Nahost

Chance vertan - Wirtschaftsgipfel der Arabischen Liga weiterhin ohne Syrien und ohne Ergebnisse

Der Wirtschaftsgipfel der Arabischen Liga in Beirut am vergangenen Wochenende blieb ohne Ergebnisse. Das Problem der Zukunft Syriens wurde ignoriert. Tausende protestierten gegen die politische Untätigkeit, steigende Preise und schlechte Lebensbedingungen.
Chance vertan - Wirtschaftsgipfel der Arabischen Liga weiterhin ohne Syrien und ohne ErgebnisseQuelle: Reuters

von Karin Leukefeld

Wie halten wir es mit Syrien? Diese Frage sorgte beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga für Wirtschaft und soziale Entwicklung in Beirut am vergangenen Wochenende für Turbulenzen. Eine Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen und die dringenden Probleme in der arabischen Welt zu lösen, wurde vertan.

Eine „historische Schande“ nannte der libanesische Außenminister Gibran Bassil den Umstand, dass Syrien zu dem Treffen nicht eingeladen war. Man dürfe nicht zulassen, dass auf ausländischen Druck hin ein Mitglied der Arabischen Liga ausgeschlossen bleibe. Syrien sei „der größte Abwesende“, so Bassil.

Einen Konsens über die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga gebe es noch nicht, mahnte derweil deren Generalsekretär Ahmed Aboul-Gheit. Sobald man sich einig sei und es „von keiner Seite“ mehr Einwände gebe, werde die Rückkehr Syriens auf die Tagesordnung eines Außenministertreffens der Arabischen Liga gesetzt. Sein Stellvertreter Hussam Zaki bezeichnete die Rückkehr Syriens derweil als „unumgänglich“. Die Wiedereröffnung von Botschaften verschiedener Golfstaaten in Damaskus signalisieren, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Syrien seinen Platz in der Arabischen Liga wieder einnehmen wird. Die Mitgliedschaft des Landes war im Jahr 2011 suspendiert worden.

Die Themen des Treffens im vornehmen Phoenicia-Hotel an der Corniche von Beirut sollten sich auf das „Wohlergehen und die wirtschaftlichen Probleme der arabischen Bevölkerung“ konzentrieren, so der saudische Botschafter bei der Arabischen Liga, Osama bin Ahmad Naqli, zu Beginn der Versammlung. Der Liga gehören 22 arabische Staaten an und sie vertritt rund 430 Millionen Menschen (Stand 2015).

Die drei Top-Themen waren der innerarabische Stromhandel, innerarabische Transportwege zu Land, Luft und Wasser sowie die Nahrungsmittelsicherheit bis zum Jahr 2030, erklärte der stellvertretende Generalsekretär der Arabischen Liga, Hussam Zaki, vor Journalisten. Weiter wurde über eine arabische Freihandelszone gesprochen, die Bildung einer Zollunion, Kooperation im Tourismussektor und die Abfallwirtschaft. Mehr Rechte für die arabischen Frauen, die Unterstützung der palästinensischen Wirtschaft und die Kooperation mit dem UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNWRA) standen ebenfalls auf der 24 Punkte umfassenden Tagesordnung.

Nicht gesprochen wurde über den Wiederaufbau Syriens, ein Thema, das besonders vom Libanon favorisiert worden war. Der Zedernstaat sieht sich als wichtigste Basis für den bevorstehenden Wiederaufbau des kriegszerstörten Nachbarlandes. Die beiden Häfen Beirut und Tripoli wurden und werden ausgebaut, man rechnet mit lukrativen Geschäften bei der Anlieferung von Baumaterial und Waren, die in Syrien gebraucht werden. Elias Hankach, Mitglied im Parlamentsausschuss für Wirtschaft, Handel und Industrie, erwartete vom Wirtschaftsgipfel eine Stärkung der Rolle des Libanon. Ausländische Investoren würden zurückkehren und mit dem Wiederaufbau in Syrien kämen Händler, Unternehmer, Industrielle ins Land. Das Vertrauen in den Libanon als Handelspartner und in den libanesischen Bankensektor müsse gestärkt werden.

„Nichts als Tinte auf Papier“

Für die Bevölkerung war die Veranstaltung, die komplett vom Libanon finanziert wurde, eine Provokation. Der Gipfel koste den Libanon Millionen von Dollar, schimpfte gegenüber der New York Times der Sporttrainer Mohamed Al Mawla. „Nichts als Tinte auf Papier, nichts wird geschehen.“

Am Sonntag marschierten rund 20.000 Demonstranten durch Beirut, um den politischen Verantwortlichen im Zedernstaat und in der Arabischen Liga die rote Karte zu zeigen. Angeführt von der Kommunistischen Partei des Libanon, Nasseristen und zivilgesellschaftlichen Organisationen marschierten die Demonstranten zum Finanzministerium, um gegen die ständig steigenden Preise und geringen Löhne zu protestieren. Der Wohlstand müsse verteilt, die Reichen entsprechend besteuert werden, so die Forderung. Die öffentlichen Schulen müssten besser werden, die Menschen bräuchten Arbeit.

Die Demonstration sei auch eine „Botschaft an die Führer, die sich im Rahmen des Wirtschaftsgipfels der Arabischen Liga treffen“, sagte einer der Organisatoren von der KP-Libanon. In vielen arabischen Ländern sei die sozioökonomische Lage noch schlechter als im Libanon, „auch dort gehen die Menschen auf die Straße.“ Seit Monaten gibt es Proteste in Jordanien und im Sudan gegen die Erhöhung von Benzin- und Brotpreisen.

Die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga gelten als Entwicklungsländer, auch wenn Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Kuwait zu den fünf reichsten Staaten der Welt zählen. Jemen, Somalia, Dschibuti gehören zu den ärmsten Ländern weltweit. Hinzu kommt, dass die reichen Golfstaaten unter Führung Saudi Arabiens Krieg im Jemen führen, der ohnehin als das „Armenhaus der arabischen Welt“ gilt. Seit dem Jahr 2011 finanzieren und bewaffneten die Golfstaaten Kämpfer in Syrien, um die Regierung in Damaskus zu stürzen. Syrien und Jemen sind seit Jahren Schauplatz transnationaler Kriege und wirtschaftlich weit zurückgeworfen. Syrien wird zusätzlich durch die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union und der USA schwerer Schaden zugefügt.

Noch im Jahr 2010 hieß es in einem Bericht der Weltbank, Syrien könne bei anhaltendem wirtschaftlichen Aufschwung auf Platz 5 der arabischen Staaten vorrücken. Durch den Krieg, Flucht, Vertreibung und gezielte Abwerbung hat das Land nicht nur die wirtschaftlichen Grundlagen sondern seine gut ausgebildete junge Elite an Europa, Kanada und Australien verloren.

Uneinigkeit verhindert dringend gebotene Lösungen

Auch wenn es angesichts der vielen wirtschaftlichen Probleme dringend geboten wäre, intensiv über deren Lösungen zu reden, sagten die meisten der eingeladenen Präsidenten und Könige ihre Teilnahme an dem Wirtschaftsgipfel in Beirut ab. Von den ursprünglich angekündigten sieben Staatschefs nahmen lediglich Präsident Michel Aoun (Libanon), Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz (Mauretanien) und der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani teil. Letzterer reiste allerdings unmittelbar nach dem Eröffnungsfoto wieder ab. Die anderen Staaten waren mit den für Wirtschaft und Soziales zuständigen Ministern oder Beamten vertreten.

Libanon hätte sich gewünscht, “alle Araber zusammenzubringen und keinen Stuhl unbesetzt zu lassen” bedauerte Präsident Michel Aoun. Leider seien die „Hindernisse“ größer gewesen. Tatsächlich sind die Verwerfungen zwischen den Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga groß. Libanon wirft Libyen vor, das Schicksal von Musa al-Sadr nicht aufzuklären. Der angesehene schiitisch-muslimische Geistliche und Philosoph war in Libyen im Jahr 1978 mit seinen Begleitern verschwunden. Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate isolieren das Emirat Katar, das nicht nur mit dem Iran sondern auch mit der Türkei politisch und wirtschaftlich kooperiert.

Die sunnitisch-muslimischen Staaten streiten untereinander über die Rolle der Muslimbruderschaft, die Saudi Arabien, Ägypten und auch Syrien bekämpfen. Die Annäherung mancher arabischer Staaten an Israel, so zuletzt Saudi Arabien, wird von anderen arabischen Staaten, die Hunderttausende palästinensischer Flüchtlinge beherbergen und deren Land noch immer von Israel besetzt ist, abgelehnt. Irak, Jordanien und Libanon suchen nach einer Lösung für Millionen syrischer Flüchtlinge, die vor dem Krieg, der von den Golfstaaten in Syrien mitangefacht wurde, geflohen sind. Und schließlich gibt es eine tiefe Spaltung zwischen den Staaten, die wie Syrien, Irak, Libanon, Katar und Oman gute Kontakte zum Iran pflegen und denjenigen, die wie Saudi Arabien den Iran als größte Bedrohung der Region bekämpfen wollen.

Am Ende reisten die Teilnehmer ab, ohne die dringenden wirtschaftlichen und politischen Probleme überhaupt ernsthaft diskutiert zu haben. Versprochen wurde die Einrichtung eines regionalen Investitionsfonds für Technologie und, dass man die Jugend im Mittleren Osten unterstützen wolle. Hilfe für die Rückkehr der Millionen von syrischen Flüchtlingen, Hilfe beim Wiederaufbau, Schaffung von Arbeitsplätzen, bessere Bildung, Hilfe für die Palästinenser: Fehlanzeige.

Die nächste Chance, Antworten auf die dringenden Fragen nach wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung in der arabischen Welt, nach Frieden und Verständigung mit Syrien zu finden, bietet das Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März in Tunis.

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