Der deutsche Überfall auf die UdSSR: Warum glaubte Stalin seinen Aufklärern nicht?
von Wladislaw Sankin
Zu Beginn der 1940er Jahre verfügte der sowjetische Geheimdienst über drei besonders wertvolle Aufklärer in Nazi-Deutschland. Sie operierten unter den Decknamen "Hauptmann", "Korsikaner" und "Breitenbach".
Das erste Pseudonym war Harro Schulze-Boysen zuzuordnen. Er war nur Leutnant bei der Luftwaffe, hatte aber Zugang zu einem der mächtigsten Nazi-Größen, zu Reichsmarschall Hermann Göring. Unter dem Pseudonym "Korsikaner" stand der Antifaschist Arvid Harnack als Berater des Wirtschaftsministeriums mit Schulze-Boysen in Verbindung.
Das Pseudonym "Breitenbach" trug der Kriminalkommissar und spätere Gestapo-Offizier Willy Lehmann, der in der Spionageabwehr tätig war und so auch über Rüstungsunternehmen Informationen erhielt. Dies ermöglichte ihm, den sowjetischen Geheimdienst mit zahlreichen Informationen auch über deutsche Rüstungsvorhaben zu versorgen.
Alle drei Agenten berichteten ihren jeweiligen Verbindungsleuten in der ersten Hälfe des Jahres 1941, dass der Angriff gegen die Sowjetunion unmittelbar bevorstünde. Am 28. Mai 1941 berichtete "Breitenbach", dass auch seine Gestapo-Abteilung auf einen 24-Stunden-Dienst in den zu überwachenden Betrieben umgestellt wurde, was von außergewöhnlichen Ereignissen in allernächster Zeit zeugte. Am 16. Juni berichteten "Hauptmann" und "Korsikaner", dass der Krieg "jede Minute" beginnen könne, und mit dieser Nachricht wurden sogar vorrangige Ziele für den Angriff deutscher Flugzeuge mitgeteilt.
Am nächsten Tag wurde diese Information Stalin als Depesche vorgelegt. Stalin aber reagierte mit Empörung: "Es handelt sich nicht um eine Quelle, sondern um Fehlinformation", entschied Stalin und soll dabei sogar geflucht haben. Am 19. Juni präzisierte "Breitenbach", der deutsche Überfall werde am Morgen des 22. Juni beginnen. Erst am 22. Juni um 0.30 Uhr, also nur wenige Stunden vor dem Beginn der deutschen Offensive, erfolgte auf sowjetischer Seite der Befehl zur Herstellung der vollen Gefechtsbereitschaft an die Truppen aller Grenzbezirke.
Desinformation und die "England-Frage"
Am 18. Dezember 1940 hatte Adolf Hitler den "Barbarossa-Plan" zur Vorbereitung eines Angriffs auf die UdSSR unterzeichnet. Spätestens am 30. April 1941 legte der Führer der NSDAP das genaue Datum des Angriffs nach diesem Plan fest – auf den 22. Juni 1941. Der Befehl dazu wurde den Truppen allerdings noch später – erst am 10. Juni – übermittelt.
Hitler forderte, dieses Datum strengstens vertraulich zu behandeln und daher noch eine Desinformationskampagne zu organisieren. Sie wurde tatsächlich in einem riesigen Maßstab und mit vielen ausschmückenden Details realisiert. Vor allem müsste der Eindruck bestehen bleiben, dass Deutschland zunächst weiterhin England besiegen wolle. Es wurden in großer Zahl entsprechende Meldungen und Karten der britischen Küste, auch deutsch-englische Wörterbücher publiziert. Die Verlegung von deutschen Truppen gen Osten, die auch von der UdSSR nicht zu übersehen war, erklärten die Nazis als trickreiche Manöver, um die Briten abzulenken.
Nur ein ganz enger Zirkel um Hitler war in die wahren Pläne vollständig eingeweiht. Auch die treuen Agenten der Sowjetunion fielen mehrfach auf Fehlinformationen über Datum oder Hauptstoßrichtung der Erstoffensive herein. Es war zweifellos schwer, Fehlinformationen von den wahren Plänen zu unterscheiden. Zudem bevorzugte es Stalin, die vorgelegten Depeschen ausschließlich selbst zu beurteilen. Er hörte auch nicht auf den Chef der Militäraufklärung Wiktor Fatin, der auch erst 33 Jahre alt war. Später, während des Krieges, hat diese Arbeit dann ein analytisches Zentrum der Militäraufklärung übernommen.
So gab es auch Anfang Mai 1941 einen Bericht, der sich eben nicht bewahrheitet hatte. Darin berichtete der sowjetische Marineattaché in Berlin unter Bezugnahme auf einen Agenten, dass der Krieg gegen die Sowjetunion am 14. Mai, und zwar mit einem Angriff durch Finnland, die baltischen Staaten und Rumänien, beginnen würde. Admiral Kusnezow, der Chef der Marine, der Stalin diesen Bericht übergab, stellte fest, dass dies höchstwahrscheinlich eine Falschinformation sei, um die Reaktion der Sowjetunion zu testen. Der Krieg begann schließlich viel später und in einer ganz anderen Richtung des Hauptschlags – nämlich durch Weißrussland.
Auch die "Rote Kapelle", ein Netzwerk von deutschen Widerstandskämpfern, zu dem auch Sowjetspione gehörten, hatte mehrfach Daten über Beginn der Offensive gemeldet, die sich nicht bewahrheiteten. Schließlich konnten sie nur das übermittelten, was ihnen glaubhaft zugetragen wurde. Diese Desinformationen wurden offenbar mit dem Ziel gestreut, als Reaktion die sowjetische Führung zur einer Generalmobilmachung zu provozieren. Ähnlich wie im Ersten Weltkrieg hätte dies von Deutschland als Vorwand für den eigenen Angriff als reinen "Präventivschlag" genutzt werden können. Und der Vorwurf der geplanten Aggression hätte die Sowjetunion auch noch der Unterstützung durch andere Länder berauben können.
Da Japan mit Hitler-Deutschland im Verteidigungspakt verbunden war, könnte dies auch den Kriegsantritt Japans nach sich ziehen und Stalin dazu zwingen, an zwei Fronten zu kämpfen. Am Ende kam es aber anders und es war wieder Deutschland, das wie im Ersten Weltkrieg an zwei Fronten kämpfen musste. Stalin ließ mit seinem Ausbleiben von Reaktionen und Abwarten England und später den USA ohne einen eventuellen Gesichtsverlust keine andere Wahl, als sich mit der Sowjetunion in einer Anti-Hitler-Koalition zu verbünden.
Andererseits hatte Stalin aber auch die Gegensätze zwischen England und Nazi-Deutschland überschätzt, und das war einer seiner großen Fehler. Zwar standen in der ersten Hälfte 1941 die beiden Länder auf mehreren Schauplätzen gegeneinander im Krieg. Doch die ursprünglichen deutschen Pläne, England auf den britischen Inseln zu besiegen, wurden zu diesem Zeitpunkt jedoch vorerst aufgegeben.
Bis kurz vor dem Angriff auf die Sowjetunion gab es zwischen den beiden Kriegsgegnern an der Westfront noch immer geheime Verhandlungen und Pläne über eine erhoffte gemeinsame Aufteilung der Welt nach dem Krieg. Solche Einigung wurde jedoch nicht erzielt, vor allem weil der deutsch-sowjetische Krieg auch durchaus im Interesse des britischen Premiers Churchill lag, der die beiden europäischen Kontinentalmächte an der Ostfront ausbluten sehen wollte. Kennzeichnend dafür war unter anderem die Vorbedingung Englands bei Verhandlungen mit den Nazis, dass diese den deutsch-sowjetischen Pakt verwerfen sollten. Hitler glaubte seinerseits leichtfertig an den Erfolg seines "Blitzkrieges" auch gegen die Sowjetunion – später sah er darin auch eine Intrige des britischen Spionagenetzwerkes in der deutschen Militäraufklärung, die falsche Einschätzungen zur Kampfbereitschaft der Sowjetunion im Falle eines Krieges liefern sollte.
Im gleichen Zusammenhang sollten wir die berühmte Erklärung der Nachrichtenagentur TASS vom 13. Juni 1941 betrachten, die die "in der britischen Presse verbreitete Gerüchte" über den bevorstehenden Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion widerlegt hat. Damit machte Stalin einmal mehr deutlich, dass die Sowjetunion keinen Krieg will. Der Verweis auf die britische Presse war auch nicht zufällig – der Kreml schloss nicht aus, dass London mit solchen Berichten die Sowjetunion ermutigen will, einen Krieg gegen Deutschland zu beginnen, damit Deutschland seine Pläne zum Angriff auf die britischen Inseln aufgibt.
Bereitete sich die UdSSR auf den Krieg vor?
Spätestens seit der Niederlage Frankreichs in Juni 1940 wusste Stalin – und mit ihm die gesamte sowjetische Führung – ganz genau, dass der Krieg gegen Deutschland wohl unvermeidbar ist. Die einzige Frage war, ob die Deutschen die UdSSR vor oder nach der Landungsoperation in Großbritannien angreifen würden.
Am 13. Mai 1941– also zwei Wochen nach Hitlers Entscheidung vom 30. April, die Sowjet Union am 22. Juni zu überfallen – erließ der sowjetische Generalstab die erste Direktive über die Verlegung der Truppen von der fernöstlichen Front nach Westen. Und sogar noch früher – im April begann eine verdeckte Mobilisierung, die es bis Anfang Juni erlaubte, die sowjetischen Streitkräfte um fast eine Million Soldaten aufzustocken.
Dies geschah eindeutig unter einer Vorgabe Stalins, der nämlich am 5. Mai vor Absolventen von Militäruniversitäten sagte, man müsse sich angesichts der Lehren aus dem Sieg über Frankreich auf einen Krieg mit den Deutschen vorbereiten. Am 24. Mai gab Stalin bei einer Sitzung des Politbüros zu Protokoll:
Die Situation verschlechtert sich täglich. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass wir plötzlich angegriffen werden könnten.
Dennoch, die Hoffnung, dass der Angriff erst im nächsten Jahr stattfindet, war noch immer groß. Zu diesem späteren Zeitpunkt wären die Kriegsproduktion und die Modernisierung der Armee in der Sowjetunion sehr viel weiter fortgeschritten. Eine Woche vor dem tatsächlichen Angriff sagte der Außenminister Wjatscheslaw Molotow noch: "Nur ein Dummkopf würde jetzt die Sowjetunion angreifen."
Der Sowjetführung war bekannt, dass die deutsche Wehrmacht keine Versorgungspläne für den Winter hatte. Der Kreml konnte sich nicht vorstellen, dass die pedantischen Deutschen so selbstgerecht waren, dass sie glaubten, den großen Feldzug vor dem Einsetzen der Kälte beenden zu können. Und doch begannen sie die Invasion tatsächlich, ohne sich auf den Winter vorbereitet zu haben. Doch dafür sollten die Deutschen eigentlich auch viel früher als erst Ende Juni mit der Offensive beginnen. Allerdings hatten sie die Kämpfe auf dem Balkan wertvolle Wochen aufgehalten.
"Koloss auf tönernen Füßen"
Wie die deutschen Generäle später erkannten, unterschätzten sie sowohl das militärische als auch das industrielle Potenzial der Sowjetunion maßlos. Hitler selbst hat am Ende des Krieges darüber gesprochen. Aber beim Angriff auf die Sowjetunion ließ er sich von seinem Geheimdienst leiten, der die Sowjetunion als einen "Koloss auf tönernen Füßen" bezeichnete. Vor allem die Fortschritte bei der Industrialisierung und die Entwicklung eines eigenen Ingenieurwesens haben auch für diesen Krieg eine Schlüsselrolle gespielt. In kürzester Zeit wurden Hunderte von Werken abmontiert, ins Hinterland gebracht, dort wieder aufgebaut und zugleich auf Rüstungsproduktion umgestellt.
Am Anfang des Krieges konnte die Rote Armee der Wehrmacht jedoch militärisch wenig entgegensetzen. Und das war im Endeffekt der Hauptgrund für das anfängliche schnelle Vordringen der Hitler-Wehrmacht auf das sowjetische Territorium. Für die ersten Niederlagen der sowjetischen Truppen, als ganze Armeen in Kesseln eingeschlossen wurden, spielte Überlegenheit der deutschen Kriegsmaschinerie im Jahr 1941 die entscheidende Rolle.
Die hohe Mobilität der deutschen Armee, ihre Überlegenheit in der Luft und die fortschrittliche Taktik der tiefen Panzerdeckung konnten von keiner Armee damaliger Zeit mühelos überwunden werden. Das hatte auch das Beispiel des Sieges über die mächtige Armee Frankreichs gezeigt. Und Großbritannien wurde nur durch die Flucht seiner Truppen auf die Insel vor der Niederlage bewahrt.
Doch im Gegensatz zu Frankreich gelang es der Sowjetunion, einem ungeheuer heftigen Schlag der Wehrmacht am Anfang zu widerstehen und die Umsetzung des "Barbarossaplans" immer wieder zu stören, nach welchem die deutschen Truppen eigentlich bis zum Ende des Sommers 1941 die Linie Archangelsk-Astrachan erreichen sollten. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Offensive bereits auf zunehmenden Widerstand der sowjetischen Truppen gestoßen, und der ursprüngliche Plan war somit gescheitert. Und Ende 1941 waren die Nazis zumindest bei Moskau faktisch bereits besiegt.
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