Nahost

Technischer Defekt oder Raketentreffer? Offene Fragen zum Flugzeugabsturz im Iran

Je mehr man über den Flugzeugabsturz am Mittwoch mit mehr als 170 Toten im Iran erfährt, desto mehr Fragen tun sich auf. Führte ein technischer Defekt zum Absturz? Wurde die Maschine abgeschossen? Die wichtigsten offenen Fragen dazu im Überblick.
Technischer Defekt oder Raketentreffer? Offene Fragen zum Flugzeugabsturz im IranQuelle: Reuters © Mehdi Bolourian/Fars News Agency/WANA via Reuters

von Finian Cunningham

Der Absturz des ukrainischen Flugzeugs am Mittwoch im Iran scheint wegen seiner räumlichen und zeitlichen Nähe zum kurz zuvor erfolgten iranischen Raketenangriff auf US-Stützpunkte im Irak verdächtig. Die iranischen Behörden waren schnell zur Hand, einen technischen Fehler für den Absturz der Boeing 737-800 verantwortlich zu machen, bei dem 176 Menschen getötet wurden. Das Flugzeug war am Mittwochmorgen von Teheran aus in Richtung Kiew gestartet.

Ali Abedzadeh, Leiter der iranischen Zivilluftfahrtbehörde, führte die Ursache des Absturzes auf einen Triebwerkschaden zurück und schloss den Terrorismus-Verdacht von vornherein aus.

Und während der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij vor "Spekulationen und ungeprüften Theorien" warnte, erklärte sein Premierminister Alexei Gontscharuk auf einer Pressekonferenz, die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass eine Rakete das Flugzeug zum Absturz gebracht haben könnte. Vom ukrainischen Sicherheitsrat wurden noch die Möglichkeiten in den Raum geworfen, die Maschine sei mit einem unbemannten Fluggerät kollidiert, einem terroristischen Sprengstoffanschlag anheimgefallen oder von einer Flugabwehrrakete getroffen worden – einer russischen Flugabwehrrakete, versteht sich. Man will mit 9K330 Tor sogar das genaue System kennen.

Ein Zufall, ebenso selten wie seltsam

Der Zeitpunkt des Vorfalls erscheint verdächtig. Vor dem Absturz hatte der Iran gegen 2 Uhr Nachts (Ortszeit) einen intensiven Beschuss zweier US-Militärstützpunkte im Irak mit Boden-Boden-Raketen durchgeführt. Es wurde berichtet, dass 22 ballistische Raketen vom Iran gestartet wurden und alle ihre Ziele trafen – jedoch ohne jegliche Todesopfer auf Seiten der US-Amerikaner. Der Raketenangriff war die erwartete Vergeltung des Iran für den US-Drohnenmord an einem seiner Militärkommandeure, General Qassem Soleimani, am 3. Januar. Der Tötungsbefehl wurde von Präsident Trump gegeben.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das ukrainische Flugzeug von einer iranischen Rakete getroffen worden sein könnte, die auf die US-Stützpunkte im Irak gerichtet war. Es startete immerhin vier Stunden nach dem Anfang der Raketenbeschüsse. Das würde erklären, warum die iranischen Behörden den Schwerpunkt so zielsicher auf einen technischen Unfall an Bord des Flugzeugs legten. Die meisten Passagiere waren iranische Staatsbürger, es soll aber auch Kanadier, Ukrainer, Briten und Deutsche an Bord gegeben haben.

Neues Flugzeug, seltsame Flugdaten

Dennoch zeigen die Flug- und Radardaten des Fluges PS752 ungewöhnliche Umstände. Die Boeing 737-800 ist nicht dasselbe Modell wie die unglückliche Boeing 737 Max, die das vergangene Jahr wegen fataler Probleme mit der Computernavigation weltweit fast durchgehend am Boden blieb. Ganz im Gegenteil: Die Boeing 737-800 hat eine gute Sicherheitsbilanz vorzuweisen. Dasselbe gilt auch für den Betreiber, die Ukrainian International Airlines, die in den 28 Jahren Geschäftstätigkeit noch nie einen tödlichen Unfall hatte.

Erst am Montag, zwei Tage vor dem Unglücksflug aus Teheran, unterlief das Flugzeug eine Wartung. Es wurden keine technischen Probleme mit der nur drei Jahre alten Maschine festgestellt.

Zwei Minuten nach dem Start um etwa 6 Uhr Ortszeit brach die Übertragung der Flugdaten von Bord der PS752 ab. Der Pilot und die Besatzung, die von der UIA als zuverlässig, ja, als "ausgezeichnet" bezeichnet wurden, hatten zuvor bei ihrer Kommunikation mit der Teheraner Bodenkontrolle keinerlei Probleme vermeldet.

Alle Flugdaten zeigen, dass das Flugzeug ganz normal auf eine Höhe von 2,4 Kilometern gestiegen war, als die Kommunikation plötzlich abbrach. Man würde meinen, dass bei einem technischen Triebwerksproblem die Flugdaten einen völlig chaotischen Anstieg anzeigen würden. Außerdem hätte man erwartet, dass der Pilot einen Notruf über den Leistungsverlust des Flugzeugs aussenden würde. Dies ist nicht geschehen.

Eine Rakete als Grund des Absturzes?

Die Videoaufnahmen des Flugzeugs kurz vor dem Absturz, zehn Kilometer von Teheran entfernt, zeigen das Flugzeug, wie sich seine Silhouette im dramatischen Sinkflug gegen einen dunklen Himmel abhebt, bevor es auf dem Boden aufschlägt und in einem Feuerball aufgeht.

Todd Curtis, ein Flugsicherheitsanalytiker, wird von der BBC mit den Worten zitiert:

Das Flugzeug war stark fragmentiert, was bedeutet, dass entweder ein intensiver Bodenaufprall erfolgte, oder irgendetwas noch in der Luft geschah.

Zwar behauptete Qassem Biniaz, Sprecher des iranischen Ministeriums für Straßennetz und Transport, dass das Flugzeug noch in der Luft in kleine Stücke zerfallen wäre, hätte eine Rakete es getroffen.

Das ist jedoch nicht unbedingt der Fall. Der Absturz der malaysischen Maschine mit der Flugnummer MH17 im Juli 2014 über der Ostukraine soll durch den Einschlag einer Flugabwehrrakete verursacht worden sein. Doch als das Flugzeug abstürzte, war der Rumpf zumindest vor dem Bodenaufprall noch weitgehend intakt.

Dennoch ist es zweifelhaft, ob in den Absturz der PS752 eine iranische Rakete – oder irgendeine andere Rakete – involviert war. Sicherlich würden Radardaten oder Satellitenaufzeichnungen die Flugbahn einer Rakete aufzeigen. Selbst wenn die US-Amerikaner oder Israelis die Maschine abschießen wollten, um auf so ruchlose Weise die Iraner anzuschmieren, wäre es immer noch unwahrscheinlich: Wie hätten sie sich den Zugang zum iranischen Luftraum verschaffen sollen, um einen solchen verdeckten Angriff zu führen?

Und immer noch steht die quälende Frage offen im Raum, warum die Flugbesatzung offenbar keinen Notruf an die Fluglotsen abschickte, um Bescheid zu geben, dass etwas nicht in Ordnung war. Die Radardaten hörten anscheinend abrupt auf. Das deutet darauf hin, dass während des Fluges etwas Katastrophales passiert sein musste, was den Piloten nicht den Hauch einer Chance ließ.

Kampf um die Flugschreiber

Die Flugdatenschreiber wurden von der Absturzstelle geborgen und könnten Aufschluss darüber geben, was die Besatzung in den letzten Sekunden vor dem Absturz tat. Ein logistisches Problem ist, dass sich die Iraner angeblich weigern, die Blackboxen dem Flugzeughersteller Boeing oder den US-Behörden zu übergeben. Es ist also nicht klar, wer eine Untersuchung durchführen wird – und außerdem könnte jede Untersuchung durch die politische Pattsituation zwischen den USA und dem Iran schnell ins Stocken geraten.

Es wäre vernünftig, wenn man sich bei einer Untersuchung besonders auf die letzte Wartung des Flugzeugs konzentrieren würde – 48 Stunden vor der Katastrophe. Gab es für jemanden die Gelegenheit, sich zu einem Triebwerk oder zum Cockpit des Flugzeugs einen Zugang zu verschaffen?

Nun, das alles mag weit hergeholt klingen, doch an dieser Geschichte war bisher nichts eindeutig, und uns stehen wahrscheinlich Jahre der Spekulation, internationaler Untersuchungsausschüsse und umstrittener Berichte ins Haus.

Finian Cunningham ist ein preisgekrönter Journalist. Über 25 Jahre lang arbeitete er als Redakteur und Autor unter anderem für den Mirror, die Irish Times, den Irish Independent und den Britain's Independent.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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