Europa

Rentenmodell Österreich: Warum wir die für 2024 geplante "Aktienrente" nicht brauchen

Auf der Konferenz "Unsere Rente – Kein Spielball für BlackRock und Co." klärt Werner Rügemer über die Lügen der Rentenlobbyisten auf. Josef Wöss aus Wien berichtet am Beispiel Österreichs, dass eine gesetzliche Rente finanzierbar und sicher ist.
Rentenmodell Österreich: Warum wir die für 2024 geplante "Aktienrente" nicht brauchen© Felicitas Rabe

Auch im zweiten Teil der Konferenz "Unsere Rente – Kein Spielball für BlackRock und Co. Menschenwürdige Renten für alle – wie in Österreich!", die am Samstag im Kiezraum Berlin stattfand, wurden Strategien einer neoliberalen Rentenpolitik und entsprechende Gegenargumente vorgetragen. 

Dabei erläuterte der Publizist Dr. Werner Rügemer von der Initiative BlackRock-Tribunal die Hauptlügen der Lobbyisten für die Rentenprivatisierung. Zudem legte der ehemalige Leiter der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien, Josef Wöss, am Beispiel Österreich dar, dass eine gesetzliche Rente finanzierbar und sicherer ist. Am Ende der Veranstaltung wurden Lösungsansätze für eine Rentenreform und Aktionsformen in Deutschland diskutiert.

Demografie-Lüge als Scheinargument

"Es gibt kein Demografie-Problem" in Deutschland, stellt Rügemer von der Initiative BlackRockTribunal gleich zu Beginn seines Referats klar. Denn im Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen hätten wir mit 42 Millionen Arbeitnehmern hierzulande aktuell eine Höchstzahl an Beschäftigten. Die Mär von immer mehr Rentnern im Verhältnis zu sinkenden Beschäftigtenzahlen entspreche nicht der Realität. 

Tatsächlich resultiere das Armutsrentenniveau aus der stetig steigenden Zahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Das betreffe insbesondere die Frauen, von denen ein immer größer werdender Anteil unterhalb der Armutsgrenze leben müsse. Diese offensichtliche, ökonomische Gewalt gegenüber Frauen werde so gut wie nicht thematisiert. Darüber schweige sich insbesondere das ganze "Gendergerechtigkeits-Protestmilieu" aus, welches Rügemer als "kapitalfromm" bezeichnete.

Mindestlohnvereinbarung wird durch mangelnde Kontrolle und unregistrierte Überstunden umgangen

Ein weiterer Lügenkomplex ranke sich um die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro im Jahr 2015. Laut Gesetz werde dieser pro Jahr um 41 Cent erhöht. Was nicht erwähnt werde: Dieser Mindestlohn wird in Deutschland "millionenfach" gar nicht bezahlt. Aufgrund von mangelndem Kontrollpersonal werde den Zahlungssäumigen nicht nachgegangen. Schließlich müsse man noch wissen, erklärte der Kölner Publizist, dass Arbeitnehmer in Deutschland pro Jahr Milliarden unregistrierte Überstunden leisten würden. Das senke zum einen den tatsächlichen durchschnittlichen Stundenlohn, zum anderen werde auf diese unregistrierten Überstunden auch kein Rentenbeitrag gezahlt.

Seit 2004 treffe die ärmsten Rentner auch noch die Rentenbesteuerung. Denn erst im Jahr 2004 sei in Deutschland die Steuerabgabe auf Renten eingeführt worden. Am Ende seines Vortrags nannte Rügemer die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen für eine "grundgesetzkonforme und menschenrechtsgerechte Rente". Dabei betonte er ganz besonders die Streichung von Haushaltsmitteln für die Finanzierung von Kriegen: 

"Für eine gerechte Bezahlung und eine gerechte Rente muss es heißen: Schluss mit den Kriegshaushalten!"

Rügemer forderte:

- die Gleichstellung aller abhängig Beschäftigten, also Angestellten und Beamten in einem gesetzlich gleichgestellten Rentensystem,
- ein Verbot der Steuerflucht von Milliardären,
- Tariferhöhungen zum Inflationsausgleich,
- eine Mindestlohnerhöhung auf 20 Euro pro Stunde,
- menschenrechtsgerechte Arbeitsbedingungen,
- keine Steuergelder für die Finanzierung von Kriegen.

Die Österreicher bekommen im Verhältnis zu Deutschland eine höhere Rente und haben ein vergleichsweise sicheres staatliches Rentensystem

Wie wurde das erreicht? Dieser Frage ging der ehemalige Leiter der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien, Dr. Josef Wöss, in seinem Vortrag "Das Rentensystem in Österreich – Eine staatliche Rente ist möglich" nach. Im Gegensatz zu Deutschland seien in Österreich sowohl die Angestellten, als auch die Beamten in ein gemeinsames gesetzliches Rentensystem integriert. Jeder Rentner bekomme 14 Auszahlungen pro Jahr – eine Auszahlung pro Monat plus zusätzliches Weihnachts- und Urlaubsgeld in Höhe der Monatsrente.

Auch in Österreich gebe es das Narrativ der fehlenden Rentenfinanzierung, die angeblich der demographischen Entwicklung geschuldet sei. Allerdings könne man leicht nachrechnen, dass das Bruttosozialprodukt in Österreich im Jahr 1985 insgesamt 99 Milliarden Euro betragen habe, bei Rentenkosten von 10,8 Milliarden. Im Jahr 2021 seien die Rentenausgaben zwar auf 49,6 Milliarden Euro gestiegen, dafür habe das BIP 2021 im Jahr 406 Milliarden Euro betragen. Diesen Zahlen zufolge sei die gesetzliche Rentenfinanzierung nicht gefährdet. 

Im Unterschied zu Deutschland sei der Anteil der privaten Rentenversicherungen in Österreich traditionell schon immer viel niedriger gewesen. Vor allem habe aber das unüberlegte, radikale Privatisierungsvorpreschen, also quasi der Zufall eines politischen Chaos in Österreich, die Bevölkerung rechtzeitig vor der Umsetzung einer Rentenreform aufgerüttelt. Im Jahr 2003 habe die österreichische ÖVP/FPÖ-Regierungskoalition im Hauruckverfahren eine Rentenreform beschlossen, bei der die Renten direkt um zehn Prozent gekürzt worden wären, bei Neupensionen sei eine Kürzung von 40 Prozent vorgesehen gewesen. Diese "politische Unüberlegtheit" führte zu so massiven Protesten der Bevölkerung und der Gewerkschaften, dass die Österreicher sich seit dieser Zeit für den Erhalt ihres gesetzlichen Rentensystems einsetzten.

Warum der Lobbyismus von BlackRock & Co in Österreich nicht funktionierte

Im Kurzinterview wollte die Berichterstatterin von Josef Wöss wissen, warum sich der Lobbyismus der Versicherungskonzerne und Schattenbanken in Österreich nicht so stark durchsetzen konnte wie in Deutschland. Zum einen sei Österreich als vergleichsweise kleines Land nicht so interessant für die Rentenprivatisierungsunternehmen wie Deutschland, so Wöss. Zum anderen hätten Institutionen wie die Arbeiterkammer in Österreich großen Einfluss. Stellungnahmen und Interviews mit Vertretern der Arbeiterkammer würden regelmäßig auch in den Mainstreammedien veröffentlicht. Auch die Gewerkschaften seien traditionell gut mit den Medien vernetzt. Dadurch könne Kritik an der Rentenprivatisierung landesweit leicht verbreitet werden.

Möglicherweise sei auch der US-amerikanische Einfluss in österreichischen Verwaltungen aufgrund der offiziell noch immer geltenden Neutralität des Alpenlandes nicht so umfassend wie in Deutschland. Aber in einem zeigte sich Wöss sicher: Das im Hauruckverfahren beschlossene und in Bezug auf die plötzlichen Rentenkürzungen völlig überzogene Rentenreformgesetz der ÖVP/ FPÖ-Koalition, habe so einen massiven Widerstand hervorgerufen, dass das Rentenprivatisierungs-Vorhaben in Österreich an seiner eigenen Überzogenheit zugrunde gegangen sei.

In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um Vorschläge, wie man in Deutschland eine Rentenreform im Sinne der Bevölkerung realisieren könnte. Dabei komme es vor allem darauf an, junge Menschen darüber aufzuklären, dass eine angemessene gesetzliche Rente sowohl finanzierbar als auch sicher sei.

Im 1. Teilbericht "EU-Aktienrente ab 2024 – Propaganda und Betrug einer neoliberalen Rentenpolitik" über die Konferenz geht es um die Strategien und Lügen der Lobbyisten, mit denen diese immer mehr Arbeitnehmer in die private Rentenvorsorge drängen wollen.

Lobbyisten von BlackRock und Co. haben eine neue EU-Rentenverordnung und eine "Aktienrente" ab Januar 2024 durchgesetzt. Gemeinsam mit der Initiative BlackRockTribunal veranstalteten die Organisationen RentenZukunft e. V., Arbeitskreis Internationales (AKI) der IG Metall (IGM) Berlin und der Arbeitskreis gegen Deregulierung und Privatisierung am 7. Oktober in Berlin eine Fachveranstaltung zum Thema Rentenentwicklung in Deutschland, insbesondere im Verhältnis zur Rentenentwicklung in Österreich.

Mehr zum Thema - Wie BlackRock die Arbeitsausbeutung perfektioniert und von der neuen Privatrente profitiert

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