Machtverschiebung im Nahen Osten: Pakistan orientiert sich gen Osten
von Seyed Alireza Mousavi
Anfang August stellte der pakistanische Außenminister Shah Mehmood Qureshi erneut die Forderung nach einem Sondergipfel der Außenminister der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) zur Kaschmir-Frage. Er drohte damit, bei einem Scheitern selbst ein Treffen einzuberufen. Pakistans Kritik an der Untätigkeit der OIC richtete sich in erster Linie an Saudi-Arabien, das im Grunde die Organisation dominiert.
1947 war mit der Unabhängigkeit Pakistans der damals bevölkerungsreichste muslimische Staat der Welt entstanden, und der war in seiner neuen Rolle auf gute Beziehungen mit Saudi-Arabien angewiesen. Unter der Präsidentschaft von Mohammed Zia-ul-Haq erlebte die pakistanisch-saudische Partnerschaft eine neue Blüte. Mit saudischem Geld und unter pakistanischer Aufsicht organisierte man zusammen die islamistischen Rebellen in Afghanistan gegen die "sowjetische Besetzung".
Konflikt um die Kaschmir-Frage
Die indische Regierung erkannte im vergangenen Jahr der Region Kaschmir den Autonomiestatus ab. Indien hatte per Dekret den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus für den indischen Teil Kaschmirs beendet. Dieser Sonderstatus war im Grunde als Schutzmechanismus gedacht, um langfristig eine muslimische Bevölkerungsmehrheit in diesem Gebiet sicherzustellen. Aber mit der Aufhebung dieser Autonomierechte wurden die Spannungen in der Region zwischen Indien und Pakistan wieder angefeuert.
Pakistan forderte seinerzeit die Solidarität der islamischen Länder für Kaschmir ein. Pakistan erwartet insbesondere mehr Unterstützung vonseiten der Saudis im Kaschmir-Konflikt. Die Saudis wollten es sich jedoch auch mit Indien nicht verderben. Angesichts ihrer milliardenschweren Investitionen und der Öllieferungen nach Indien konnte sich Saudi-Arabien einen solchen Schritt nicht erlauben. Das Geld war somit für die Saudis wichtiger als die "islamische Solidarität". Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Pakistan zunahmen, nachdem das Königreich die Rückzahlung seines Milliardenkredits gefordert hatte. Im Oktober 2018 stellte Saudi-Arabien Pakistan ein Finanzpaket in Höhe von 6,2 Milliarden US-Dollar für drei Jahre zur Verfügung. Im Zuge der jüngsten Spannungen erklärte die saudische Regierung diesen Kreditvertrag vorzeitig für beendet und drang darauf, den Kredit vollständig zurückgezahlt zu bekommen. Da Pakistan nicht in der Lage war, den Kredit aus eigener Kraft zurückzuzahlen, sprang China als Geldgeber durch Umschuldung ein. Von chinesischer Seite aus gingen bereits eine Milliarde Dollar an Pakistan, um das Darlehen an die Saudis zurückzuzahlen. Mittlerweile entfacht auch die Kaschmir-Frage eine Debatte um geopolitische Orientierung Pakistans in der Region.
Enge Beziehungen mit Iran und der Türkei
Seitdem für Pakistan vonseiten der arabisch-islamischen Welt und insbesondere der traditionellen Verbündeten aus der Golfregion die Unterstützung in der Kaschmir-Frage ausblieb, ist das Land dabei, sich in der Region neu zu orientieren. Pakistans Konflikte mit den Golfstaaten beschränken sich jedoch keineswegs nur auf Kaschmir. Islamabad verweigerte in den letzten Jahren bereits mehrfach eine blinde Gefolgschaft gegenüber den arabischen Golfstaaten.
So beteiligte sich Pakistan seinerzeit nicht an den Luftangriffen der von Saudi-Arabien geführten Koalition gegen den Jemen. Pakistan blieb in dem Konflikt neutral, und das Land wollte vielmehr eine führende diplomatische Rolle zur Beendigung der Krise im Jemen einnehmen. Dieser Kurs wurde von den Saudis und anderen Golfstaaten mit Argusaugen beobachtet. Falls der Konflikt im Jemen zu einem radikalen religiösen Krieg werde, wäre dies für die ganze Region – auch für Pakistan – kritisch, hieß es in der vom pakistanischen Parlament beschlossenen Resolution. Zudem bewahrt Pakistan im wachsenden Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien – trotz politischen Drucks durch den Golfkooperationsrat – eine neutrale Haltung. Seit einigen Jahren unterhalten die Türkei und Pakistan enge Beziehungen – freilich zum Unbehagen Riads, das gerade mit der Türkei um Einfluss in Nahen Osten konkurriert.
Die Strategische Partnerschaft mit China
Vor Kurzem hat Imran Khan, der pakistanische Ministerpräsident, ein Interview mit Al Jazeera geführt, in dem er das "Friedensabkommen" zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten kritisierte. Der pakistanische Premierminister sagte, dass das Israel-Palästina-Problem nur dann gelöst werde, wenn es eine "gerechte Lösung" für die Palästinenser gebe. Pakistan werde Israel erst dann anerkennen, wenn es einen palästinensischen Staat gebe, der für das palästinensische Volk akzeptabel sei. Er hat den Deal zwischen Israel und den Emiraten als einen einseitigen Pakt bezeichnet. In Interview nahm er Stellung zu den chinesisch-pakistanischen Beziehungen und sagte nachdrücklich, dass die wirtschaftliche Zukunft Pakistans mit China verbunden sei.
"The tragedy of India ... is India is being ruled by an extremist."Two years since being sworn into office, how is Pakistan's PM Imran Khan coping with geopolitical changes? https://t.co/eNqKOzAagG [ via @TalktoAlJazeera] pic.twitter.com/DEpLvuoamU
— Al Jazeera English (@AJEnglish) September 4, 2020
China seinerseits betrachtet Pakistan als seinen verlässlichsten Partner, nicht nur im Hinblick auf die eigene Indien-Politik, sondern auch bezogen auf die islamische Welt. Pakistan hat in den letzten Jahren zunehmend Anschluss an China als "Allzeit-Freund" gefunden.
China baut durch Pakistan seinen Wirtschaftskorridor namens CPEC-Projekt auf und aus, und das verschafft dem "Reich der Mitte" über den Hafen Gwadar einen Zugang zum Arabischen Meer. Daneben sollen Großinvestitionen in landwirtschaftliche Betriebe, in die Kohleförderung und sogar in Ferienanlagen Pakistan langfristig für Chinesen öffnen. Dieses Projekt ist ein Teil von Chinas gigantischer Initiative für eine "Neue Seidenstraße". Peking versprach Pakistan rund 70 Milliarden Dollar Hilfe für die weitere Entwicklung, insbesondere zum Bau des CPEC, hieß es in der FAZ.
Die strategische Partnerschaft zwischen Islamabad und Peking wird unter diesem Blickwinkel von den USA misstrauisch beäugt. Iran schließt sich unter anderem bei diesem Projekt China und Pakistan an. Irans Heranrücken an China ging auf Kosten Indiens und zugunsten Pakistans vonstatten. Iran hat so erst kürzlich Indien vom Bauprojekt der Bahnstrecke Zahedan – Tschahbahar (Hafen) ausgeschlossen, hieß es auf persischen Ableger von Sputnik. Es wurde berichtet, dass die neuen Entwicklungen auf dem endgültigen Abschluss des 25-jährigen strategischen Abkommens zwischen Iran und China basieren. Indien beugte sich bislang immer dem US-amerikanischen Druck hinsichtlich der Sanktionen gegen Iran und machte keinerlei Schritte zur Umsetzung des Projekts im Hafen von Tschahbahar. Im Grunde wird Iran das CPEC-Projekt als ein Teil der Seiden-Straße unterstützen. Für den Plan der Neuen Seidenstraße setzt die Regierung in China auf den Ausbau des Zugverkehrs nach Iran.
Machtverschiebung in der Region
Gilt Saudi-Arabien somit als der engste Verbündete der USA am Golf, so nimmt nun Pakistan für China in seiner neuen Strategie eine solche geopolitische Rolle ein. Der Vizeaußenminister der Vereinigten Staaten hatte vor kurzem angegeben, Washington werde die Länder im Indopazifik-Raum dazu bringen, als "Bollwerk gegen eine potenzielle Herausforderung durch China" zu kooperieren. Es handelt sich insbesondere um Indien, Japan und Australien. Davon ist Pakistan stark betroffen und diese mögliche Kooperation wird Pakistan noch enger an China heranrücken lassen. Damit wird der Indische Ozean bis zum Südchinesischen Meer zur nächsten Bühne eines Konfliktes zwischen den Großmächten China und USA.
Allerdings ist die Orientierung Pakistans nach Osten ein Wendepunkt für die Region insgesamt, denn damit wird die geopolitische Landkarte im Nahen Osten neu gestaltet. Während der bevölkerungsreichste muslimische Staat nun dabei ist, sich von den USA zu entfernen, sind die Golfstaaten bereit, einen Deal mit Israel zum alleinigen Nutzen der USA einzugehen. Indien beugt sich unter anderem wegen der alten Grenzkonflikte mit China das US-Diktat. Die Türkei will mit den Großmächten künftig auf Augenhöhe verhandeln, und Erdoğan macht seit Jahren Front gegen ultrakonservative und in der politischen Führung säkulare Staaten wie Ägypten und Saudi-Arabien. Und Iran – ein Land, das sowieso keine Beziehungen mit den USA hatte – orientiert sich aufgrund der harten US-Sanktionen ohnehin längst nach Eurasien. Hier ist auch anzumerken, dass sich die sunnitischen und schiitischen Widerstandbewegungen in einer gemeinsamen Strategie gegen Israel einander nähern, nämlich seit dem Friedensabkommen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Vor Kurzem beschworen bei einem Treffen im Libanon die Führer von Hamas und Hisbollah die iranische "Achse des Widerstands".
Die pakistanische Historikerin Ayesha Jalal glaubt, dass es bei Pakistan um die Frage der eigenen Souveränität unter den post-kolonialen Staaten geht. Nun sei der richtige Zeitpunkt gekommen, um einen "pluralistischen und gerechten islamischen Wiederaufbau" neu zu definieren, der in der pakistanischen Politik zu verkörpern sei. Muslime auf der ganzen Welt sowie Millionen und Abermillionen von Menschen der ganzen Welt, die sich mit den Palästinensern, den Kaschmiris und anderen unterdrückten Völkern solidarisieren, sehen die "offensichtliche Heuchelei und Grausamkeit von Ländern wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten", hieß es im Middle East Monitor. Allerdings hat nun der Unilateralismus der USA in der internationalen Politik in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass sich in der Region eine neue Front gegen die bisherige globale Weltordnung – und zu dieser Front gehört Pakistan, das sich womöglich nicht länger dem Diktat der US-Amerikaner im Nahen Osten unterwerfen will.
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