Europa

Corona-Mutation: Exodus aus London – Lauterbach warnt vor neuer Virusvariante

Wegen einer Corona-Mutation gilt in London wieder eine komplette Ausgangssperre. Die Bewohner verlassen panikartig die Stadt. Bei allem Verständnis kritisiert der Bürgermeister, Sadiq Khan, den Beschluss. Karl Lauterbach warnt vor einem Mutationskreislauf.
Corona-Mutation: Exodus aus London – Lauterbach warnt vor neuer Virusvariante© Twitter / HarrietClugston

Eine neue Variante des Coronavirus breite sich derzeit rasant im Südosten Englands aus. Am Samstag erklärte Premierminister Boris Johnson auf einer Pressekonferenz in der Downing Street:

"Angesichts des beginnenden Nachweises einer neuen Virusvariante und des potentiellen Risikos, das es mit sich bringt, muss ich Ihnen schweren Herzens mitteilen, dass wir Weihnachten nicht wie geplant weitermachen können."

Shutdown und Panik in London

Um das Virus einzudämmen, gilt seit Sonntag in der Hauptstadt London und in weiten Teilen Südostenglands ein harter Shutdown mit Ausgangssperren, auch über die Weihnachtstage. Bei dem Shutdown müssen nicht lebensnotwendige Geschäfte und Einrichtungen schließen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind betroffen. Die Londoner ihrerseits fassten die Ankündigung eines Weihnachts-Shutdowns durch ihren Premier als einen Wink auf, die Stadt schnellstmöglich zu verlassen. Damit dürfte wohl genau das Gegenteil der Eindämmung des Virus – welcher Variante auch immer – erreicht werden.

In den sozialen Netzwerken gepostete Videos zeigen große Menschenmengen auf Bahnhöfen, um dem Bereich mit der höchsten Ansteckungsgefahr mit der Corona-Stufe vier, in Großbritannien als "Tier 4" bekannt, zu entkommen. Samstagfrüh hatte Johnson alle, die im Bereich "Tier 4" leben, aufgerufen, sich nicht unter andere Menschen außerhalb ihres Haushaltes zu mischen. Die Zone mit der Corona-Stufe vier schließt außer London auch den Südosten und Peterborough im Osten mit ein.

Einwohner dürfen dieses Gebiet seit Sonntag nicht verlassen. Nach Bekanntgabe der schärferen Maßnahmen machten sich zahlreiche Menschen dennoch am Samstagabend spontan auf den Weg, um aus London abzureisen.

Nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler ist die kürzlich entdeckte Variante um bis zu 70 Prozent schneller und ansteckender als die bisher bekannte Form. Sie soll tödlicher und resistenter gegen Impfungen sein als der ursprüngliche Virus.

Doch wenn das Ziel die Eindämmung der neuen Version des Virus sein sollte, scheint der Lockdown, wie er läuft, nicht ganz durchdacht. Die Ankündigung eines Lockdowns am Samstag gegen Mitternacht hat unter den Einwohnern wohl blankes Entsetzen ausgelöst, so dass sie in Massen die Gefahrenzone – eben auch London – zu verlassen versuchten. In einem der Videos sind lange Warteschlangen von Reisenden, die in den Zug nach Leeds einsteigen wollen, auf dem Bahnhof St Pancras zu sehen.

Nigel Farage, Vorsitzender der 2019 gegründeten Brexit-Partei, übermittelte schon einmal höhnisch dem Premier Boris Johnson seine Glückwünsche per Twitter und setzte hinzu: "Sie haben die erste Evakuierung Londons seit 1939 ausgelöst."

Londons Bürgermeister kritisiert Johnsons Krisenmanagement 

Londons Bürgermeister Sadiq Khan sagte am Sonntag der BBC:

"Es ist das Hin und Her, das zu so viel Angst, Verzweiflung, Traurigkeit und Enttäuschung führt. Wenn wir unsere Meinung immer wieder ändern, macht es das Leuten wie mir wirklich schwer, die Menschen zu bitten, uns zuzuhören. (...) Was Sie gestern gesehen haben, war eine direkte Folge der chaotischen Art und Weise, wie die Ankündigung gemacht wurde."

Er habe Verständnis, dass Menschen in letzter Sekunde, bevor die Reiseverbote greifen, zu ihren Familien reisen wollen. "Aber das ist falsch", meinte der Bürgermeister.

Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock schloss nicht aus, dass die schärferen Maßnahmen "in den kommenden Monaten" in Kraft bleiben werden. Dem Sender BBC sagte er: 

"Sie (die Mutation/Anm.) ist außer Kontrolle, und wir müssen sie wieder unter Kontrolle bekommen."

Lauterbach warnt vor Mutationskreislauf

Der deutsche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) warnte vor Mutationen des Coronavirus. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärte er am Sonntag:

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass Mutationen die Ansteckungsgefahr erhöhen. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass die zweite Welle nicht so stark werden darf. Je mehr Ansteckungen man zulässt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch gefährlichere Mutationen folgen. Das ist quasi ein Teufelskreis: Mehr Ansteckungen führen zu mehr Mutationsgelegenheiten und damit zu mehr Mutationen. Diese wiederum führen zu mehr Ansteckungen. So geht es dann immer weiter."

Nachtrag: Wegen der neuen Variante des Coronavirus will die Bundesregierung die Reisemöglichkeiten mit Großbritannien einschränken. Eine entsprechende Regelung werde zur Zeit erarbeitet, teilte ein Regierungssprecher am Sonntag mit. Der Pressesprecher des Bundesinnenministeriums sagte dazu in einem Tweet: 

"Die Bundespolizei ist angewiesen, Reisende aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika sowie die digitale Einreiseanmeldung DEA systematisch zu kontrollieren. Maßnahmen werden mit Gesundheitsämtern abgestimmt. Reisende müssen sich auf längere Wartezeiten an den Grenzen einstellen."

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