Neue Regierung im Libanon – eine Analyse
Eine Analyse von Karin Leukefeld
Der Multimilliardär Mikati zählt zu den reichsten Männern im Libanon. Als Abgeordneter vertritt Mikati die nordlibanesische Hafenstadt Tripoli, die zu den ärmsten Städten des Landes gehört. Nach der Ermordung von Rafik Hariri im Jahr 2005 war Mikati für wenige Monate bis zu den Neuwahlen als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt. Von 2011 bis 2014 war er Ministerpräsident.
Die Lage sei schwierig, sagte Mikati, der Journalisten zufolge bei der Pressekonferenz im Präsidentenpalast Baabda geweint habe. Man werde "mit Hoffnung und Entschlossenheit" arbeiten und zu "allen internationalen Institutionen Kontakt aufnehmen, um die lebensnotwendigen Versorgungsgüter" sicherzustellen. Die neue Regierung sei da, "um dem ganzen Land zu dienen", niemand werde ausgelassen. Er werde "an die Türen der arabischen Länder klopfen, weil wir die verbrannten Brücken wieder aufbauen müssen", so Mikati. "Libanon gehört zu dieser arabischen Welt".
Das Diktat des Geldes
Vorrangiges Ziel der neuen Regierung wird es sein, den wirtschaftlichen Absturz des Zedernstaates zu bremsen. Das Land sei "in einem Flugzeug, das eine Notlandung machen" müsse, so Mikati. "Jeder muss seinen Sicherheitsgurt anschnallen und darauf hoffen, dass wir bald den Kurs dieses Flugzeugs ändern können." Die Geldressourcen des Landes seien "ausgetrocknet" und es sei nichts mehr da, um Subventionen zu bezahlen, bereitete Mikati die Bevölkerung auf weitere Einschränkungen vor. "Wir müssen die Politik vergessen und nur für unser Volk arbeiten", appellierte Mikati an Parteien, Opposition und Gruppen der Zivilgesellschaft, die zusätzlich zu den wirtschaftlichen Problemen das Land seit Ende 2019 mit Straßenblockaden und Massendemonstrationen stillgelegt haben. "Es gibt eine Menge zu tun. Wir müssen die Moral unseres Volkes aufmuntern, ein freundliches Wort kann Wunder bewirken."
Nach UN-Angaben gelten Dreiviertel der Bevölkerung des Libanon als arm. Für rund 500.000 dieser Personen, die mittellos gelten, wird aktuell eine Scheckkarte vorbereitet, mit der die Inhaber zukünftig Lebensmittel und Medikamente erhalten können, die nicht mehr vom Staat, sondern von internationalen Gebern und UN-Hilfsorganisationen subventioniert werden sollen. Ende August hatte Riad Salameh, der Direktor der libanesischen Zentralbank, ein Ende von Subventionen für Benzin angekündigt. Inzwischen sind fast alle Tankstellen im Libanon geschlossen.
Die neue Regierung
Dem neuen Kabinett gehören 23 Minister und eine Ministerin an. Die einzige Frau in der neuen Regierung heißt Najla Riashi und wird das Ministerium für Administrative Entwicklung leiten. Finanzminister soll mit Yousef Khalil ein leitender Angestellter der umstrittenen Zentralbank werden. Ausgebildet in Frankreich und Großbritannien leitete Khalil als Direktor die Finanzoperationen der Zentralbank und gilt als enger Vertrauter von Riad Salameh, der der Zentralbank seit 20 Jahren als Direktor vorsteht. In Frankreich, Großbritannien und in der Schweiz laufen gegen Salameh Untersuchungen wegen Geldwäsche, Veruntreuung und Betrug.
Sobald das Parlament der neuen Regierung das Vertrauen ausgesprochen hat, werde man die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder aufnehmen, erklärte Mikati. Die USA, Frankreich und Deutschland hatten wiederholt den Libanon aufgefordert, seine ineffektiven, aber wertvollen Wirtschaftszweige – Strom, Wasser, Telekommunikation und die zukünftige Gasförderung – zu "reformieren", um mit dem IWF eine Vereinbarung über Kredite zu erzielen. IWF-Vereinbarungen sehen allerdings die Privatisierung von staatlichen Wirtschaftszweigen und den Abbau staatlicher Subventionen vor. Die USA, die im IWF die Stimmenmehrheit hält, hat signalisiert, im Falle von "Reformen" einem IWF-Kredit für das Land zuzustimmen.
In den USA, Frankreich und Deutschland sowie von der EU wurde die Regierungsbildung von Najib Mikati begrüßt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin forderte rasche und spürbare Fortschritte von der neuen Regierung und die "Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds."
Innerlibanesische Stimmen
Die Kommunistische Partei des Libanon kritisierte die neue Regierung als "Kopie der vorherigen Regierungen". Keine Partei und keine Regierung werde eine Lösung im Sinne der Libanesen erreichen, solange nicht das konfessionelle System überwunden werde. Die größte Partei in der neuen Regierung sei die "Partei von Banken und Kapital", hieß es in der KP-Erklärung. Die Libanesen sollten "ihren Gürtel enger schnallen", um "die Interessen der Milliardäre, Banker und Großanleger" zu schützen.
Der Vorsitzende der Hisbollah, Hassan Nasrallah meldete sich erst nach Redaktionsschluss am Montagabend zu Wort.
Der Vorsitzende der ultrarechten Libanesischen Kräfte, Samir Geagea, bezweifelte, dass die neue Regierung das Land aus dem Sumpf retten könne. Der Libanon sei von der Freien Patriotischen Bewegung (FPM, Michel Aoun) und der Hisbollah in den Abgrund gesteuert worden. Das werde auch eine Mikati-Regierung nicht rückgängig machen können. Den bisherigen Ministerpräsidenten Hassan Diab griff Geagea als Versager an. Er sprach sich für umgehende Neuwahlen aus.
Parlamentswahlen sind turnusgemäß im Libanon im Mai 2022 vorgesehen. Mikati bekräftigte seine Absicht, die Wahlen fristgemäß am 8. Mai durchzuführen. Das Gleiche gelte für die Kommunalwahlen. Gefragt, ob die neue Regierung mit Syrien kommunizieren werde, sagte Mikati, die Regierung habe die Aufgabe, den Interessen des Libanon zu dienen: "Wir werden mit jedem kommunizieren, außer mit Israel."
Politische Neuordnung der Region
Unabhängige und parteipolitische Beobachter zeigten sich überzeugt, dass die Bewegung, die in den letzten Wochen in die festgefahrenen regionalen Beziehungen der arabischen Staaten mit Iran und der Türkei gekommen waren, die Regierungsbildung im Libanon ebenso beschleunigt hatten, wie die Niederlage von USA und NATO in Afghanistan.
Bereits Anfang September hatte der libanesische Nachrichtensender Al Mayadeen von einem Telefonat zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem neuen iranischen Präsidenten Ephraim Raisi berichtet. Laut iranischem Präsidentenpalast sei über Libanon, Afghanistan und die Verhandlungen in Wien gesprochen worden. Teheran habe die Unterstützung einer raschen Regierungsbildung im Libanon zugesagt, während Paris bekräftigt habe, sich für die Aufhebung von Sanktionen gegen Libanon und Iran einzusetzen.
Regionale Wirtschaftskooperation oder IWF-Diktat
Ende August hatte die libanesische Hisbollah offen den US-Sanktionen getrotzt und Öllieferungen aus Iran für den Libanon angekündigt, um die massive Benzin- und Treibstoffkrise im Land zu lindern. Die US-Regierung hatte daraufhin zugestimmt, dass Ägypten Strom und Gas über Jordanien und Syrien in den Libanon liefern könne. Finanziert werden soll die ägyptische Lieferung über die Weltbank, wofür eine Zustimmung der USA als größtem Geldgeber erforderlich ist. Libanon schickte zum ersten Mal seit dem Jahr 2011 eine offizielle Regierungsdelegation nach Damaskus und einigte sich mit der syrischen Regierung auf den Transfer des ägyptischen Stroms durch das syrische Netzwerk. Notwendige technische Wartungsarbeiten am Stromnetzwerk der Länder könnten die Umsetzung der Vereinbarung aber noch um Wochen verzögern.
Während manche Analysten den westlichen Druck in den Vordergrund stellten, mit dem eine zukünftige Regierung des Libanons gezwungen werden sollte, Reformen unter dem Diktat eines IWF-Kredits einzuleiten, analysieren andere Beobachter, dass gerade der westliche Druck und die Sanktionen, sowie der US-Rückzug aus dem Mittleren Osten die Region enger habe zusammenrücken lassen. Der Westen habe Bedingungen für die Zustimmung zu Krediten von IWF und Weltbank gefordert, dagegen hätten China und Russland dem Libanon schon vor einem Jahr Unterstützung ohne jegliche Vorbedingungen angeboten. Das chinesisch-iranische 25-Jahres-Abkommen für den Auf- und Ausbau wichtiger Infrastruktur wird auch den arabischen Partnerländern Irans, vor allem Irak, Syrien und Libanon nutzen. Die Mikati-Regierung hat Gespräche mit dem IWF, aber auch mit arabischen Ländern angekündigt, um finanzielle Unterstützung zu erhalten.
Deutsches Militär will das strategische "Dreieck stabilisieren"
Während die Verhandlungen um die neue libanesische Regierung in die letzte Runde gingen, forderte der Generalinspekteur der Bundeswehr mehr Engagement der Truppe in der Levante. Die Spannungen in der Region seien durch Streit um Bodenschätze und Grenzen groß, das östliche Mittelmeer sei ein Pulverfass, zitierte die Deutsche Presseagentur den "ranghöchsten Soldat der Bundeswehr" Eberhard Zorn bei einem Besuch deutscher Truppen der UNIFIL-Mission im südlichen Libanon am 09. September.
Ein Kontingent von 130 deutschen Soldaten und Soldatinnen leitet den seeseitigen Einsatz der UNIFIL-Mission, die seit dem Jahr 2006 die "Blaue Linie", eine Waffenstillstandslinie, zwischen dem südlichen Libanon und Israel kontrollieren. Der Seeeinsatz soll Waffenschmuggel in den Libanon verhindern. Das UNIFIL-Mandat müsse "aktualisiert" werden, sagte Zorn. "Wertvolle Güter wie Öl und Benzin werden außer Landes geschmuggelt. Flüchtlinge aus Syrien werden durch das Land geschleust und mit Booten in Richtung Zypern gebracht." Die Lage sei ähnlich wie in Libyen.
Die libanesischen Streitkräfte müssen besser ausgerüstet werden, forderte Zorn. Die Marine brauche neue Patrouillenboote "mit robuster Technik", Drohnen zur Überwachung und Anlagen zur akustischen Überwachung des Seegebiets. Deutschland hat eine Radaranlage mit zehn Stationen entlang der Küste bezahlt und zur Ertüchtigung des libanesischen Militärs 23 Millionen Euro bereitgestellt.
Zorn bezeichnete die deutsche Beteiligung an der UNIFIL-Mission für "unverändert wichtig" und begründete das mit dem Krieg in Syrien, Schläferzellen des Islamischen Staates im Libanon und dem Streit um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Er halte es für wichtig, dass "wir die Stabilität im Dreieck Libanon-Israel-Jordanien bewahren", sagte Zorn. Aus strategischen Gründen solle Deutschland "am besten auf See" präsent bleiben. Sollte in dem Dreieck dieser Staaten "ein Vakuum entstehen ... würde der IS nachstoßen, wie in allen anderen Ecken dieser Welt."
Die libanesischen Streitkräfte werden bisher von den USA und deren Partnern in der Region und in der NATO finanziert. Damit soll sichergestellt werden, dass der Libanon waffentechnisch den hochgerüsteten Israelischen Streitkräften – Partner von USA und NATO – unterlegen bleibt. Die einzige Kraft, die den Israelischen Streitkräften Einhalt gebieten kann, ist die libanesische Hisbollah. USA und NATO streben deren Entwaffnung an.
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