Deutschland setzt Abschiebungen nach Afghanistan aus – nachdem zuvor dafür geworben wurde
Dem Abzug ausländischer Truppen aus Afghanistan, der Anfang Mai begann, folgte eine Offensive der militant-islamistischen Taliban. Bereits neun von 34 Provinzhauptstädten waren am Mittwoch in den Händen der Taliban. Die US-Geheimdienste gehen davon aus, dass auch die Hauptstadt Kabul in naher Zukunft in die Hände der Taliban fallen werde. Dies könne etwa in den nächsten 30 bis 90 Tagen der Fall sein. US-Präsident Joe Biden ist dennoch der Ansicht, die Afghanen müssten nun "selbst kämpfen". Der Einsatz des US-Militärs in Afghanistan gilt als der längste und kostspieligste Krieg in der Geschichte der USA. Begonnen wurde er mit der Invasion im Jahr 2001 als Reaktion auf Anschläge in den USA am 11. September 2001.
Ende Juli wandte sich die afghanische Regierung an die Europäische Union mit der Bitte, die Abschiebungen nach Afghanistan für drei Monate einzustellen. Die Situation in Afghanistan gestalte sich derzeit als zu schwierig. Schweden und Finnland kamen dieser Bitte bereits nach. Menschenrechtsorganisationen zeigen sich besorgt, da Hilfseinsätze in dem instabilen Land als zunehmend schwieriger werden.
EU-Vertreter der Mitgliedsländer Deutschland, Belgien, Österreich, Griechenland, Niederlande und Dänemark forderten in einem Schreiben an die EU-Kommission, "einen intensiveren Dialog mit den afghanischen Partnern über alle dringenden Migrationsfragen zu führen, einschließlich einer raschen und wirksamen Zusammenarbeit bei der Rückkehr". Ein Abschiebestopp sei das falsche Signal, kritisierten sie. Dies würde einen gegenteiligen Effekt mit sich bringen und "noch mehr afghanische Bürger dazu motivieren, ihre Heimat in Richtung EU zu verlassen". Man sollte sich auf die Nachbarländer Afghanistans konzentrieren und den Flüchtlingen dort Schutz bieten.
Der belgische Staatssekretär für Asyl und Migration Sammy Mahdi erklärte als Reaktion auf Twitter:
"Nur weil Regionen eines Landes gefährlich sind, bedeutet das nicht, dass jede Person aus diesem Land ein Recht auf Schutz hat."
Die afghanischen Behörden selbst behindern die Abschiebungen. In den nächsten drei Monaten wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, abgelehnte Asylbewerber zurückzuschicken. Die Niederlande entschlossen sich angesichts der schlechten Sicherheitslage, vorerst nicht mehr nach Afghanistan abschieben zu wollen. Auch Deutschland schiebt vorerst keine Menschen mehr nach Afghanistan ab.
Am Mittwoch sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums:
"Der Bundesinnenminister hat aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Sicherheitslage entschieden, Abschiebungen nach Afghanistan zunächst auszusetzen."
Im letzten Jahr stammten 10,6 Prozent der in der EU Asylsuchenden aus Afghanistan und stellen damit die zweitgrößte Nationalitäten-Gruppe Schutzsuchender. Die Mehrzahl der afghanischen Flüchtlinge hält sich derzeit in Iran oder Pakistan auf.
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