Europa

"Halten sich noch immer für eine Herrenrasse" – Italiens Wut auf Berlin wächst

Die EU machte zu Beginn der Corona-Krise keine gute Figur. Und das ist noch schmeichelhaft formuliert. Zwar soll jetzt verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden, doch gerade bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen droht eine Zerreißprobe.
"Halten sich noch immer für eine Herrenrasse" – Italiens Wut auf Berlin wächstQuelle: AFP © AFP PHOTO / PALAZZO CHIGI PRESS OFFICE

Nicht wenige italienische Bürgermeister hängen in ihren Gemeinden mittlerweile die blaue Europafahne ab, etwa in Grosseto in der Toskana und im Skiort Limone Piemonte am Alpenrand. Die Enttäuschung der Italiener ist groß. Vor allem Deutschland steht zunehmend in der Kritik.

Ex-Innenminister Matteo Salvini und die in Italien sehr beliebte Giorgia Meloni, Chefin der EU-skeptischen Fratelli d'Italia, begrüßen das. Europa habe Italien in den ersten Wochen der Krise hängen lassen, so der Tenor. Und: Deutschland gebe dabei den Takt an.

Allerdings beschränkt sich diese Haltung nicht nur auf das rechtsnationale Lager. Die Enttäuschung und das Unverständnis in Italien sind groß, dass Hilferufe an die EU-Partner zu Beginn der Krise nicht die erhoffte Reaktion fanden. Besonders negativ ist in Erinnerung, dass Deutschland, ähnlich wie Frankreich, Anfang März zeitweise Exportstopps für Material wie Atemschutzmasken, Schutzanzüge und -brillen verhängte.

Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, reagierten zuerst China, Russland und Kuba. Zur Zeit der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Bild vom "hartherzigen Deutschen" schon über Wochen festsetzen können. Die Zeit des Wartens, während die Zahl der inzwischen fast 14.000 Corona-Toten immer weiter stieg, habe wie ein "Brandbeschleuniger" der Europaskepsis gewirkt, sagt der Italien-Experte Wolfango Piccoli vom Forschungsinstitut Teneo.

Nun ist deutsche Hilfe da – zu spät?

Nun ist die deutsche Hilfe mittlerweile angelaufen, doch der Imageschaden bleibt fürs erste. Deutsche Krankenhäuser haben 81 Betten für schwerkranke COVID-19-Patienten aus den überlasteten Krankenhäusern, vor allem Norditaliens, zur Verfügung gestellt. Zudem wurden 32 Patienten bereits nach Deutschland gebracht, teilweise von Spezialflugzeugen der Bundeswehr.

Auch sieben Tonnen Hilfsgüter, darunter Beatmungsgeräte und Atemmasken, wurden nach Italien geschickt. Weitere Lieferungen sollen folgen. Um das Bild vom "hässlichen Deutschen" zu korrigieren, gab Bundesaußenminister Heiko Maas der italienischen Zeitung Corriere della Sera flux ein Interview, in dem er sich jedoch einmal mehr in belanglosen Floskeln verlor:

Sich gegenseitig in Europa zu helfen, sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein. Die Solidarität, gerade in schwierigen Zeiten, gehört zum Fundament der Europäischen Union.

Soweit die Beruhigungsrhetorik aus Berlin. Doch außer warmen Worten gibt es aus Deutschland, gerade was die wirtschaftliche Hilfe betrifft, wenig bis gar nichts zu erhoffen. Das kategorische Nein zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte "Corona-Bonds" sorgt in Italien zunehmend für Unmut. Deutschland möchte stattdessen auf Instrumente wie den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Investitionsbank setzen.

"Halten sich noch immer für die Herrenrasse"

Die deutsche Ablehnung beim Thema Bonds empört selbst die traditionell deutschlandfreundliche Zeitung Corriere della Sera: In der Not sei auf Freunde kein Verlass. Auch in den sozialen Netzwerken kippt die Stimmung gegen Deutschland. Ein Video des populären Komikers und Schauspielers Tullio Solenghi wird gut geklickt. In seinem Video zieht Solenghi dunkle, historische Vergleiche:

Die Deutschen haben heute immer noch ihre gnadenlose Arroganz. Heute in wirtschaftlicher Hinsicht. Sie halten sich noch immer für eine Herrenrasse.

Doch damit nicht genug. Er erinnert auch daran, wie man Deutschland nach dem Krieg wieder auf die Beine geholfen hat, und wie es gekommen wäre, wenn man es nicht getan hätte:

Wenn man die effektiven Kosten für den Krieg von den Deutschen gefordert hätte, würden die Deutschen heute alle in Slums leben.

Drastisch wurde auch der Chef der italienischen Börsenaufsicht Consob, Paolo Savona. Im Staatssender Rai zog auch er historische Parallelen und griff Deutschland scharf an:

Sie wenden weiter das gleiche Modell des 'Funk-Plans' an, das vom Wirtschaftsminister der Nazis stammt. Der hat darin vorgeschlagen, dass Deutschland das Land ist, das die Befehle gibt. Dass alle Währungen sich an der deutschen Mark orientieren müssen. Dass Deutschland sich auf die Industrie konzentriert und sich alle anderen Länder, einschließlich Italien, um die Landwirtschaft, den Tourismus und das Wohlergehen der Deutschen kümmern.

Der "Funk-Plan" oder auch die "nationalsozialistischen Europapläne" hatten die Neuordnung Europas nach territorialen und völkischen Kriterien zum Ziel. Dabei wurde die Eingliederung zahlreicher Territorien in das Deutsche Reich, die Aus- und Umsiedlung von Bevölkerungsteilen sowie die Unterdrückung und Ausbeutung und in letzter Instanz die Ermordung einer großen Anzahl von Menschen geplant, auch unter Beteiligung der deutschen Wirtschaft.

Europa ist wieder mal gespalten

Die Argumentation Deutschlands im Streit um "Corona-Bonds" klingt in der Tat gönnerhaft. Sie lautet in ungefähr: Anders als bei Hilfen über den ESM gäbe es bei Bonds keine Auflagen – Staaten wie Italien aber hätten bereits in der Vergangenheit Fiskalregeln nicht eingehalten. Der "faule und unfähige Grieche" aus der Eurokrise von 2010 lässt grüßen.

Unterstützung bei diesem harten Kurs gibt es von den üblichen Verdächtigen: den Niederlanden, Finnland und Österreich. Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen unterstützt. "Ganz Europa zählt auf Deutschland", sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstag. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch verstanden wird.

So mancher sieht es längst als Existenzfrage an, ob die EU bei der Krisenbewältigung noch zusammenfindet. Wie ernst die Lage ist, zeigte eine Äußerung des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors am vergangenen Wochenende. Der 94-Jährige, der sich kaum noch öffentlich zu Wort meldet, zeigte sich angesichts der festgefahrenen Debatte zu einem mahnenden Appell genötigt: Die fehlende Solidarität stelle "eine tödliche Gefahr für die EU" dar.

Alle Annäherungsversuche der Lager in Videokonferenzen der Staats- und Regierungschefs sind bisher gescheitert. Um Ostern soll ein weiterer Versuch stattfinden. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich in einem Beitrag für die italienische Zeitung La Repubblica schon mal öffentlichkeitswirksam zerknirscht: "Es muss anerkannt werden, dass in den ersten Tagen der Krise angesichts der Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Antwort zu viele nur an die eigenen Probleme dachten", schrieb sie. Und weiter: "Es war ein schädliches Verhalten, das hätte vermieden werden können."

Das Italien jedoch mehr als ein "mea culpa" erwartet, zeigte sich in der Antwort von Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte am Freitag in derselben Zeitung. An die "liebe Ursula" gerichtet, schrieb er: "Wenn man einen Krieg führt, muss man alle Anstrengungen unterstützen, die zum Sieg führen, und sich mit allen Instrumenten ausstatten, die für den Beginn des Wiederaufbaus erforderlich sind."

Eine unverdeckte Anspielung auf die italienischen Forderungen nach einer Vergemeinschaftung der Schulden.

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