Nahost

"Sie werden uns nicht in die Knie zwingen" – Wie Israelis über einen neuen Krieg mit Hamas denken

Während die Zahl der Todesopfer weiter steigt, spricht RT mit Israelis vor Ort über den jüngsten Angriff, der den Nachrichtendienst und die Armee völlig überraschte. Tausende protestieren seit vierzig Wochen ununterbrochen gegen ein Gesetz und schwächen so die Verteidigungsfähigkeit Israels.
"Sie werden uns nicht in die Knie zwingen" – Wie Israelis über einen neuen Krieg mit Hamas denkenQuelle: AFP © JACK GUEZ

Von Elizabeth Blade

Es sollte ein gewöhnlicher Samstagmorgen in Sderot, Süd-Israel sein, aber der Anwohner David Michalowsky sagt, sie wären alle von den Luftsirenen aufgeweckt worden.

"Das gehört hier zur Normalität", sagt er gegenüber RT in Bezug auf eine Prozedur, die von Israels Heimatfrontkommando in Bedrohungslage aktiviert wird. Diese Prozedur ist darauf ausgelegt, die Anwohner vor eingehenden Raketen zu warnen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, in Bunkern Unterschlupf zu finden. In Sderot betrug das Zeitfenster zwischen Warnung und Einschlag nur zehn Sekunden.

"Wir rannten in den Unterschlupf und warteten auf das Ende des Angriffs, aber dieses Mal hörte es nicht auf. Es war ein Trommelfeuer von Raketen mit kurzen Intervallen zwischen ihnen. Wir schalteten dann die Nachrichten ein und sahen alle diese Berichte. Es war nervenzerreißend und wir verließen den Unterschlupf den ganzen Tag nicht."

Glück gehabt

Michalowsky, der seit 37 Jahren in Israel lebt und der mehrere Konfrontationen und Kriege miterlebt hat, berichtet, die Ereignisse der letzten Tage seien am traumatischsten. Er erlebte verbrannte Autos, zerstörte Infrastruktur und einschlagende Raketen. Er spricht von Kummer, Trauer und Verlust, gemischt mit ständiger Angst und Sorge.

Doch trotz des enormen Schadens und des tiefen psychischen Traumas schätzt er sich glücklich. Im Gegensatz zu vielen seiner Freunde, Verwandten und Nachbarn, sind er und seine Frau am Leben. Er sagt, er kenne persönlich Menschen, die von den palästinensischen Terroristen ermordet wurden, die einen der tödlichsten Angriffe seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 verübt haben.

Auch Or Bar-Ilan war mit dem Tod konfrontiert. Sie lebt seit ihrer Kindheit in Kfar Aza, einer Stadt, die nur einen Kilometer von der Grenze entfernt ist. Am Sonnabend, als Terroristen die Gemeinde stürmten, gelang ihr die Flucht – ihren Eltern gelang dies nicht. Sie wurden vor den Augen ihres jüngeren Bruders abgeschlachtet – er überlebte, indem er sich mit dem Blut seiner getöteten Eltern beschmierte.

Nach Angaben des Sprechers der Israelischen Streitkräfte (IDF), Daniel Hagari, kamen seit Samstagmorgen, als Dutzende Terrorist in die israelischen Gebiete eindrangen, wurden mindestens 900 Zivilisten durch Militante der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad ermordet. Etwa 2.500 Menschen wurden verletzt, und man geht davon aus, dass 130 Personen von der Hamas im Gazastreifen gefangen gehalten werden.

Wer trägt die Verantwortung?

Mit Blick auf die wachsende Zahl der Todesopfer sagt Michalowsky, wie viele andere Israelis auch, er sei wütend auf "das kolossale Versagen der Nachrichtendienste, das das Debakel des Krieges von 1973 übertrifft", als Israel von den Armeen Ägyptens und Syriens überrascht wurde.

"Wem gebe ich die Schuld dafür?", fragt er beinahe überrascht.

"Ich gebe einzig Premierminister Benjamin Netanjahu die Schuld. Die Zeichen stehen schon seit Langem auf Sturm. Der Geheimdienst und die Armee sagten ihm, dass die Justizreform, die er vorantrieb, schlecht für das Land sei und die IDF zerstöre. Aber er hat sich entschieden, nicht zuzuhören, und das wird ihm jetzt zum Verhängnis."

Seit seiner Rückkehr an die Macht im Dezember 2022 hat Netanjahu eine Justizreform vorangetrieben, die darauf abzielte, die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs einzuschränken, ein Schritt, der von vielen liberalen Kreisen als potenziell schädlich für die israelische Demokratie angesehen wurde. Das Gesetz hat die Spaltung der israelischen Gesellschaft vertieft: Tausende haben vierzig Wochen lang ununterbrochen dagegen protestiert. Viele haben sich deshalb geweigert, in der Reserve zu dienen, und Experten warnten, dass dies die IDF und ihre Fähigkeit, den Staat zu verteidigen, schwächen könnte. Diese Warnungen haben sich nun bewahrheitet, sagt Michalowsky, und er glaubt, dass sich die Situation nur noch weiter verschlechtern wird.

"Ich denke, es wird einen richtigen Sturm geben, bevor die Dinge wieder besser werden. Wir steuern wahrscheinlich auf einen ausgewachsenen Krieg zu, auch wenn sie [die Hamas] Gott weiß, wie viele Geiseln festhalten, und das könnte die Dinge weiter verkomplizieren", sagt Michalowsky und bezieht sich dabei auf die 30 Zivilisten und Soldaten, von denen man annimmt, dass sie im Gazastreifen von der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Jihad gefangen gehalten werden, was vermeintlich eine stärkere Bombardierung des Streifens verhindern soll.

"Aber Israel ist widerstandsfähig. Wir werden unsere Stärke wiederherstellen und die Araber besiegen", fasst er zusammen.

Bar-Ilan glaubt auch an den Sieg Israels in diesem Krieg. Obwohl sie immer noch traumatisiert ist, sagt sie, dass sie den Ort, den sie als ihr Zuhause betrachtet, nicht verlassen wird, und verspricht: "Sie werden uns nicht in die Knie zwingen!"

Im Laufe der Jahre sind Zehntausende Raketen, die von der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Jihad abgefeuert wurden, in israelischen Gebieten gelandet und haben erhebliche Schäden an der Infrastruktur angerichtet und zu zahlreichen Toten und Verletzten geführt. Die Angriffe haben sich seit 2007, nach der gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas verstärkt.

RT bemüht sich um eine ausgewogene Berichterstattung über den Konflikt von beiden Seiten. Lesen Sie hier die Gedanken der Bewohner des Gazastreifens über die Ereignisse der letzten Tage.

Übersetzt aus dem Englischen.

Elizabeth Blade ist RT-Korrespondentin für den Nahen Osten.

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