Vor EU-Gipfel: Corona-Kürzungen gefährden gemeinsame militärische Pläne
Kein Zweifel, die Europäische Union (EU) steht erneut vor gigantischen Aufgaben. Im Zuge der Corona-Krise werden immer neue Rettungspakete von atemberaubender Höhe geschnürt. Währenddessen nehmen die gesellschaftlichen Fliehkräfte zu, die Kluft zwischen Arm und Reich wächst weiter. Doch selbst im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fehlt es ganz offensichtlich an sozialen Visionen für eine auch tatsächlich geeinte Union. Dass die EU-Mitgliedsstaaten aufgrund der aktuellen Herausforderungen andere Probleme haben, als immer höhere Milliardenbeträge zur "Verteidigung" gegen einen imaginären Feind zu berappen, liegt auf der Hand.
Im Grunde also kaum verwunderlich, dass im Rahmen des jüngsten Haushaltsvorschlags, den der belgische EU-Ratspräsident Charles Michel am 10. Juli vorlegte, weitere Kürzungen im EU-Verteidigungshaushalt vorgesehen sind. Diese betreffen vor allem den Europäischen Verteidigungsfonds (EVF). Die vorgeschlagenen Mittel für das Europäische Raumfahrtprogramm (13 Milliarden Euro) decken sich derweil weitestgehend mit den ursprünglichen Plänen. Für die militärische Mobilität ("military mobility") waren EU-Haushaltsmittel von 6,5 Milliarden Euro veranschlagt. Die entsprechenden Mittel wurden auf 1,5 Milliarden Euro zusammengestrichen. Im Zuge der Mobilitätsinitiative sollen vor allem der Ausbau von Infrastruktur und das Verlegen von Truppen innerhalb Europas vereinfacht und dadurch beschleunigt werden.
Als die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, im vergangenen Jahr ihre "geopolitische Kommission" vorstellte, forderte sie, dass Europa "die Sprache der Macht" lernen muss und umriss damit die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der "neuen EU".
Nun fürchten Brüsseler Granden, dass die jüngste Entwicklung den militärischen Ambitionen der EU einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Es besteht das Risiko, dass die Verteidigungsausgaben sinken, aber dieses Risiko muss vermieden werden", erklärte etwa General Claudio Graziano, Vorsitzender des EU-Militärausschusses (EUMC), Anfang Juli im Rahmen eines EU-US-Verteidigungstreffens.
Laut Graziano müsse die Gefahr gebannt werden, dass sich der EU-Verteidigungshaushalt "mit dem Virus" infiziere. Er erinnerte das Auditorium daran, dass "obwohl die Verteidigungsausgaben in erster Linie in die nationale Verantwortung fallen", es dennoch wichtig sei, "dass die Mitgliedsstaaten finanzielle Glaubwürdigkeit gewährleisten und gemeinsame EU-Initiativen unterstützen".
In Anbetracht von Kürzungen der Verteidigungshaushalte seien ansonsten "die beiden Hauptpfeiler der Globalen Strategie der EU" gefährdet, fügte er hinzu.
Die sogenannte "Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU" löste als rechtlich unverbindliches Dokument im Jahr 2016 die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 ab. Der Aufbau von Resilienz, also die "Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber inneren und äußeren Bedrohungen", stellt nun offiziell das übergeordnete Ziel der gemeinsamen "Verteidigungsbemühungen" dar.
Der Generalsekretär der Europäischen Verteidigungsagentur, der Tscheche Jiří Šedivý, erklärte auf derselben Veranstaltung, dass "angesichts der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise die Verteidigungsinvestitionen einem erhöhten fiskalischen Druck standhalten müssen".
Was demzufolge vermieden werden müsse, seien "unkoordinierte Kürzungen", fügte der Politiker hinzu.
Der Chefdiplomat der EU, Josep Borrell, sorgte sich ebenfalls um die Wehrhaftigkeit der Europäischen Union. In seiner Logik ist es die Corona-Krise die verdeutliche, wie hoch die militärische Verwundbarkeit der EU-Mitgliedsländer sei. Kein Verständnis hat er daher, für nationale Prioritäten anderer Natur.
Das Coronavirus hat eine neue Bedrohung mit sich gebracht (...) und es erfordert ein stärkeres Europa in der Welt", erklärte Borrell nach einem Treffen der EU-Verteidigungsminister im vergangenen Monat.
COVID-19 sei folglich "ein neuer Faktor (...), der Ressourcen erfordert".
Die Corona-Krise in eine militärpolitische Herausforderung umdefiniert, sind sich EU-Beamte demnach darüber einig, dass eine forcierte militärische Zusammenarbeit auch die chemische und biologische Forschung fördern könne – etwa im Bereich von "hochtechnologischer und resistenter Kleidung".
Die Europaabgeordnete Nathalie Loiseau, Vorsitzende des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europäischen Parlaments, bezeichnete das derzeitige Verteidigungsbudget als "unzureichend", während andere Abgeordnete in den letzten Ausschusssitzungen "tiefe Besorgnis" über die Kürzungen im Sektor der militärischen Mobilität äußerten.
Vor allem Frankreich würde es nach wie vor begrüßen, wenn die EU-Mitglieder mehr Ehrgeiz in Sachen Verteidigungsinitiativen an den Tag legten, um den ursprünglichen Zielen weiterhin Folge zu leisten.
Die französische Verteidigungsministerin Florence Parly zeigte sich zudem davon überzeugt, dass eine verstärkte militärische Zusammenarbeit sich gerade aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise auch aus ökonomischer Perspektive lohne. In einer Rede vor den Europaabgeordneten Anfang Juli erklärte Parly, dass der EVF, der darauf abzielt, die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken und Überschneidungen bei den Verteidigungsausgaben durch Kofinanzierungen zu reduzieren, "ein wichtiges Instrument zur wirtschaftlichen Erholung" von der Pandemie sein könnte.
"Europa sollte nicht nur eine Ansammlung von Bausteinen, sondern eine wirkliche Kraft sein, und dafür brauchen wir den Europäischen Verteidigungsfonds", gab Parly zu Protokoll und erinnerte bei dieser Gelegenheit an die Kürzungen, die von der finnischen EU-Präsidentschaft im vergangenen Jahr initiiert wurden und gegen die sich Paris ausgesprochen hatte.
Wir brauchen noch mehr – deshalb haben Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien an die Hohe Vertreterin geschrieben, denn wir brauchen mehr denn je einen ehrgeizigen EVF", fügte sie hinzu.
Ihre Worte wurden eine Woche später von der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgegriffen, als sie die Prioritäten der sechsmonatigen deutschen EU-Präsidentschaft skizzierte.
"In den laufenden Budgetverhandlungen müssten der Europäische Verteidigungsfonds und die Frage der militärischen Mobilität entsprechend berücksichtigt werden", hatte Kramp-Karrenbauer im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europäischen Parlaments erklärt.
Die Warnungen der EU-Beamten und Minister in Hinblick auf die gemeinsamen militärischen Ambitionen dürften auch auf dem am Freitag beginnenden EU-Gipfel wahrgenommen werden.
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