Nahost

Tanker-Angriff: USA wollen Verbündete von Irans Schuld überzeugen - Lage spitzt sich weiter zu

Die USA machen Teheran für den Angriff auf zwei Öltanker verantwortlich und sind bestrebt, andere Staaten von dieser Sichtweise zu überzeugen. Bislang haben aber nur wenige Länder diese Schuldzuweisung übernommen. Indes spitzt sich die Lage in der Region weiter zu.
Tanker-Angriff: USA wollen Verbündete von Irans Schuld überzeugen - Lage spitzt sich weiter zuQuelle: Reuters © Tasnim News Agency/Handout via Reuters

Die Schuldzuweisungen gegenüber dem Iran bezüglich der zwei am Donnerstag angegriffenen Öltanker im Golf von Oman reißen nicht ab. Zunächst waren es die USA, die bereits innerhalb weniger Stunden Teheran bezichtigten. Am Freitag folgte Großbritannien mit einer fast wortgleichen Schuldzuweisung. Und am Samstag schloss sich Saudi-Arabien der US-Sichtweise an und forderte zudem eine "schnelle und entscheidende Antwort".

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman sagte, dass der Iran mit dem Angriff auf die Tanker "die Sicherheit und Stabilität in der Region" attackiert habe. Nur Teheran, so heißt es unisono aus Washington und London, verfüge über die Kapazitäten zur Durchführung einer solchen Attacke. So sagte etwa der UN-Botschafter der USA, Jonathan Cohen, dass kein anderer Akteur in der Region "über die Ressourcen oder Fähigkeiten" verfüge, "um mit diesem Niveau an Raffinesse zu handeln. Der Iran jedoch hat die Waffen, die Sachkenntnis und die notwendigen Geheimdienstinformationen, um dies zu tun."

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Zur Untermauerung der Vorwürfe präsentierte das Central Command des US-Militärs (CENTCOM) bereits am Tag des Vorfalls ein unscharfes Video, das aus einem Helikopter heraus aufgenommen wurde. Es soll zeigen, wie die Besatzung eines iranischen Patrouillenbootes eine nicht explodierte Haftmine vom Rumpf des japanischen Tankers "Kokuka Courageous" entfernt.

Die Qualität des bereitgestellten Materials macht es jedoch unmöglich, die Behauptungen des CENTCOM unabhängig zu überprüfen. Am Montag legte das Pentagon mit der Veröffentlichung eines Dokuments nach. Dieses enthält Fotoaufnahmen des besagten Helikopters, allerdings in besserer Qualität und in Farbe. Zudem enthält das Dokument Nahaufnahmen des Rumpfes, die einen Tag nach dem Vorfall angefertigt wurden. 

Darunter Fotos des Loches im Rumpf, das nach US-Angaben durch eine Haftmine verursacht wurde.

Außerdem sollen Fotos die Überreste der Halterung der nicht explodierten Haftmine zeigen, die die Iraner abmontiert haben sollen.

Doch weder die Fotos noch das Begleitdokument enthalten Beweise dafür, von wem die Haftminen angebracht wurden - so es denn welche gegeben hat. 

Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum nur der Iran über die Kapazitäten verfügen sollte, einen Angriff mit Haftminen durchzuführen. Zudem ist es noch völlig offen, mit welchen Mitteln genau die beiden Tanker angegriffen wurden. Laut Aussagen der Schiffscrew hat ein fliegendes Objekt ein Loch in den Rumpf geschlagen, was der US-Darstellung diametral widerspricht.   

Der israelische Geheimdienst sei sich hingegen "sicher", so berichtete die Bild am Samstag, dass "iranische Killer-Speedboote" die Tanker angegriffen haben. Selbst die Staaten, die dem Iran die Schuld zuweisen, sind sich offenbar uneinig über die Art und Weise, wie der Angriff durchgeführt wurde. 

Während UN-Generalsekretär Antonio Guterres am Freitag eine internationale Untersuchung des Vorfalls durch den UN-Sicherheitsrat anmahnte, um den Verantwortlichen für den Angriff bestimmen zu können, nutzten die USA die vergangenen Tage, um internationale Unterstützung für ihre Schuldvorwürfe zu erlangen.

USA werben mit mäßigem Erfolg für eigene Schuldzuweisung   

"Es gibt keinen Zweifel", sagte US-Außenminister Mike Pompeo zur iranischen Verantwortung. Die US-Regierung sei sich mit ihrer Einschätzung komplett sicher.

"Ich habe gestern diverse Telefonate mit Kollegen rund um die Welt geführt", so Pompeo am Sonntag. "Ich bin zuversichtlich, dass wir Partner haben werden, die diese Bedrohung verstehen." Es gebe "keinen Zweifel" an der Verantwortung Teherans. Zahlreiche Geheimdienstinformationen belegten dies, betonte der Außenminister, ohne aber Details zu nennen.

Auch wenn Washington, London und Riad betonen, kein Interesse an einem Krieg zu haben, so tragen sie mit ihrer voreiligen Schuldzuweisung zweifellos zur Eskalation der ohnehin angespannten Lage bei. Zudem sagte Pompeo, dass eine militärische Reaktion nicht ausgeschlossen sei.

Noch fruchtet Washingtons Überzeugungsarbeit aber nicht wie gewünscht. Bei einem Treffen der EU-Außenminister am Montag zeigten sich die Beteiligten angesichts des vorgelegten Geheimdienstmaterials skeptisch.

"Wir sammeln weiterhin Informationen", sagte etwa Bundesaußenminister Heiko Maas. Man kenne die Erkenntnisse der amerikanischen und auch der britischen Geheimdienste, habe aber selbst noch nicht abschließend entschieden. Schon am Freitag hatte Maas erklärt, dass das von den Amerikanern präsentierte Video "nicht genug" sei, "um eine abschließende Bewertung vorzunehmen".

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg warnte vor der Gefahr, dass "hier mit dem Feuer gespielt" werde und sprach sich für eine sorgfältige Untersuchung aus. Auch die Generalsekretärin des Auswärtigen Dienstes der EU, die deutsche Diplomatin Helga Schmid, warnte vor einer weiteren Eskalation:

Die Gefahr von Fehleinschätzungen bleibt hoch, besonders dann, wenn es keinen Dialog gibt.

Nicht nur Moskau zieht Parallelen zum Irakkrieg 2003

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn gab zu Bedenken, dass die USA 2003 auf der Grundlage bewusst oder unbewusst falsch interpretierter Geheimdienstinformationen über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins in den Irak einmarschiert waren. Er forderte wie UN-Generalsekretär Guterres eine unabhängige Untersuchung.

Ich glaube, dass die Hauptaufgabe von Außenministern ist, Krieg zu vermeiden. Das müssen wir heute tun", sagte Asselborn.

Auch Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, zog eine Parallele zum Irakkrieg der Amerikaner: "Wir haben die Ampullen mit weißem Pulver nicht vergessen. Wir erinnern uns daran und haben daher gelernt, in unseren Einschätzungen Zurückhaltung zu üben."

Peskow spielte damit auf die legendäre Szene Wochen vor dem Irakkrieg im UN-Sicherheitsrat an, als der damalige US-Außenminister Colin Powell eine mit weißem Pulver gefüllte Ampulle hochhielt, um vor der Gefahr vor Milzbranderregern zu warnen, die sich angeblich in Iraks Waffenarsenal befanden.

Laut dem Kremlsprecher gibt es noch keine ausreichenden Beweise für eine Schuldzuweisung. Voreilige Schlüsse zu ziehen und voreilige Entscheidungen zu treffen, könnte zu verheerenden Folgen führen, so Peskow:

In diesem Fall auf Geheiminformationen zu verweisen, ist absurd. Solche Vorfälle können die Grundlagen der Weltwirtschaft ernsthaft erschüttern, so dass unbegründete Anschuldigungen nicht berücksichtigt werden sollten.

Auch der russische Auslandsgeheimdienstchef Sergej Naryschkin warnte vor voreiligen Schlüssen. Die Urheber der "sehr gefährlichen Provokation" müssten ermittelt werden. "Die Situation erfordert sorgfältige Überlegungen und Ermittlungen", so Naryschkin am Dienstag laut der Agentur Tass. "Wir hoffen, dass es nicht zu einer schwierigen Phase des Konflikts kommen wird, zu militärischen Aktionen", sagte der Geheimdienstler. 

Operation unter falscher Flagge?

Der iranische Regierungssprecher Ali Larijani sprach am Sonntag von einem "verdächtigen" Vorfall, der offenbar den Zweck habe, den wirtschaftlichen Druck auf sein Land "zu ergänzen".

Diese Aktionen und Anschuldigungen sind eine Ergänzung zu den Wirtschaftssanktionen, weil die USA ihre Ziele durch die Sanktionen nicht erreicht haben", so der Sprecher.

Larijani verdächtigt die USA, die Attacke selbst inszeniert zu haben und verweist auf "False-Flag-Operationen", mit denen die USA in der Vergangenheit Kriegseinsätze gerechtfertigt hätten.

Immerhin sind zahlreiche US-Provokationen unter falscher Flagge zur Inszenierung eines Kriegsgrundes wohldokumentiert. Und angesichts dessen, dass in einflussreichen US-Thinktanks die Möglichkeit von Undercover-Operationen zur Schaffung eines Kriegsvorwands gegen den Iran offen diskutiert werden, ist der iranische Verdacht zumindest nicht unbegründet.

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Teheran fehlt ohnehin ein plausibles Motiv für den Angriff auf die beiden Tanker. Das Schiff "Kokuka Courageous" gehört einer japanischen Frachtfirma und wurde just zu dem Zeitpunkt angegriffen, als der japanische Premierminister Shinzō Abe in Teheran zu Vermittlungsgesprächen mit der iranischen Führung weilte.

Das zweite Schiff, die "Front Altair", befindet sich im Besitz des Norwegers John Frederiksen. Er ist ein alter Handelspartner Teherans und transportierte während des "Tankerkriegs" mit dem Irak in den 1980er Jahren iranisches Öl. "Er war die Lebensader des Ayatollahs", sagte einst Odd-Harald Haugue, Co-Autor einer Biografie über Frederiksen, gegenüberForbes.

Das kaum plausible Motiv Teherans

Die iranische Führung soll also Angriffe auf zuverlässige Geschäftspartner durchgeführt haben? Das ergibt wenig Sinn, wie auch ein von der Bild-Zeitung am Tag des Vorfalls zitierter "führender Krisenmanager der Bundesregierung" eingestehen musste:

Nach Einschätzung der zuständigen Stellen müssen wir von einer ernsten Provokation ausgehen, die geeignet ist, einen militärischen Konflikt herbeizuführen, der nicht im Interesse des Irans sein kann.

Doch dann legte der namentlich nicht genannte "Krisenmanager" mit einer Erklärung nach, die die Schuld in Richtung Teheran lenkte. Es sei demnach "nicht auszuschließen, dass es inhomogene Kräfte in der iranischen Regierung gibt, die ein Interesse an einem eskalierenden Konflikt haben." Motiv einer solchen Gruppe könne sein, dass es bisher eine eher moderate Verhandlungsführung des Westens gegeben habe.

Auch wenn das von dem "Krisenmanager" ins Spiel gebrachte Szenario nicht auszuschließen ist, so erscheint es doch wenig plausibel. Denn im Iran sind die Hardliner seit dem einseitigen Ausstieg der US-Regierung aus dem Nuklearabkommen ohnehin am Drücker. Den Vorfall mit den Tankern hätte es zur Stärkung ihrer Position wohl kaum bedurft. Und die Rede von einer "moderaten Verhandlungsführung des Westens" ist angesichts der immer weiter von den USA verschärften einseitigen Sanktionen offenkundig eine Schimäre.

Folgt man der Frage, wem die Eskalation nutzt, so dürften daran eher die USA und ihre regionalen Verbündeten wie Israel und Saudi-Arabien ein Interesse haben. Allesamt Länder, die ebenfalls über die kryptisch formulierten "Kapazitäten" für eine solche Attacke verfügen dürften.

Washington hat mit seinem Ausstieg aus dem Atomabkommen seine eigenen Partner vor den Kopf gestoßen. Sie suchen im Gegensatz zu den USA weiterhin den Dialog mit Teheran. Der Vorfall im Golf von Oman ist aus Sicht Washingtons bestens dazu geeignet, die EU-Staaten wieder auf eine aggressive anti-iranische Linie einzuschwören.    

Zu dieser Linie zählt auch der militärische Aufmarsch der USA in der Region. Im April verlegten die USA eine Flugzeugträgerkampfgruppe und eine Bomberstaffel in den Persischen Golf und machten dafür eine "glaubwürdige Bedrohung" seitens des Irans geltend. Den Stoff, aus dem das Bedrohungsszenario gesponnen wurde, lieferte laut Aussagen israelischer Beamter der Mossad.

Der israelische Auslandsgeheimdienst war es auch, der Washington vermeintliche Beweise dafür lieferte, dass der Iran verantwortlich war für die Beschädigung von vier Öltankern, die Ende Mai vor der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate durch Seeminen beschädigt worden sein sollen. Und nun ist sich der Mossad "sicher", dass iranische Boote die beiden Tanker im Golf von Oman angegriffen haben.   

Derweil ziehen die USA weiter militärische Kräfte in der Region zusammen. Bereits am Freitag wurde ein Zerstörer in den Golf von Oman entsandt, nun werden weitere 1.000 US-Soldaten zu "Verteidigungszwecken" in die Region verlegt. Der Generalmajor und Kommandant der iranischen Streitkräfte, Mohammad Bagheri, erklärte indes, der Iran habe die Fähigkeiten, den Ölhandel im Persischen Golf zu behindern. Ein solches Unterfangen würde aber im Fall des Falles "öffentlich angekündigt" und nicht mittels  Undercover-Operationen umgesetzt, so der General.

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