Überlebende aus Mariupol berichten: "An 85 Prozent der Zerstörung sind Asow-Kämpfer schuld"
Genau vor einem Monat, am 24. Februar, begann die russische Militäroperation in der Ukraine. Offiziell wird sie als Spezialoperation zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung und zum Schutz der Donbass-Republiken bezeichnet. Die Operation bedeutete den großflächigen Einmarsch in den an Russland grenzenden Regionen, vernichtende Schläge gegen die ukrainische Armee und den Versuch der Einkesselung großer Gruppierungen der ukrainischen Streitkräfte in der Donbass-Region.
Die Volksrepublik Donezk (DVR), die wenige Tage zuvor von Russland anerkannt worden war, kündigte an, ihr Territorium entsprechend den in deren Verfassung festgelegten Grenzen zurückerobern zu wollen. Seit dem ersten Donbass-Krieg im Jahre 2014 befindet sich die Hafenstadt Mariupol, die zweitgrößte in der DVR, unter ukrainischer Kontrolle, was in Donezk immer als großer Verlust angesehen wurde. In den Reihen der Donezker Volksmiliz dienen viele Kämpfer aus Mariupol.
Es war aber klar, dass die Rückeroberung der Stadt ein schweres Unterfangen sein würde. Mariupol, das für seine antifaschistische Demos bekannt gewesen war, sollte nach Plänen der Maidan-Kräfte zur Hochburg der Nationalisten werden. Der berühmt-berüchtigte Verband militanter ukrainischer Nationalisten "Asow" und andere ähnliche Gruppierungen nisteten sich hier ein. Von einer Niederlegung der Waffen, die Russland von ihnen mehrfach eingefordert hatte, konnte keine Rede sein. Außerdem pflegt die ukrainische Kriegspropaganda seit Anfang der Militäroperation den Mythos vom nahen Sieg der Ukraine, was auch den Kampfesmut der Asow-Kämpfer stärken dürfte.
Die über 400.000 friedlichen Einwohner gerieten damit in unmittelbare Lebensgefahr. Bis zum 1. März verließen nach Angaben der ukrainischen Medien mehr als 100.000 von ihnen die Stadt auf eigene Faust. Eine organisierte Evakuierung habe es nicht gegeben, berichteten später die Flüchtlinge. Anfang März war die Versorgung der Stadt mit Wasser, Strom und Gas zusammengebrochen. Die städtischen Behörden machten russische Saboteure dafür verantwortlich.
Spätestens seit 7. März ist Mariupol durch die Kräfte der Volksmiliz und der russischen Armee eingekesselt. Seit 1. März bieten die Volksrepublik Donezk und Russland humanitäre Korridore zur Evakuierung der Bevölkerung an, machten aber schon damals deutlich, dass die Wege durch Provokationen und Angriffe der ukrainische Streitkräfte extrem gefährdet seien.
"Sie sind durch nichts bedroht, aber in der gegenwärtigen Situation, in der Einheiten der ukrainischen Streitkräfte und der ukrainischen Nationalgarde (die "Asow"-Kämpfer sind in die Nationalgarde eingegliedert – Anm. der Redaktion) unter der Führung der ukrainischen Sonderdienste terroristische Anschläge und Provokationen vorbereiten, um die Streitkräfte der Russischen Föderation in den Augen der Weltöffentlichkeit zu diskreditieren, fürchten viele von ihnen um ihr Leben."
Mit diesen Worten wandte sich die Regierung der Volksrepublik Donezk an die Bevölkerung Mariupols. Doch die Nachricht konnte die Menschen nicht erreichen. Wie später evakuierte Menschen berichteten, die städtischen Behörden hätten nichts für die Evakuierung unternommen. Als die Artilleriekämpfe sich der Stadt näherten, suchten die Menschen Zuflucht in den unsicheren Kellern. Es gab kein Essen und kein Wasser, Lebensmittel und Medikamente verteilten die Menschen untereinander aus geplünderten Läden und Apotheken.
Laut Behörden Mariupols ist Russland für sämtliche Zerstörungen in der Stadt verantwortlich. Es seien 80 bis 90 Prozent der Stadt durch Luftschläge zerbombt oder beschädigt worden, mindestens 2.358 Menschen waren gestorben (Stand 13. März), teilte der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Sergei Orlow am 16. März in einem Forbes-Interview mit. Die Toten würden in den Gemeinschaftsgräbern oder in den Höfen von ihren Nachbarn begraben. Er warf Russland einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung vor.
Am 24. März brachten die gemeinsamen Streitkräfte der Volksrepublik Donezk und Russlands nach eigenen Angaben bis zu zwei Drittel des städtischen Territoriums unter ihre Kontrolle, darunter das einzig verbliebene städtische Krankenhaus. Bis zu 100.000 Menschen aus der Stadt hatten zu diesem Zeitpunkt bereits nach Russland oder in die Volksrepublik Donezk evakuiert werden können.
Nun tauchen im Internet Dutzende Videos mit übereinstimmenden Erzählungen auf – die Menschen sind wütend und verstört, sie machen die städtischen Behörden, die ukrainische Armee und speziell die Asow-Kämpfer für Elend und Tod verantwortlich. Diese hätten Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben und Feuerpositionen bezogen, Panzer hätten von dicht bebauten Bezirken aus gefeuert und damit Gegenfeuer provoziert. Manche berichteten, dass ukrainische Panzer die Treppenhäuser mehrstöckiger Gebäude beschossen hatten, woraufhin die Häuser komplett abbrannten. Ähnliche Berichte gab es aus anderen befreiten Städten in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk wie etwa Wolnowacha oder Rubeschnoje. Auf Menschen, die aus der Stadt fliehen wollten, wurde geschossen.
"Wir haben das faschistische Asow, den Rechten Sektor dort (in der Stadt), sie haben solche Schandtaten begangen. Ein Kind und die Mutter eines anderen zweijährigen Kindes wurden in unserem Garten getötet. Wir haben eine komplette Blockade in unserem Hof, es gibt keinen Strom, kein Gas und kein Wasser", erzählte eine Frau in einem Video der russischen Zeitung Iswestija, das am 16. März veröffentlicht wurde.
Auf der Arm hält sie ein Kind, im Hintergrund sind andere Evakuierte zu sehen. Ihr zufolge schossen die ukrainischen Streitkräfte auf Autos mit Flüchtlingen, die versuchten, Mariupol zu verlassen.
"Wir wurden von der ukrainischen Armee beschossen, die Ukraine hat uns bombardiert. Und der Bürgermeister der Stadt hat uns angewiesen, Molotow-Cocktails zu bauen und sie auf die russischen Soldaten zu werfen", so die Flüchtlinge.
Ähnliches berichteten andere Einwohner Mariupols, die am 23. März von einem RT-Korrespondenten in der Sammelunterkunft für die Flüchtlinge im Ort Wolodarskoje in der Volksrepublik Donezk befragt wurden. Die Szene spielt sich als Gespräch mit mehreren Evakuierten vor einem Kinderspielplatz ab, als eine junge Frau das Wort ergreift:
"Wir haben in der Ukraine gelebt, und jemand hat an diesen Staat geglaubt. Ich will dem Oberbürgermeister der Stadt Mariupol einen flammenden Gruß ausrichten, der keinen Bombenalarm geben ließ, der seit acht Jahren des Krieges keinen einzigen Bombenkeller einrichten ließ. Unsere Keller wurden pulverisiert."
"Er hat unsere Stadt im Stich gelassen, er ließ uns für einen Monat ohne Lebensmittel, ohne Wasser, ohne Gas und Strom, ohne Kindernahrung, wir haben den ganzen Monat kein Brot gesehen. Und dieser Schurke ist abgehauen. Bitte, verbreitet das im ganzen Land: Er hat das Volk verraten."
"Es läuft hier so mit Evakuierung. An diesen Ort werden alle Evakuierten aus Mariupol gebracht." Sie zeigt auf die Sammelunterkunft – Wohncontainer, Gemeinschaftsküche usw.
"Die Menschen werden von russischen Soldaten aus den Kellern geholt."
"Sie helfen", sagt ein Mann neben ihr, daneben steht ein Kind, vermutlich die Tochter der Frau.
"Ja, sie helfen, verstehen Sie?"
"Sie tragen Kinder auf dem Arm heraus", so der Mann.
"Sie tragen Kinder auf dem Arm heraus, verstehen Sie? Sie geben ihre Soldatenverpflegung ab", sagt die Frau weiter.
"Und die ukrainische Armee schießt einfach auf kleine Kinder. Wir haben das mit unseren eigenen Augen gesehen. Das müssen Sie auf der ganzen Welt zeigen!"
"Nicht nur die Ukraine sagt, sie sei ein schönes Land. Alle Leute hier wurden von den russischen Streitkräfte evakuiert. Kein einziger ukrainischer Soldat hat uns aus den Kellern geholt."
"Sie haben das nicht zugelassen, weil sie uns als menschliches Schutzschild missbraucht haben", sagt eine andere Frauenstimme.
"Ich kenne mich in der Politik nicht aus", fährt die Frau fort. "Ich bin keine Kriegerin. Aber das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe: Wenn sie die Stadt verteidigen, sollten sie es am äußeren Rand der Stadt tun (sie stellt mit den Armen einen Kreis dar). Wenn ihr sie nicht halten könnt, schmeißt die Waffen weg, lasst es und geht fort."
An dieser Stelle erhebt sie ihre Stimme. "Aber sie haben angefangen, sich in Wohngebäuden zu verstecken, in den Schulen, in Kindergärten!" Mehrere Frauen stimmen zu:
"Nur friedliche Menschen waren da."
"Und diejenigen, die von den russischen Streitkräften gefangen wurden, sagten, wir kommen hier lebend nicht heraus, wir werden uns hinter lebendem Fleisch verstecken."
Sie zeigt auf die Menschen um sie herum: "Lebendes Fleisch, das überlebte." "Das sind wir", sagt eine Frau im Off. Die Frau schließt:
"Verbreiten Sie das auf der ganzen Welt, wie die Ukraine sich besch...en hat!"
Der Mann im mittleren Alter, der neben der Frau steht, hat auch einiges zu berichten. Ihm zufolge beschoss die ukrainische Armee sein ganzes Viertel mit Mörsern konsequent, Häuser, die durch den Beschuss Feuer fingen, wurden von der Feuerwehr nicht gelöscht, "obwohl die Feuerwehrstation 100 Meter entfernt war". So brannten mehrere nebeneinander stehende fünfstöckige Häuser ab.
"85 Prozent der Zerstörungen in der Stadt hat ukrainische Armee verursacht. Sie haben Infrastruktur unserer Stadt zerstört. Ich weiß nicht, von wo dieses Befehl kam". Er verweist auf ein Gespräch mit einem russischen Militär. Ihm zufolge hat die russische Armee "nur das gegnerische Feuer der Schwerartillerie zu unterdrücken".
Bis auf exakte Zahl stimmen seine Schätzungen mit den Aussagen einer anderen Evakuierten aus Mariupol überein, die wenige Tage zuvor auf der russischen Krim vom russischen Fernsehsender Rossija 1 befragt wurde.
"Wir waren wie Kanonenfutter. Sie (die Asow-Kämpfer) feuerten von den Wohnhöfen aus aus Panzern und Maschinengewehren zurück. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Asow der Stadt 85 Prozent der Schäden zugefügt hat."
Nicht nur große russische Fernsehkanäle berichten diese Tage über solche Geschichten. Videos tauchen auf einer Masse von Telegram-Kanälen auf, die von Volontären, Volksmilizionären und sonstigen Freiwilligen betrieben werden. So veröffentlichte der Kanal "Donbass to Tape" am 22. März ein Gespräch mit Passanten, die die Stadt zu Fuß verlassen.
"Es wird geschossen und bombardiert. Im Keller sitzen mehr als 100 Menschen, darunter kleine Kinder. Es gibt kein Wasser, man trinkt das Wasser aus einem Stadtbad", sagt eine ältere Frau und weint. Sie sieht erschöpft aus, ihre Habseligkeiten passen auf eine Rolltasche. "Das Wasser ist schmutzig, schwarz!"
"Warum lassen die ukrainische Soldaten Sie nicht raus?", fragt der Filmende, offenbar ein Vertreter der Volksmiliz.
"Sie verstecken sich hinter der friedlichen Bevölkerung", sagen die Frau und ihre zwei männlichen Begleiter.
"Sagen Sie, wo sie sich befinden. Die Adresse?"
"Sie waren in der Soja-Kosmodemjanskaja-Straße. Aber jetzt sind sie von dort gegangen."
"Bitte nennen Sie die Adresse, wo sich die Kinder befinden."
"Moskowskaja 64A. Im Keller eines zehnstöckigen Hauses, das noch ganz ist."
"Wie viele Kinder sind dort?"
Es seien 20. Auch Kranke und Alte seien da, die medizinische Versorgung brauchen. Der Mann erzählt vom Tod eines Mädchens, das am vorigen Tag begraben wurde.
Ein weiteres Video zeigt einen auf dem Boden liegenden Mann, der wenige Minuten zuvor von einem Scharfschützen erschossen wurde. Eine Gruppe von Journalisten soll dabei auch beschossen worden sein.
Die Passagierin eines Autos erzählt, dass die Asow-Kämpfer beim Abzug im Bezirk Mangusch sämtliche Wohnblöcke mit Grad-Mehrfachraketenwerfern vernichtet hatten. Auch eine Schule sei beschossen worden. Eine Freundin von ihr und ihre Tochter seien ums Leben gekommen. Das Video postete der Kanal "Vesti Krim" am 20. März.
Am 22. März postete der Kanal "Tribunal" ein Video von @smotri_media mit den Aussagen von der Passagiere von Autos, die bei der Passkontrolle bei der Abfahrt aus der Stadt befragt worden waren.
"Asow lässt die Leute nicht raus. Die haben auf zwei Busse geschossen. Dort waren Kinder. Die Leute schrien: 'Was macht ihr, dort sind Kinder!' Sie sagen, dass es im Krieg keine Kinder und Alten gibt", sagt ein Mann. Eine junge Frau auf dem Rücksitz ergänzt: "Sie verstecken sich in den Schulen und Kindergärten. Von dort schießen sie, dann laufen sie weg. Ja, und sie stehlen Autos und Auto-Akkus."
Ein anderer Autofahrer berichtet: "Hätten sie wenigstens die Menschen aus der Stadt herausgelassen. Nein, das haben sie nicht getan, die Mistkerle! Bis jetzt verstecken sie sich hinter die örtlichen Einwohner. Denken Sie, waren wir froh, was die seit dem Jahr 2014 angerichtet haben? Es war einfach Gesetzlosigkeit."
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.