Nahost

Israel: Netanjahu-Partei ließ Wähler in arabischen Gebieten mit Kameras bespitzeln

Aktivisten der Likud-Partei von Benjamin Netanjahu haben am Wahltag in mehrheitlich arabischen Bezirken Wähler bei der Stimmabgabe gefilmt. Araber kritisierten das illegale Vorgehen als einen Einschüchterungsversuch. Netanjahu versteht die Aufregung nicht.
Israel: Netanjahu-Partei ließ Wähler in arabischen Gebieten mit Kameras bespitzelnQuelle: Reuters © Ronen Zvulun

Bei der Parlamentswahl in Israel haben Aktivisten der Regierungspartei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit versteckten Kameras Aufnahmen in Wahllokalen gemacht. Die größte arabische Partei des Landes, die Taal-Partei, sagte am Dienstag, sie habe Beschwerde beim Wahlkomitee eingereicht. Die illegalen Filmaufnahmen sollen mehrheitlich in arabischen Wahlbezirken gemacht worden sein. Um die Aufnahmen machen zu können, trugen die Aktivisten Kameras am Körper.

Auf im Internet veröffentlichten Videos ist zu sehen, wie die Likud-Aktivisten mit Kameras erwischt wurden, die sie am Körper trugen. In den Videos sieht man, wie sie von Wahlbeobachtern und der Polizei angesprochen werden. Ahmed Tibi von der Taal-Partei erklärte, der Likud versuche, durch verdeckte Mittel den Wahlausgang zu beeinflussen. Die Partei sieht die Aufnahmen als Einschüchterungsversuch. "Netanjahu will den Anteil der Araber senken, die ins Wahllokal kommen", so Tibi. Die Taal-Partei rief das Wahlkomitee auf, die illegalen Kameras sofort entfernen zu lassen.

Netanjahu wies die Kritik zurück und erklärte, die Aufnahmen sorgen für saubere Wahlen. "Es sollte überall versteckte Kameras geben", sagte der Ministerpräsident in einem Wahllokal in Jerusalem. Kobi Massar, der den Likud im Wahlkomitee vertritt, sprach in einem Radiointerview von einem "Verdacht auf weitreichenden Wahlbetrug im arabischen Gebiet". Am Dienstag machte der Vorsitzende des Zentralen Wahlausschusses, Richter Hanan Melcer, zudem klar, dass es illegal ist, heimlich Wähler am Wahltag zu filmen.

In mehreren arabischen Städten im Norden und in Rahat im Süden wurden versteckte Kameras entdeckt. Am Dienstagmorgen wurde ein junger Mann in Rahat erwischt, als er versuchte, eine Kamera zu verstecken, um eines der Wahllokale zu disqualifizieren, wie die Jerusalem Post berichtete. Die Polizei hielt den Jungen fest, und Aktivisten baten die Polizei, zu allen Schulen zu gehen und dort nach weiteren verdächtigen Personen zu suchen. Anscheinend wurden in Rahat etwa fünf Personen festgenommen, denen vorgeworfen wird, bei Filmaufnahmen beteiligt gewesen zu sein.

Derweil kristallisiert sich immer deutlicher ein Sieg für Netanjahu bei den Wahlen heraus. Damit stünde der 69-jährige Regierungschef vor seiner fünften Amtszeit. Netanjahus rechtskonservativer Likud habe 35 von 120 Mandaten erhalten, genau so viele wie das Oppositionsbündnis Blau-Weiß von Ex-Militärchef Benny Gantz (59), berichteten israelische Medien am Mittwoch nach Auszählung fast aller Stimmen. Netanjahus Lager rechter und religiöser Parteien hat demnach mit 65 der 120 Mandate eine Mehrheit. Daher ist davon auszugehen, dass der 69-Jährige erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird.

Netanjahu ist seit dem Jahr 2009 durchgängig im Amt. Er war bereits von 1996 bis 1999 Ministerpräsident. Aktuell steht er wegen Korruptionsvorwürfen massiv unter Druck. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees bei 67,9 Prozent, etwas weniger als bei der Wahl vor vier Jahren (71,8 Prozent). Das Endergebnis sollte am Donnerstagabend oder spätestens Freitagmorgen vorliegen, nach Auszählung von rund 200.000 Stimmen von Soldaten, Diplomaten, Häftlingen, Matrosen sowie Patienten in Krankenhäusern.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz gratulierte Netanjahu auf Twitter zum "exzellenten Abschneiden" bei der Wahl. "Obwohl die offiziellen Ergebnisse noch nicht veröffentlicht wurden, ist eines klar: Sie haben - einmal mehr - das Vertrauen der Menschen in Israel in Rekordzahlen gewonnen", schrieb Kurz, der ebenfalls einer rechtskonservativen Regierung vorsitzt. "Ich freue mich darauf, mit Ihnen in der Zukunft zusammenzuarbeiten, zum Wohle der Menschen in Israel und der Menschen in Österreich." Auch Indiens Premierminister Narendra Modi gratulierte ihm auf Twitter und nannte Netanjahu "einen großen Freund Indiens".

Palästinensische Politiker zeigten sich dagegen enttäuscht über das Ergebnis. Es beweise, dass Israel kein Interesse daran habe, die Besatzung der Palästinensergebiete zu beenden, hieß es. Präsident Reuven Rivlin will kommende Woche Beratungen mit den verschiedenen Fraktionsvorsitzenden aufnehmen. Binnen zwei Wochen muss er entscheiden, wer den Auftrag zur Regierungsbildung erhält. Für den 23. April ist die feierliche Eröffnungssitzung der 21. Knesset geplant. Bis Ende Mai wird erwartet, dass die neuen Koalitionspartner ihren Vertrag unterzeichnen. Damit könnte bis Anfang Juni eine neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen.

Sowohl Netanjahu als auch sein Herausforderer Gantz hatten noch in der Wahlnacht ihren Sieg erklärt. In seiner Siegesrede sprach Netanjahu von einem "unvorstellbaren Erfolg". Der oppositionelle Ex-Militärchef Gantz wollte sich am Mittwoch zunächst nicht geschlagen geben. Er schrieb nach Medienberichten Mitstreitern aus seiner Partei: "Es zeichnen sich zwar dunkle Wolken ab, aber nichts ist endgültig, Bewegungen sind noch möglich, und wir können noch politische Vorstöße unternehmen." Man habe den Wählern Hoffnung gegeben, und das Ergebnis von Blau-Weiß sei ein "beispielloser historischer Erfolg", schrieb er den Angaben zufolge.

Der israelische Politikwissenschaftler Emmanuel Navon sieht jedoch nach dem Wahlausgang keine Chance mehr für Gantz. "Benny Gantz kann auf keinen Fall eine Regierung bilden", sagte er. "Er hat nicht mehr Mandate als der Likud, und kann deshalb auch keinen psychologischen Sieg erklären, und er hat keine Mehrheit." Die anderen Parteien erzielten lediglich Mandate im einstelligen Bereich. Die strengreligiösen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum kamen jeweils auf acht Mandate.

Die Arbeitspartei kam auf nur sechs Sitze, genau wie die arabische Partei Hadasch-Taal. Die Partei Die Neue Rechte von Erziehungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked verpasste vermutlich den Einzug in das Parlament. Die ultrarechte Israel Beitenu von Avigdor Lieberman und die Union rechter Parteien erhielten jeweils fünf Mandate. Kulanu von Finanzminister Mosche Kachlon kam auf vier Mandate, ebenso wie die linke Merez-Partei und die arabische Partei Balad-Vereinigte Arabische Liste.

Rechnerisch möglich wäre nach den Ergebnissen auch eine große Koalition von Likud und Blau-Weiß. Allerdings hatten sowohl Netanjahu als auch Gantz im Wahlkampf gesagt, sie würden nicht mit dem jeweils anderen in einer Regierung sitzen wollen. Netanjahu führte zuletzt eine Regierungskoalition mit den rechten und strengreligiösen Parteien an. Die Wahlen waren wegen einer Regierungskrise vorgezogen worden. Ursprünglich waren sie erst für November 2019 angesetzt.

Israels Generalstaatsanwalt will in drei Fällen wegen Korruption Anklage gegen Netanjahu erheben. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug. Vor einer endgültigen Entscheidung, ob der Regierungschef wirklich vor Gericht muss, hat aber noch eine Anhörung zu erfolgen. Netanjahu weist alle Vorwürfe zurück. US-Präsident Donald Trump will nach der Wahl seinen lange erwarteten Friedensplan zur Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern präsentieren.

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(rt deutsch/dpa)

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