Wahlen und Wirklichkeit in Rumänien im Jahr 2020
von Prof. Dr. Anton Latzo
Anfang Dezember haben in Rumänien die turnusmäßigen Parlamentswahlen stattgefunden, die ursprünglich für Juni geplant waren. Nachdem Staatspräsident Klaus Johannis im September mit 67 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden war, hat man damit gerechnet, dass die National-Liberale Partei (PNL) als Sieger hervorgeht.
Die letzten vier Jahre
Die Zeit seit 2016 war eine Periode der politischen Krisen, des wiederholten Wechsels von Koalitionen und Regierungen. Politische Destabilisierung war kennzeichnendes Merkmal. Die Parlamentswahlen vor vier Jahren (2016) hatte die Sozialdemokratische Partei (PSD) mit über 45 Prozent der Stimmen für sich entschieden, während die National-Liberale Partei (PNL) eine deutliche Niederlage erlitt.
In der Folgezeit kam es bei den von der PSD geführten drei Regierungen zu wiederholten Regierungskrisen, Abspaltungen von Abgeordneten und dem Wechsel von Koalitionspartnern, was den Verlust der Mehrheit zur Folge hatte. Daraufhin beauftragte Präsident Johannis den aktuellen Vorsitzenden der PNL, Ludovic Orban, mit einer Regierungsbildung. Im November 2019 bildete dieser eine Minderheitsregierung.
Johannis, der davor selbst Vorsitzender der PNL gewesen war, stellte fest, dass er damit endlich "seine" Regierung habe. Er hoffte, damit ein wichtiges Instrument für die Durchsetzung seiner Vorstellungen von Politik und von ausländischen Partnern geschaffen zu haben. Bis dahin fühlte er sich durch das Verfassungssystem daran gehindert, in ganzer Breite zu regieren, weil dieses System dem Präsidenten Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik zuteilt. Die Befugnisse, die darüber hinaus zu treffen sind, liegen aber in der Zuständigkeit der Regierung bzw. der sie tragenden Parlamentsmehrheit. Da jetzt "seine" Partei die Regierung bildete, sah Johannis die Möglichkeit, auch die Entscheidungen außerhalb der Außenpolitik zu bestimmen. Er erkannte verbesserte Aussichten, sein Ziel, mehr Macht und erweiterte Befugnisse in seiner Hand zu konzentrieren, zu erreichen. Er und die anderen Liberalen betrachteten diese Wahlen als entscheidend auf diesem Weg und als Hindernis bei der endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratischen Partei.
"Am 6. Dezember (2020) kann die Beseitigung der Sozialdemokratischen Partei von den Hebeln der Macht endgültig sein. Es ist an der Zeit, dass die Bürger dieser Nation und die reformerischen Kräfte, gemeinsam mit mir, dass wir in eine neue Etappe der Entwicklung unseres Landes gehen", so Johannis im Wahlkampf, in den sich der Präsident eigentlich nicht einmischen darf.
In seinen Bemühungen wird er auch vom Ausland unterstützt, vor allem vom US-Botschafter und deutschen Vertretern. Auch andere rumänische Politiker, etwa der liberale Finanzminister, erklärten im Wahlkampf kategorisch, es sei "die Zeit gekommen, die Rumänen von der PSD zu erlösen". Die reguläre Parlamentswahl wurde zu einer Schicksalswahl umfunktioniert!
Wahlergebnisse
Es wurden die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Senats gewählt. Besorgniserregend war die sehr niedrige Beteiligung von 31,8 Prozent der Wahlberechtigten. Damit setzt sich die Tendenz der rückläufigen Wahlteilnahme fort. Schon bei den Parlamentswahlen von 2016 hatten 60 Prozent (!) der Wahlberechtigten nicht von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Diesmal wurde die niedrigste Teilnahme registriert, die es je gab.
Zur großen Überraschung wurde die PSD mit 30,04 Prozent der abgegebenen Stimmen stärkste Kraft sowohl im Senat als auch in der Abgeordnetenkammer. Die Liberale Partei (PNL) erreichte nur 26,1 Prozent der Stimmen. Die Uniunea Salvați România (USR; zu Deutsch etwa: Union Rettet Rumänien), eine Partei, die sich aus Anhängern von Reformen im Sinne einer "offenen Gesellschaft" (Soros-Stiftungen) zusammensetzt, ist mit 15,9 Prozent drittstärkste parlamentarische Kraft geworden und könnte eine wichtige Rolle bei der Bildung einer neuen Regierung spielen.
Außerdem haben noch zwei weitere Parteien den Einzug ins Parlament geschafft, der Verband der ungarischen Minderheiten in Rumänien (5,98 Prozent) und eine "Allianz für die Vereinigung der Rumänen von überall", die erst im September 2020 gegründet worden war und als Schwerpunkte Familie, Vaterland, Glaube, Freiheit nennt. Sie erreichte 9,83 Prozent. Ihre nationalistische Färbung wird daran sichtbar, dass sie u.a. die Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldawien verlangt. Die PNL und Präsident Johannis haben ihre Ziele nicht erreicht, trotz der intensiven Kampagne, die Johannis verfassungswidrig gemeinsam mit der PNL und aktiv unterstützt durch den US-amerikanischen Botschafter in Rumänien bestritt.
Nach den Wahlen ist das Land territorial entlang der alten Grenzen zu Österreich-Ungarn (Verlauf der Karpaten) in West- und Nordwestrumänien (PNL) und das alte Rumänien in Süd- und Ostrumänien (PSD) gespalten, was unter bestimmten Bedingungen durchaus zu einem politischen Problem werden kann, das die rumänische Innenpolitik überschreitet. Die Probleme für die künftige politische Stabilität in Rumänien werden sich auf jeden Fall vermehren, weil auch ausländische Kräfte (die USA und die EU-Mächte) daran interessiert sind, solche Kräfte in Rumänien zu fördern, die ihren Interessen dienlich sein können. Anknüpfungspunkte bieten sowohl die Kräfteverhältnisse nach den Wahlen als auch die Bedingungen, die schon vorher geschaffen wurden.
Spaltung der Gesellschaft
Innenpolitisch dominiert ein eindeutiger Trend: der Prozess der Spaltung der Gesellschaft durch eine immer stärkere Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in einer relativ kleinen Oberschicht von Reichen, die ihrerseits wieder durch eine Differenzierung zwischen ausländischen und einheimischen Kapitalbesitzern gekennzeichnet ist.
Das inländische Kapital wird dabei sukzessive von den Tischen grundlegender Entscheidungen für die Innen- und Außenpolitik des Landes verdrängt, hat immer weniger zu sagen, wenn es um grundlegende Entscheidungen geht, und muss unter Bedingungen arbeiten, die vom ausländischen Kapital gesetztwerden. Nicht nur die gewählten Organe der Gesellschaft und des Staates haben die Hoheit über die strategischen Entscheidungen über die Zukunft des Landes verloren!
Für die äußeren Bedingungen ist kennzeichnend, dass die USA – in Konkurrenz mit den Mächten der EU – das Ziel verfolgen, Rumänien als willigen Helfer in das Ringen um die Interessen der USA einzubauen und dafür auch noch ihre ökonomischen und militärischen Ressourcen nutzen. Da die militärtechnische Ausrüstung der NATO und deren Modernisierung überwiegend mit US-amerikanischen Waffensystemen erfolgt, sind dadurch zugleich wachsende Profite der amerikanischen Rüstungsindustrie und politische Abhängigkeiten gesichert. Die aktuellen Verhältnisse in Rumänen und die Regierungspolitik werden gegenwärtig weitgehend davon bestimmt.
Soziale Aspekte
Zunehmende Auswirkungen auf die Gesellschaft in Rumänien – wie auch in Osteuropa insgesamt – hat der Prozess einer deutlich sichtbaren Verkleinerung der nach 1990 entstandenen relativ wohlhabenden Mittelschichten und eine Verarmung immer größerer Schichten lohnabhängig oder angestellt Beschäftigten sowie der Rentner.
Arbeitslosigkeit ist zu einer konstanten Erscheinung geworden. In Rumänien wird die veröffentlichte Quote zwar niedrig gehalten, aber verschwiegen, dass 38 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung gezwungen ist, im Ausland Arbeit zu suchen. Es fehlt eine in die Breite wirksame, aufklärende und zusammenführende politische Kraft, die diese Unzufriedenheit in positive politische Aktion umwandelt.
Manipulationen
Durch Demagogie und irreführende Masseninformation, die durch politische Kreise, NGOs und Medien zielgerichtet betrieben wird, werden progressive, demokratische Bestrebungen in destruktive und destabilisierende Haltungen und Prozesse umfunktioniert. Diese Entwicklung erfolgt unter den Bedingungen einer nachhaltigen Pflege des Konzepts von der "offenen Gesellschaft".
Die Soros-Stiftungen wurden in Rumänien schon einen Tag nach der Erschießung der Ceaușescus am 25. Dezember 1989 offiziell tätig. Seither wurde eine ganze Generation von Politikern und Intellektuellen von ihnen ausgebildet. Sie sind Minister, Abgeordnete und Propagandisten im Inland und Vertreter des Landes im Ausland. Die unter dem Deckmantel gesellschaftlicher Aktivitäten entstehenden Bewegungen entpuppen sich als politische Organisationen und Parteien, die dann Koalitionen eingehen, Fraktionen und Regierungen bilden bzw. stürzen können. Die Masse von ihnen werden "Influencer", die dann wieder die "demokratische" Öffentlichkeit, die Gesellschaft repräsentieren. Der Kreislauf, der für Nachschub sorgt, ist somit hergestellt.
Führende Ökonomen schätzen ein, dass man von einer "ausländischen Wirtschaft" in Rumänien sprechen kann. Sie verfügt über alle strategischen Hebel und Vorteile, die das Land bietet, erzielt hohe Extraprofite, trägt aber keinerlei Verantwortung – weder für den Zustand der Gesellschaft noch für die Wirtschaft des Landes. Sie hat ein einziges Ziel: hohe Profite für sich zu erzielen. Sie leistet keine Beiträge, weder für die Armee noch für die öffentliche Ordnung, die Renten-, Gesundheits- oder Bildungsfonds. Alle diese Kosten muss die "nationale Wirtschaft" tragen. Rumänien habe den Status einer "Kolonie an der Peripherie Europas" erreicht.
Es wird schwierig, eine wachsende Polarisierung der Gesellschaft unter den durch die Wahlen geschaffenen Bedingungen zu vermeiden.
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