Frankreich erklärt "Cyber-Islamismus" den Krieg
Am Dienstag empfing die beigeordnete Ministerin für Staatsbürgerschaft, Marlène Schiappa, Vertreter von Facebook, Twitter, Google, TikTok und Snapchat in ihrem Amtssitz am Place Beauvau in Paris. Das vorab von der Regierung erklärte Ziel des Treffens: Einen Weg finden, wie der "Cyber-Islamismus" in Frankreich bekämpft werden kann.
In den Tagen vor Samuel Patys gewaltsamen Tod kursierten Botschaften und Videos auf sozialen Medien, in denen die Entlassung des Geschichtslehrers gefordert wurde. Der mutmaßliche Mörder, Abdullakh A., bekannte sich auf Twitter zu seinen Taten und veröffentlichte ein Foto des Opfers, das fast zwei Stunden lang online blieb. Zwar müssen laut der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) "für Vertrauen in die digitale Wirtschaft" die sozialen Medien in so einem Fall unverzüglich handeln, doch die Formulierung des Gesetzes (Artikel 6.1-2) bleibt vage.
"Die islamistische Ideologie breitet sich in sozialen Netzwerken stark aus. Eine ganze Generation junger Menschen radikalisiert sich nicht selbst, indem sie in eine radikalisierte Moschee geht, Menschen trifft oder ins Gefängnis geht", erklärte Marlène Schiappa gegenüber dem französischen Sender RTL. Und sie ergänzte:
Nein, sie radikalisierten sich zu Hause, allein in ihrem Zimmer, vor ihrem Telefon oder einem Computerbildschirm, in sozialen Netzwerken.
Laut dem Soziologen Raphaël Liogier "stellt die Ministerin die richtige Diagnose". Er ist Autor des Buches "La guerre des civilisations n'aura pas lieu" (zu dt.: "Der Krieg der Zivilisationen wird nicht stattfinden"). Der Soziologe führte gegenüber dem Nachrichtensender France 24 aus:
Der Extremismus von Einzelpersonen findet systematisch über 'Sofortmedien' wie soziale Netzwerke statt. In der gleichen Weise, wie dieser Übergang sofort und nicht nach einem langen Prozess religiöser Radikalisierung erfolgt, wie wir allzu oft zu sagen pflegen.
Auch Politiker in der Pflicht?
Es gäbe auch keine "Territorialisierung der Islamisierung", da die Ideologie überall im Internet verbreitet werde. Der Terrorist ändere sich nicht aufgrund seiner Nachbarschaft oder seiner Herkunft. Terroristen seien vor allem frustrierte Personen, sexuell oder in einer Situation des Versagens (beruflich oder anderweitig), die sich rächen wollten, indem sie sich für das einsetzten, was die Gesellschaft bekämpfe, nämlich den Islamismus. Diese Ideologie sei in den sozialen Netzwerken leicht zu finden.
Doch der Soziologe nimmt auch die Politiker in die Pflicht. Diese müssten aufhören, "Polemiken über Fundamentalisten wie die Frage des Schleiers oder der Burkini zu Wahlzwecken zu schüren". Dies schaffe von Grund auf einen Krieg, der zum Objekt der Begierde all jener werde, die die Gesellschaft angreifen wollten. Die Politiker seien für die Islamisierung der Gesellschaft viel stärker verantwortlich als die sozialen Netzwerke selbst, "die nur Mittel seien", so Liogier.
Zur Bekämpfung des "Cyber-Islamismus" gründete die französische Regierung schon 2009 die Plattform PHAROS (Plattform zur Harmonisierung, Analyse, Gegenprüfung und Weiterleitung von Warnmeldungen), die Meldungen von Internetnutzern entgegennimmt. Nach einer Überprüfung alarmieren die Polizisten und Gendarmen von PHAROS gegebenenfalls die zuständigen Dienststellen, sodass eine Untersuchung unter der Aufsicht des Staatsanwalts eingeleitet werden kann.
Allerdings stößt bei der Anwendung dieser Plattform der Wunsch, sogenanntes "Hate Speech" zu sanktionieren, immer wieder auf die verfassungsmäßig garantierte Meinungsfreiheit.
Laetitia Avia von Macrons Partei La République en Marche, versuchte sich an einem Gesetzentwurf gegen "Hate Speech" im Internet, der zwar von der Nationalversammlung verabschiedet, aber vom Verfassungsrat weitgehend wieder einkassiert wurde.
Zwar verlangen französische Politiker vereinzelt nach wie vor eine stärkere Zensur des Staates, so wie zum Beispiel Valérie Pécresse, Präsidentin der Region Île-de-France, die vorschlug, ein "soziales Netzwerk der Polizei" zu schaffen. Die Politikerin erklärte:
Wir müssen ausreichende Garantien in ein Gesetz aufnehmen, um eine Zensur sozialer Netzwerke zu ermöglichen, wenn sie unsere Grundfreiheiten verletzen.
Auch der republikanische Abgeordnete Geoffroy Didier und der ehemalige Präsident der Region Hauts-de-France, Xavier Bertrand, befürworten die teilweise Aufhebung der Anonymität im Internet. In Schiappas Entourage wird ebenfalls über weitergehende Maßnahmen nachgedacht. Es sei neben den Vorrichtungen zur Meldung und Blockierung illegaler Inhalte auch notwendig, dass der Staat im Netz nicht abwesend sei und eine "Gegenrede" als Reaktion auf "Hate Speech" organisiere.
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