein Problem darstellen.
"Jeder fünfte deutsche Soldat ist wahrscheinlich sechsmal mehr, als wir für die Brigade brauchen", so die Politikerin.
Bemerkenswert ist, dass Vilnius mit dem Einsatz deutscher Soldaten das Problem der Unterbesetzung in der eigenen Armee lösen will. Denn die Litauer selbst entscheiden sich nicht massenhaft für den Militärdienst – ganz im Gegenteil.
Arūnas Balčiūnas, Leiter des Wehrpflicht- und Rekrutierungsdienstes der litauischen Streitkräfte, berichtete kürzlich verärgert, dass im Jahr 2023 etwa 14.000 Geldstrafen wegen Dienstverweigerung verhängt worden seien. Viele junge Männer fürchten sich davor, zur Rekrutierungsstelle zu gehen, und zwar aus einem einfachen Grund – sie haben Angst, dass sie zu echten Kriegsteilnehmern werden. Und sie haben Grund zu dieser Angst – wenn man den regelmäßigen Äußerungen lokaler Politiker zuhört, könnte der Krieg mit Russland jeden Tag beginnen. Da wäre es besser, sich hinter den Deutschen zu "verstecken".
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 3. Juni 2024 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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