Europa

Merkel und Putin bei gemeinsamer Pressekonferenz: Gesprächskanäle trotz Differenzen offen

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist am Freitag nach Moskau zu Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gereist. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz ging es unter anderem um die Lage in Afghanistan, Nord Stream 2, Alexei Nawalny und viele weitere Themen.
Merkel und Putin bei gemeinsamer Pressekonferenz: Gesprächskanäle trotz Differenzen offenQuelle: AFP © ALEXANDER ZEMLIANICHENKO

Nach einem dreistündigen Gespräch – eine Stunde länger als geplant – zogen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin Bilanz und stellten sich den Fragen von Journalisten. Das Gespräch sei traditionsgemäß sachlich und konstruktiv verlaufen, sagte Putin am Anfang. Man habe die Perspektiven für die Entwicklung der russisch-deutschen Beziehungen ausführlich diskutiert.

Angesichts der letzten Ereignisse haben Merkel und Putin die Lage in Afghanistan besprochen. Das Thema sei einer der Schwerpunkte bei den Verhandlungen gewesen, so Putin. Er betonte, dass der Zusammenbruch Afghanistans nach der Machtübernahme der Taliban nicht zugelassen werden dürfe. "Die Taliban dürfen nicht über die Grenzen des Landes hinwegschreiten", sagte der russische Staatschef. Das sei von "zentraler Bedeutung". Er plädierte für den Aufbau und die Stärkung der Demokratie in Afghanistan. "Wir dürfen nicht zulassen, dass die afghanische Regierung zerfällt." Die radikalislamischen Taliban seien bereits dazu übergegangen, eine Rechtsordnung in dem Land zu schaffen. Putin plädierte noch einmal für ein international abgestimmtes Vorgehen. Er hoffe, dass die internationale Gemeinschaft zusammenhalte. Den US-Einsatz in Afghanistan könne man nicht als erfolgreich bezeichnen, sagte Putin. Russland wolle aber nicht auf den Misserfolgen Washingtons herumreiten.

"Die Taliban haben mehr Unterstützung bekommen, als wir es uns gewünscht haben", sagte Merkel. Sie räumte ein, dass der Westen mit dieser radikalen Bewegung verhandeln und versuchen sollte, jene Menschen zu retten, deren Leben auf dem Spiel steht. Für die Bundesregierung habe im Moment Vorrang, möglichst viele Menschen nach Deutschland zu bringen, die in 20 Jahren NATO-Einsatz geholfen hätten, sagte die Kanzlerin. Sie bekräftigte erneut, dass es dem Westen mit seinem Einsatz gelungen sei, die von Afghanistan ausgehende akute Terrorgefahr zu bannen. "Aber sie ist nicht dauerhaft gebannt."

Außerdem sprachen Merkel und Putin über den Ukraine-Konflikt. "Ich teilte der Bundeskanzlerin heute mit, dass die ukrainische Regierung einen weiteren Gesetzentwurf vorgelegt hatte. Wenn dieser verabschiedet wird, wird dies de facto den einseitigen Ausstieg der Ukraine aus den Minsker Abkommen bedeuten. Dort widerspricht nicht nur etwas den Minsker Abkommen, dort widerspricht alles den Minsker Abkommen", sagte Putin. Der russische Präsident wies darauf hin, dass er Merkel gebeten habe, bei ihrem kommenden Besuch in Kiew die Behörden des Landes zu beeinflussen, alle Verpflichtungen im Donbass zu erfüllen. Zudem brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass es auch mit der neuen Führung Deutschlands möglich sein werde, den Dialog über die Beilegung des Konflikts im Südosten der Ukraine fortzusetzen. Die Bundeskanzlerin stellte fest, dass das Normandie-Format der einzige politische Mechanismus sei, um kontroverse Themen zu diskutieren.

Merkel sprach sich für eine Verlängerung des Abkommens mit der Ukraine über den Transit von russischem Gas nach 2024 aus. Auch Russland wolle den Gastransit durch die Ukraine nach 2024 fortsetzen, aber man müsse verstehen, wie viel Gas dann gekauft wird, sagte Putin. Er fügte hinzu, dass die Ostseepipeline Nord Stream 2 kurz vor der Fertigstellung sei, es fehlten noch etwa 15 Kilometer. Aussagen, dass Nord Stream 2 ein politischer Prozess sei, seien ein Versuch, Menschen in die Irre zu führen, betonte der Präsident. 

Der Besuch der Kanzlerin, die zuletzt im Januar vorigen Jahres in Moskau gewesen war, fiel auf den ersten Jahrestag des vermeintlichen Giftanschlags auf den Oppositionellen Alexei Nawalny. Derzeit sitzt er in einem Straflager in Haft. Dazu sagte Merkel: 

"Aus unserer Perspektive ist die Verurteilung zum Aufenthalt in einer Strafkolonie auf der Grundlage eines früheren Urteils, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ja für offenkundig unverhältnismäßig klassifiziert hat, nicht akzeptabel." 

Sie habe gegenüber Putin "noch einmal die Freilassung von Alexei Nawalny gefordert und auch deutlich gemacht, dass wir hier an der Sache dranbleiben werden", ergänzte Merkel. Putin wiederholte erneut, dass Nawalny wegen einer Straftat gegen ausländische Partner und nicht wegen seiner politischen Aktivitäten verurteilt worden war. In Russland hätten alle Bürger das Recht, im Rahmen des Gesetzes ihre politische Meinung zu äußern. Der Kampf gegen die Korruption sei zwar sehr wichtig, dürfe aber nicht zur Nutzung politischer Ziele verwendet werden, so Putin. Er fügte hinzu, Russland habe sein Limit auf Revolutionen bereits im 20. Jahrhundert ausgeschöpft. Putin nannte Nawalny nicht beim Namen – wie auch schon zuvor.

Merkel erwähnte auch drei deutsche NGOs, die in Russland kürzlich zu unerwünschten Organisationen erklärt wurden. "Wir sind sehr enttäuscht, dass drei deutsche Nichtregierungsorganisationen gelistet wurden, die im Petersburger Dialog substanziell zur Verbesserung und Intensivierung deutsch-russischer Zivilgesellschaftsprozesse beigetragen haben. Und darum habe ich dringend gebeten, ob wir diese Klassifizierung aufheben könnten, um die Weiterarbeit des Petersburger Dialogs möglich zu machen", sagte die Bundeskanzlerin.

Man habe auch die Lage in Weißrussland angesprochen, erklärte Putin. Er betonte, dass die dortige Situation ausschließlich ohne Einmischung von außen gelöst werden sollte.

Bei ihrem letzten offiziellen Russlandbesuch als Bundeskanzlerin hat Angela Merkel dafür geworben, trotz der massiven politischen Spannungen im Gespräch miteinander zu bleiben. "Ich freue mich, dass wir uns noch einmal vielleicht als Abschiedsbesuch, aber auch als Arbeitsbesuch hier im Kreml treffen können", sagte sie am Freitag nach ihrer Ankunft in Moskau. Putin betonte seinerseits, Merkel werde in Russland immer als gern gesehener Gast begrüßt, auch nach ihrem Rücktritt als Bundeskanzlerin. Merkel sagte, die Gespräche mit der russischen Seite seien in den letzten Jahren zwar umstritten gewesen, doch der Dialog mit Russland habe "keine andere vernünftige Alternative".

Das letzte Mal trafen sich Putin und Merkel persönlich am 19. Januar 2020 in Berlin bei einer internationalen Konferenz zu Libyen. Während der COVID-19-Pandemie haben die beiden mehrmals miteinander telefoniert.

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