Nahost

Netanjahus Spiel mit dem Feuer: Kommt es zum Krieg zwischen Israel und dem Libanon?

Kurz vor den israelischen Parlamentswahlen am 17. September spielt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit dem Feuer. Eine militärische Eskalation mit dem Nachbarland Libanon scheint eingeplant. Am Wochenende kam es zur ersten Konfrontation.
Netanjahus Spiel mit dem Feuer: Kommt es zum Krieg zwischen Israel und dem Libanon?Quelle: Sputnik

von Karin Leukefeld, Beirut

Am Sonntag, dem 1. September, kam es am späten Nachmittag zu einer ersten Konfrontation. Libanesische Medien berichteten unter Berufung auf die Hisbollah, dass die Organisation eine israelische Militärbasis im Ort Avivim im israelischen Grenzgebiet beschossen habe. Kurz darauf reagierte die israelische Armee mit Raketenbeschuss auf den Ort Marun ar-Ras, der unmittelbar an der Grenze im Südlibanon liegt. Seit frühen Sonntagabendstunden ist es an der "Blauen Linie" – wie die Grenze genannt wird – wieder ruhig.

Es war die erste militärische Konfrontation seit dem israelisch-libanesischen Krieg im Juli/August 2006. Eine weitere Eskalation kann nicht ausgeschlossen werden. Die Anspannung im Zedernstaat  ist hoch.

Der militärischen Eskalation waren in den letzten Wochen zahlreiche israelische Angriffe vorausgegangen oder Angriffe, die Israel zugeschrieben wurden. Die Ziele im Irak, in Syrien und im Libanon waren jeweils lokale Verbündete des Iran. Israel hat sich lediglich zu den Angriffen in Syrien am 24. und 25. August bekannt, die von der Artillerie der israelischen Streitkräfte (IDF) auf den besetzten syrischen Golanhöhen ausgingen. Man habe angeblich einen "unmittelbar bevorstehenden Angriff mit Killer-Drohnen" des Iran verhindert, teilten sowohl Netanjahu als auch die IDF mit. Bei dem Angriff auf zivile Unterkünfte bei Damaskus waren nach Angaben der libanesischen Hisbollah zwei ihrer Mitglieder getötet worden.

Am gleichen Wochenende griffen bewaffnete Drohnen Ziele im Irak an, am 25. August wurden gezielt zwei mit Sprengstoff beladene Drohnen gegen das Medienzentrum der libanesischen Hisbollah im südlichen Teil der libanesischen Hauptstadt Beirut gesteuert. Im oberen Geschoss des Hauses wurde ein Büro zerstört. Quer durch die politischen Lager im Zedernstaat wurde Israel für den Angriff verantwortlich gemacht.

Präsident Michel Aoun sprach von einer "Kriegserklärung", der Libanon habe das Recht, sich gegen israelische Angriffe zu wehren. Ministerpräsident Saad Hariri schloss sich an, und der Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, bezeichnete das israelische Vorgehen als  "sehr, sehr gefährlich". Er kündigte an, dass die Hisbollah in Zukunft israelische Drohnen im libanesischen Luftraum abschießen werde.

Bewohner der südlibanesischen Hafenstadt Sidon berichteten am gleichen Tag, dass die israelische Luftwaffe wiederholt in Tiefflügen über sie hinweggeflogen sei. Israel nutzt den libanesischen Luftraum seit Beginn des Krieges in Syrien (2011) auch für Angriffe auf Syrien und überfliegt den Libanon mit Überwachungsdrohnen. Da die libanesische Luftwaffe über keine Luftabwehr verfügt, fühlt die israelische Armee sich sicher. Nicht provozierte und nicht abgesprochene militärische Flüge durch den Luftraum eines souveränen Staates verletzen nach dem Völkerrecht dessen territoriale Integrität. Beschwerden des Libanon bei der UNO blieben bisher ohne Erfolg.

Am vergangenen Freitag übergab die Hisbollah eigenen Angaben zufolge die Überreste der beiden israelischen Drohnen der libanesischen Armee. Die Geheimdienste der Hisbollah als auch der  libanesischen Armee hätten die Objekte untersucht berichtete Al Manar, der Fernsehsender der Hisbollah.  Nach den Untersuchungen gehe man davon aus, dass die Drohnen nicht aus dem Libanon selbst, sondern vermutlich von israelischen Kriegsschiffen gestartet worden seien, die vor der libanesischen Küste liegen. Die libanesische Armee äußerte sich nicht.

In einem Telefonat mit UN-Generalsekretär António Guterres am gleichen Tag erklärte der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri, Israel trage die "volle Verantwortung für seinen ungerechtfertigten Angriff auf ein dicht bewohntes Viertel" im Süden von Beirut. Das gelte auch "für seine wiederholten Verletzungen der UN-Sicherheitsratsresolution 1701", die zu einem Ende des Krieges im August 2006 geführt hatte.

Israel bedrohe "die Stabilität und Ruhe, die es seit 13 Jahren entlang der internationalen Grenze" im Süden Libanons gebe, so Hariri. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, Druck auf Israel auszuüben, damit das Land die ständigen Verletzungen des libanesischen Territoriums einstelle. Jede weitere "Eskalation Israels drohe, die ganze Region in einen Krieg mit unabsehbaren Konsequenzen zu ziehen."

Der UN-Sicherheitsrat hatte sich am Donnerstag mit der Lage im Libanon befasst. In einer Debatte um die Verlängerung des UN-Friedensmandats für Libanon, UNIFIL, im Südlibanon, ging es auch um die jüngsten Drohnenangriffe. In der vorgelegten Resolution wurde die Verletzung der Grenze, die auch als "Blaue Linie" bezeichnet wird, sowohl in der Luft als auch am Boden verurteilt. Der Sicherheitsrat verlängerte einstimmig das UNIFIL-Mandat um ein Jahr. Am 31. August war das Mandat zu Ende gegangen. 10.277 UN-Blauhelme aus 38 Ländern sind im Libanon und in den Küstengewässern  stationiert. Indonesien stellt die meisten Soldaten für die Mission.

Hassan Nasrallah äußerte sich erneut und ausführlich am vergangenen Freitagabend anlässlich des schiitisch-muslimischen Aschura-Festes. Aschura ist der zehnte Tag im ersten Monat des islamischen Jahres, das am 1. September begann. Für die schiitischen Muslime ist der Tag von besonderer Bedeutung, weil er an den Tod von Imam Hussein bei der Schlacht von Kerbala erinnert.

Nasrallah begrüßte die offizielle Stellungnahme der libanesischen Regierung zum Drohnenangriff auf das Medienzentrum der Hisbollah, das zeige einen "nationalen Konsens". Israel müsse wissen, dass der  libanesische Luftraum nicht für seine Drohnen geöffnet sei. Der Widerstand (die Hisbollah) bereite sich darauf vor, israelische Drohnen im libanesischen Luftraum anzugreifen. Das sei "unabdingbar", so Nasrallah. Wenn man nicht auf den "zionistischen Angriff (…) reagiert, wird Israel (im Libanon) das gleiche Spiel wiederholen, wie bei den Angriffen auf die Einrichtungen Al-Hascht asch-Schabi im Irak."

Drohnen gegen Irak möglicherweise im Nordosten Syriens gestartet

Scharf fielen auch die Reaktionen von Regierung und Parlament im Irak aus. Der irakische Verteidigungsminister Najah al-Shammari betonte, jeder Angriff auf eine der lokalen irakischen Organisationen sei ein Angriff auf das ganze Land. Er werde die "notwendigen militärischen Maßnahmen zum Schutz des Landes" einleiten, nannte aber keine Details. Ähnlich hatten sich zuvor Präsident Barham Saleh und Ministerpräsident Adel Abd al-Mahdi geäußert. Saleh bezeichnete die territoriale Integrität des Irak als "rote Linie", auch für Israel.

Im irakischen Parlament forderte die 2018 gegründete Fatah-Allianz den Abzug aller US-Truppen aus dem Irak. Der Abgeordnete Hadi Al-Amiri, der auch Vorsitzender der Badr-Brigaden ist, machte die USA voll für die mögliche israelische Aggression verantwortlich. Die Fatah-Allianz ist der parlamentarische Arm der Volksmobilisierungseinheiten (PMU).

Einem Bericht des irakischen Geheimdienstes zufolge sollen die bewaffneten Drohnen, die seit Mitte Juli fünfmal Militärbasen und Einrichtungen der PMU im Irak angegriffen und zerstört hatten, von Militärbasen in dem von den syrischen Kurden kontrollierten Nordostsyrien aus gestartet worden sein. Die Drohnen seien auf SDF-Basen von Israelis gestartet und zu den Zielen gesteuert worden. Finanziert worden sei der Einsatz von Saudi-Arabien berichtete das Internetportal Middle East Eye, das von Katar mitfinanziert wird. Die Iranischen Revolutionsgarden hatten zuvor einen aus Israel gesteuerten Drohneneinsatz im Irak wegen der großen Entfernung der beiden Länder für unwahrscheinlich gehalten.

Um welche SDF-Basen es sich handelt, wurde nicht gesagt. Der irakische Geheimdienst geht demnach davon aus, dass die Angriffe bei einem Besuch des saudischen Ministers für den Persischen Golf, Thamer Al-Sabhan, im Juni 2019 verabredet worden seien. Saudi-Arabien hat für die Region östlich des Euphrats in Syrien zehn Millionen US-Dollar "Stabilisierungshilfe" zugesagt. Der Irak geht davon aus, dass das Geld die SDF-Kräfte "überreden" sollte, ihre Basen für den Drohneneinsatz freizugeben. Eine SDF-Stellungnahme lag dem Bericht zufolge ebenso wenig vor, wie eine Saudi-Arabiens.

Ein Teil der US-Militärbasen östlich des Euphrats liegt direkt auf oder bei syrischen Ölfeldern und wird mittlerweile von Söldnern kontrolliert, die von privaten Sicherheitsfirmen – in Kooperation mit der US-geführten Anti-Terror-Allianz – in das Land geschleust wurden. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte am 17. Juli darüber berichtet, dass mehr als 3.000 Söldner dort eingetroffen seien, die dem Kommando des CENTCOM der US-Armee unterstünden. Bei Söldnern, die sich bei privaten Sicherheitsfirmen verdingen, handelt es sich meist um ehemalige militärische Spezialkräfte, die auch im Umgang mit Drohnen geübt sein dürften.

Israel bietet selber private Sicherheitsdienste in aller Welt an und  kooperiert zudem eng mit Erik Prince, einem ehemaligen US-Navy Seal und Gründer der privaten Sicherheitsfirma Blackwater, die im Irak tätig war. Zuletzt arbeitete Prince für die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE). Ende 2017 hatte Prince der US-Armee angeboten, im Falle eines Truppenrückzugs aus Syrien eine Söldnerarmee für den Nordosten Syriens aufzubauen. Der inzwischen zurückgetretene US-Verteidigungsminister Jim Mattis hatte damals abgelehnt.

Sollten die irakischen Angaben über die Drohnenangriffe zutreffen, wäre das ein deutlicher Hinweis auf einen israelisch-saudisch-US-amerikanischen Schattenkrieg gegen den Iran. Die Zusammenarbeit zwischen Israel und Saudi-Arabien ist realistisch, beide Staaten sind in den letzten Jahren enger zusammengerückt und werden dabei von den USA gefördert. Ihr erklärter gemeinsamer Feind ist der Iran. Das bekräftigten US-Außenminister Mike Pompeo und Netanjahu bereits bei einem Treffen Anfang 2019 in Brasilien.

Militärische Eskalation als Wahlkampf

Für Benjamin Netanjahu ist die militärische Eskalation gegen andere Staaten der Region Teil seiner Wahlkampfstrategie. Am 17. September wird in Israel gewählt und Netanjahu will sich gegen den ehemaligen Chef der Israelischen Streitkräfte, Benny Gantz, durchsetzen, der als sein stärkster Herausforderer gilt. Militärische Eskalationen bis hin zu Kriegen vor den Wahlen sind in Israel ein bekanntes Muster. Es soll zeigen, dass der Kandidat stark ist und Wähler und Land verteidigen kann. Der Iran und seine Verbündeten werden gezielt zur größten Gefahr für Israel aufgebaut.

Gegen einen möglichen Angriff der Hisbollah an der "Blauen Linie" hatte Israel nach den Drohnenangriffen auf das Medienzentrum in Beirut und den Äußerungen Nasrallahs Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Ein Korrespondent des Nachrichtensenders Israel 24berichtete noch am Sonntag von der Grenze zum Libanon und erklärte, dass dort die Israelischen Streitkräfte das Flugabwehrsystem "Eiserner Dom" aktiviert hätten, man sei in "höchster Alarmbereitschaft". Die Straße entlang des Todesstreifens, der auf der israelischen Seite mit NATO-Stacheldraht und Sprengfallen die Grenze zum Südlibanon markiert, werde aktuell nicht befahren, so der Korrespondent.

Der libanesische Nachrichtensender Al Mayadeen berichtete am gleichen Tag, Israel habe Militärfahrzeuge mit Puppen aufgestellt, die aussähen wie israelische Militärpatrouillen. Gedacht sei das als Falle, die die Hisbollah zu einem Angriff verleiten sollte. Ein israelischer Militärkorrespondent bestätigte die Angaben.

Nach Ansicht der Israelischen Streitkräfte sind die Hisbollah und der Iran für die Eskalation verantwortlich. Sie hätten Produktionsanlagen für Präzisionsraketen gebaut, damit gefährdeten sie den ganzen Libanon, sagte Netanjahu. Nasrallah wies am Freitagabend bei seiner Ashura-Ansprache in Beirut die Behauptung zurück: Im Süden Beiruts, wo die israelischen Drohnen am 25. August hingesteuert worden seien, gebe es "keine Fabrik für den Bau präzisionsgelenkter Raketen."

Es gebe im Libanon überhaupt keine solche Fabrik. Allerdings verfüge die Hisbollah bereits "über genug von diesen Raketen". Vergeltung gegen die israelische Aggression sei "unvermeidlich", fügte Nasrallah hinzu. Das sei keine Frage der Würde, sondern es müssten die Spielregeln klar gerückt werden. Es gehe um "die Logik, sich vor neuen israelischen Aggressionen zu schützen", so Nasrallah. Die Verletzung des libanesischen Luftraums öffne Tür und Tor für gezielte Attentate mit Drohnen. "Das kann nicht toleriert werden."

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