Nahost

US-Nahost-Experte: Wie die USA langfristig Syrien spalten und schwächen wollen

Die USA bauen die kurdische YPG-Miliz auf, um Syrien arm und gespalten zu lassen. So soll Baschar al-Assad, Russland und Iran der vollständige Sieg in Syrien vereitelt werden. Die Interessen der Türkei stellen dabei nur einen Kollateralschaden dar.
US-Nahost-Experte: Wie die USA langfristig Syrien spalten und schwächen wollen

von Joshua Landis, Direktor des Nahost-Zentrums der US-amerikanischen Oklahoma-Universität, Norman

Das US-Außenministerium hat ein neues Kapitel in Bezug auf die Türkei eröffnet, weil es nicht mehr davon ausgeht, dass Ankara ein verlässlicher Partner der USA ist. Viele argumentieren, dass Washington die kurdische YPG-Miliz in Syrien aufgeben wird, um den türkischen Zorn zu lindern. Das bezweifle ich.

Washington erwartet von Erdogan weitere Maßnahmen gegen die USA. Viele in Washington glauben, dass der zunehmende Islamismus der Türkei, die Verhärtung der Diktatur und die Ausweitung der anti-israelischen Rhetorik in Zukunft nur noch zunehmen werden. Sie hegen keine Hoffnung, dass Washington diesen Trend umkehren kann.

Die USA greifen zunehmend auf die Unterstützung Israels und Saudi-Arabiens zurück. Trump hat seinen Kurs klar festgelegt und Obamas Bemühungen, Iran und Saudi-Arabien ins Gleichgewicht zu bringen, umgekehrt. Trump hat Washingtons Zukunft mit seinen traditionellen Verbündeten im Nahen Osten in die Waagschale geworfen. Trump nimmt Iran und Syriens Baschar al-Assad ins Visier.

USA nehmen Lagerwechsel der Türkei in Kauf

Die Hauptinstrumente, um in der Region an Einfluss zu gewinnen, scheinen Nordsyrien und die YPG-geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) zu sein. Washington fördert den kurdischen Nationalismus in Syrien. Die Türkei hatte gehofft, dass Washington sich nach der Zerstörung des "Islamischen Staates" aus Nordsyrien zurückziehen würde. Das ist nicht der Fall.

Indem sie Damaskus schwach und gespalten halten, hoffen die USA, Iran und Russland die Früchte ihres Sieges zu verweigern. Washington glaubt, dass diese pro-kurdische Politik den Einfluss der USA in der Region erhöhen und dazu beitragen wird, den Iran zurückzudrängen.

Die Türkei ist in diesem Zusammenhang aus US-Sicht nur ein "Kollateralschaden". Washington ist sich darüber im Klaren, dass seine pro-kurdische Politik die Türkei in die Arme Russlands zwingt, aber es ist bereit, diesen Verlust zu riskieren. Washington ist sogar bereit, der Türkei zu schaden, um Israel und Saudi-Arabien zu helfen.

Außerdem ist nicht klar, was Erdogan mit der Invasion Afrins im Endeffekt erreichen kann. Sie wird das Verhältnis Washingtons zu den Kurden in Ostsyrien weder verletzen noch schwächen. Höchstwahrscheinlich wird sie das Gegenteil bewirken. Diejenigen in Washington, die die Türkei als unzuverlässigen und fehlgeleiteten Partner betrachten, werden ihre negativen Ansichten über die Türkei bestätigt bekommen. Die YPG und die PKK werden enger zusammenarbeiten, um die Kurden auch in der Türkei zu mobilisieren. Aus diesem Grund glaube ich, dass Erdogan nicht eindringen wird. Er versucht, auf seine Unzufriedenheit aufmerksam zu machen, seine Basis zu entflammen und sich auf bevorstehende Wahlen vorzubereiten. Aber ich bezweifle, dass er beabsichtigt, Afrin zu besetzen. Er könnte den Artilleriebeschuss auf Afrin weiterführen, wie er es in den letzten Tagen getan hat, aber ich vermute, dass sein Zorn dort enden wird.

Washington will Wiederaufbau verteuern

Die gegenwärtige Syrien-Politik der USA zielt darauf ab, den Iran zurückzudrängen. Das ist kurzsichtig. Die PYD/YPG ist nur ein schwaches Schilfrohr, auf dem die US-Politik aufbauen kann. Weder Baschar al-Assad noch der Iran werden in Genf Zugeständnisse machen, nur weil die USA die SDF unterstützen.

Durch die Kontrolle der Hälfte der Energieressourcen Syriens, des Euphrat-Staudamms in Tabqa sowie eines Großteils der besten landwirtschaftlichen Nutzflächen Syriens werden die USA allerdings in der Lage sein, Syrien arm und unterentwickelt zu halten. Syrien arm zu halten, damit dieses nicht in der Lage ist, den Wiederaufbau zu finanzieren, passt zu den kurzfristigen Zielen der USA, weil das Israel schützt und als Abfluss für die iranischen Ressourcen dienen wird, auf die Syrien sich verlassen muss, wenn es darum kämpft, die staatlichen Dienstleistungen wiederherzustellen und den Wiederaufbau zu bewerkstelligen, wenn der Krieg zu Ende geht.

Die USA sollten die PYD/YPG lieber bei der Aushandlung eines Abkommens mit Baschar al-Assad unterstützen, das beide Interessen fördert: kurdische Autonomie und syrische Souveränität. Beide haben gemeinsame Interessen, die eine Einigung ermöglichen. Beide sehen in der Türkei eine Gefahr. Beide müssen zusammenarbeiten, um den Reichtum der Region zu nutzen. Beide misstrauen radikalen Islamisten und fürchten deren Rückkehr. Beide können sich nicht alleine wieder aufbauen. Die kurdischen Regionen Syriens müssen ihre Produkte an Syrien verkaufen und Transitrechte einrichten; Damaskus braucht Wasser, Strom und Öl. Natürlich wird es nicht einfach sein, jeden Deal zwischen der PYD/YPG und Damaskus zu überwachen. Nordsyrer werden nach Washington schauen, das ihre Freiheiten garantieren soll. Aber es ist wichtig, beiden Seiten zu helfen, einen Deal früher als später abzuschließen. Heute sind die Forderungen nicht fest verankert, Institutionen und Parteien nicht etabliert, und die Grenzen sind nicht festgelegt. Morgen werden sie es sein.

Westen hätte ein Eigeninteresse an Gesundung Syriens

Die USA sollten den Bau von Öl- und Gaspipelines zulassen, die die reichen Brennstoffvorkommen des Irak und des Iran mit dem Mittelmeer verbinden. Anstatt die Bemühungen Syriens um den Wiederaufbau zu vereiteln, sollte der Westen sie unterstützen. Der einzige Vorteil, der sich aus den schrecklichen Kriegen im nördlichen Nahen Osten ergibt, besteht darin, dass die Regierungen von Beirut, Damaskus, Bagdad und Teheran heute befreundet sind. Es ist das erste Mal seit einem Jahrhundert, dass eine Zusammenarbeit zwischen den vier Ländern möglich ist. Warum nicht diesen glücklichen Zufall nutzen, um Handel und Wirtschaftswachstum zu fördern? Warum sollte man es den Regierungen nicht gestatten, die Region mit Straßen, Verkehrswegen, Handel und Tourismus zu durchqueren? Mehrere Rebellengruppen halten sich an der Grenzregion fest, über die Russland und die USA eine Waffenstillstands- oder Dekonfliktionszone ausgehandelt haben. Dasselbe gilt für die Hauptautobahn, die Bagdad und Damaskus verbindet. Sie ist wegen der am Grenzübergang At-Tanf eingerichteten US-Militärzone geschlossen.

Die USA behaupten, dass Russland nach der Schwächung von al-Assad in Nordsyrien dazu übergehen würden, eine neue Verfassung für Syrien auszuarbeiten, faire Wahlen unter Aufsicht der UN durchzuführen. Bemerkenswert ist, dass Washington auch fest davon ausgeht, dass al-Assad diese verlieren wird. Dies war die Erklärung zur US-Politik, die David Satterfield, stellvertretender Sekretär des "Bureau of Near Eastern Affairs", dem Senat am 11. Januar 2018 gab. Dieses Ziel ist unrealistisch. Russland kann al-Assad nicht zwingen, ein solches Zugeständnis zu machen, selbst wenn es das versuchen würde. Diese Haltung der USA hat keinen anderen Zweck haben, als den Handel zu stoppen und eine mögliche Landroute vom Iran in den Libanon zu unterbinden. Der Iran hat die schiitische Hisbollah jahrzehntelang auf dem Luftweg beliefert und wird dies auch weiterhin tun. Was die USA mit dieser Politik erreichen, ist, Syrien zu spalten, schwach und arm zu halten. Das wird den Iran aber nicht zurückdrängen.

Es wird ein langer Weg sein, Syrien in eine echte Bürde für den Iran und Russland zu verwandeln. Die Politik dient dazu, Teheran und Moskau die Früchte ihres Sieges zu verweigern.

Kurzsichtige Politik schadet langfristig auch den USA selbst

Indem der Westen dem Iran und dem Irak erlaubt, Pipelines durch Syrien nach Tartus oder Tripolis zu bauen, würde er sicherstellen, dass die Europäische Gemeinschaft über ausreichend Gas und Öl verfügt. Die Vereinigten Staaten würden dafür sorgen, dass die Levante in Zukunft nach Europa blickt. Europa würde eine dringend benötigte Energiequelle gewinnen. Am wichtigsten wäre, dass die Länder der Levante und der Iran durch den Bau von Handelsnetzen Arbeitsplätze für Jugendliche schaffen könnten. Nichts ist für die Förderung von Stabilität und regionaler Gesundheit wichtiger als Arbeitsplätze und eine bessere wirtschaftliche Zukunft. Es würde den USA bei ihrem Anti-Terrorkampf mehr als jede andere einzelne Maßnahme helfen.

Alle Analysten sind sich darüber einig, dass Armut und Arbeitslosigkeit die Ursachen für die Aufstände des Arabischen Frühlings und den Radikalismus waren. Eine wiederbelebte Wirtschaft in der Levante würde Flüchtlinge zur Rückkehr ermutigen. Die Belastung Jordaniens, Libanons und der Türkei durch die Aufnahme so vieler Millionen Flüchtlinge würde verringert werden. Anstatt wie die Palästinenser verbittert zu werden, könnten die syrischen Flüchtlinge ihr Leben wieder aufbauen und Licht am Ende des Tunnels sehen.

Es scheint klar zu sein, dass die jetzige US-Regierung nicht bereit ist, eine solche Politik zu betreiben. Die USA erhoffen sich Druckmittel gegen al-Assad, indem sie kurzerhand den zwischenstaatlichen Handel in der Region zum Erliegen bringen und sein Militär durch die kurdische YPG schwächen.

Die gegenwärtige Anti-Iran- und Anti-Syrien-Politik wird zu mehr Verbitterung und jahrelangem Aufruhr führen, ohne dass Washington letztlich seine geopolitischen Ziele erreichen wird. Die Politik wird al-Assad nicht veranlassen, seine Beziehungen zum Iran zu beenden oder Macht an die syrische Opposition zu übertragen. Sie wird den USA auf lange Sicht schaden, so sicher wie es den Menschen in der Region schadet.

Auch verarmtes Syrien wird keinen Regimewechsel suchen

Letztendlich ist die Förderung von Wohlstand und einer starken Mittelschicht im Nahen Osten Amerikas größte Hoffnung. Dieses Prinzip war einst die tragende Säule der US-Außenpolitik; es erlangte den USA Respekt in der ganzen Welt. Heute sind Sanktionen und militärische Interventionen die tragende Säule der US-Politik geworden. Freihandel, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der nationalen Souveränität wurden verdrängt. Demokratieförderung ist zu einem Codewort für die Schwächung von US-Widersachern und zu einem zynischen Instrument des Regimewechsels geworden. Selten fördern die USA die Demokratie bei befreundeten Potentaten. Die US-Außenpolitik hat ihre Verankerung verloren.

Nur durch die Rückkehr zu den einfachen Wahrheiten, dass Wohlstand die Interessen der USA voranbringen wird, werden die USA beginnen können, dem Terrorismus ein Ende zu setzen, die Demokratie zu fördern und die Flut von Flüchtlingen, die aus der Region strömt, abzuschwächen. Demokratie, Mäßigung und die Akzeptanz liberaler Werte werden nur mit Bildung und Wirtschaftswachstum einhergehen. Es gibt keine schnelle Lösung für die Probleme der Regionen. Es ist eine schlechte Politik, dafür zu sorgen, dass Syrer und Iraner arm bleiben, in der Hoffnung, dass sie dann einen Regimewechsel fordern. Das hat ungeachtet jahrzehntelanger Sanktionen nicht funktioniert!

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