Ukrainischer Botschafter stellt Reparationsforderungen gegenüber Deutschland in Aussicht
Am Mittwoch weilt der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine, um der Opfer der Nazi-Verbrechen in Korjukowka und Babi Jar zu gedenken. An beiden Orten fanden im Zweiten Weltkrieg Massenerschießungen der jüdischen und ukrainischen Zivilbevölkerung statt. Zehntausende Menschen starben eines qualvollen Todes.
Im Vorfeld seines Besuches ließ der ukrainische Botschafter Andrej Melnyk wissen, was er von der deutschen Politik in Bezug auf die Ukraine jetzt erwartet. Die Gedenkveranstaltung diente dem Diplomaten als willkommener Anlass, aus seiner Sicht auf Defizite der deutschen Erinnerungskultur hinzuweisen.
Zum einen fand er lobende Worte für das Engagement des deutschen Ex-Außenministers: "Dass der Bundespräsident mit seinem Besuch die Opfer von Babyn Jar in Kiew sowie die mindestens acht Millionen ukrainischen Kriegstoten in Korjukiwka würdigt, ist eine gute Geste", sagte Melnyk dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Dies sei allerdings nur ein erster Schritt auf dem sehr langen Weg zur historischen Aussöhnung zwischen der Ukraine und Deutschland. Die Ukraine zähle zu den am meisten betroffenen Nationen der schlimmsten Nazi-Verbrechen mit über fünf Millionen ermordeten Zivilisten, darunter anderthalb Millionen ukrainische Holocaust-Opfer, sagte Melnyk. Der Botschafter kritisierte, sein Land sei nach wie vor fast komplett abwesend in der Topografie der deutschen Erinnerung:
"Unsere enormen Opfer werden immer noch von der deutschen Politik und Öffentlichkeit übersehen."
Daher sei es kein Wunder, dass in der ukrainischen Gesellschaft ein starkes Gefühl von Ungerechtigkeit wachse, das der heutigen gespaltenen Gedenkpolitik der Bundesrepublik entspringe.
Melnyk verwies auf eine aktuelle repräsentative Umfrage, wonach 61 Prozent der Ukrainer dafür plädierten, von Deutschland Reparationen für die Kriegsverbrechen zu verlangen. "Von der deutschen Politik", so Melnyk, "erwartet man in Kiew zu Recht, dass man endlich richtige Schlüsse aus diesen dunklen Seiten der Vergangenheit zieht und die Ukraine sowohl in die EU als auch in die NATO integriert".
Der ukrainische Botschafter setzt sich seit Jahren unermüdlich dafür ein, Deutschland für das offizielle ukrainische Geschichtsnarrativ zu gewinnen. Zu seinem durch Medienkampagnen erprobten Repertoire gehört daher auch, den Bundespräsidenten beispielsweise für dessen angebliche Nachgiebigkeit gegenüber Russland in Geschichtsfragen zu kritisieren.
Zu diesem Narrativ gehört vor allem die Tatsache, dass die Ukraine die sowjetische Periode seiner Geschichte als eine kommunistische Okkupation ansieht und für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gleichermaßen die Sowjetführung wie auch Hitler-Deutschland verantwortlich machen will. Ukrainische Nazi-Kollaborateure, die gegen die Sowjetunion kämpften, werden in diesem Geschichtsverständnis zu Freiheitshelden. Der aus der Westukraine stammende Melnyk sorgt dafür auch mit seinem ganz persönlichen Einsatz. So nahm er im Jahre 2015 an einer religiösen Zeremonie in München am Grab von Stepan Bandera als der Schlüsselfigur der ukrainischen Nationalisten teil.
Die repräsentative Umfrage, auf die sich Melnyk beruft, wurde in der Ukraine vom Kiewer Institut für Soziologie im Juli durchgeführt. So waren 61,1 Prozent der ukrainischen Bürger ganz oder teilweise einverstanden, dass Deutschland die Ukraine für Kriegsverbrechen entschädigen solle. Als solche wurden Massenhinrichtungen von Zivilisten und Kriegsgefangenen, Untergrundkämpfern, Partisanen, Kämpfer der nationalistischen Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) sowie der Transport von Menschen zur Zwangsarbeit genannt.
55,3 Prozent der Ukrainer sprachen sich laut Erhebung dafür aus, daneben auch von Russland Reparationen für die Verbrechen des stalinistischen Regimes zu fordern, insbesondere für die Deportation von Ukrainern (Anm.: zu diesen werden vor allem gefangengenommene Kämpfer des nationalistischen Untergrunds, die sogenannten "Banderowzi" gezählt) und von Krimtataren.
Bisherige Versuche sind gescheitert, solch einen – wie auch immer gearteten – "ukrainischen Krieg" in den Augen der deutschen Öffentlichkeit von der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Großen Vaterländischen Krieges der Völker der Sowjetunion abzukoppeln. Aus der deutschen Sicht werde auch der Ukrainer in Würdigung aller 27 Millionen sowjetischen Opfer des Zweiten Weltkrieges mit gedacht. Offiziell gelte es in Deutschland, eine nationale Opfer-Hierarchie zu vermeiden – bislang zumindest.
Nichtsdestotrotz hat die Ukraine in Deutschland einflussreiche Fürsprecher. Nach Meinung des Politikwissenschaftlers Alexander Rahr sollten diese Kräfte nicht unterschätzt werden: "Sie wollen auch Bolschewismus und Nationalsozialismus, Stalin mit Hitler gleichsetzen." Ziel der ukrainischen Behörden, darunter auch Melnyk, sei es, Berlin davon zu überzeugen, zuzugeben, dass Deutschland und die UdSSR den Zweiten Weltkrieg ausgelöst haben und dass die Ukraine das Hauptopfer des Angriffs von Hitlers Truppen war. Deshalb müsse es jetzt wirtschaftlich gestärkt und vor "russischer Aggression" geschützt werden, sagte der Experte in einem Gespräch mit RT DE.
"Im Großen und Ganzen haben die deutschen Behörden Melnyk bisher ignoriert, weil er sich zu dreist verhält. Berlin sollte den Botschafter jedoch nicht einfach ignorieren, sondern ihn in seine Schranken weisen. In der Vergangenheit wurde sogar der diplomatische Gesandte der USA von den deutschen Behörden gemaßregelt, wenn dies erforderlich war. Und ich frage mich, warum Berlin jetzt dem ukrainischen Botschafter keine angemessene Antwort erteilt", erklärte Rahr.
Nicht ohne Grund rechne man in Kiew damit, dass die neue Bundesregierung mit einer starken Beteiligung der Grünen mehr Gehör für die Wünsche der Ukraine haben wird. "Kiew geht davon aus, dass die Grünen Melnyk auf Händen tragen und sich seinen Forderungen anschließen werden", so der Analyst abschließend.
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