Wenn keiner nachgeben will: Japan und Südkorea stehen vor gefährlichem Handelskrieg
Die dritt- und die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt stehen am Rande eines gefährlichen Handelskrieges. Ein eskalierender Konflikt zwischen den beiden Verbündeten der USA hätte nicht nur fatale Folgen weltweit für die Elektronikbranche, sondern auch auf die regionale Geopolitik in Fernost. Besorgniserregend ist, dass beide Seiten nicht bereit sind zu deeskalieren und sich die USA bis jetzt vornehm zurückhalten. Die Krise wurde verschärft, als in Tokio in diesem Monat angekündigt wurde, dass südkoreanische Importeure wichtiger japanischer Halbleiter- und Displaymaterialien verpflichtet werden sollen, sich einem Genehmigungsverfahren von 90 Tagen Dauer bei der japanischen Regierung zu unterziehen.
Die Entscheidung wurde angeblich aus Gründen der nationalen Sicherheit getroffen – ein Schritt, der aktuell an Vorgehensweisen von US-Präsident Donald Trump gegenüber dem chinesischen Technologieriesen Huawei erinnert. Für den Vorwurf der Japaner, dass an Südkorea gelieferte Technologie angeblich in Nordkorea auftauchen würde, gibt es allerdings keine Beweise. Dennoch betrachtet der japanische Premierminister Shinzō Abe nunmehr Seoul offenbar als eine nicht mehr vertrauenswürdige Gegenseite.
Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in Seoul einseitig ein Abkommen aus dem Jahr 2015 aufgekündigt, das zwischen Tokio und einer früheren Regierung Südkoreas vereinbart wurde. Darin geht es um eine Entschuldigung und Entschädigung für die sogenannten koreanischen "Trostfrauen". Diese Frauen wurden während des Zweiten Weltkriegs in japanischen Kriegsbordellen zwangsprostituiert. Dann, im Januar dieses Jahres, ordnete der Oberste Gerichtshof Südkoreas die Beschlagnahmung von Vermögenswerten japanischer Unternehmen an. Damit sollten koreanische Arbeiter entschädigt werden, die im Zweiten Weltkrieg gezwungen wurden, in japanischen Fabriken zu arbeiten.
Das alles kam in Tokio erwartungsgemäß nicht gut an. Japan merkte erzürnt an, dass diese Massnahmen gegen Bestimmungen eines Vertrags von 1965 verstoßen würden, in dem Entschädigungszahlungen über Hunderte von Millionen US-Dollar bereits geregelt wurden. Zudem forderte Tokio ein Schiedsverfahren mit Dritten – ebenfalls gemäß einer Klausel in dem Vertrag von 1965. In Seoul erwiderte man lediglich, dass eine Gerichtsentscheidung nicht aufgehoben werden könne. Nun scheint Japan "Vergeltung" üben zu wollen – über den Umweg von indirekten Wirtschaftssanktionen. Die Situation könnte jedoch leicht außer Kontrolle geraten. In Südkorea herrscht Panik vor, dass die Versorgung der heimischen Elektroindustrie mit Komponenten aus Japan ganz eingestellt werden könnte.
Die aktuellen Animositäten beider Seiten gehen auf eine lange und problematische Geschichte zwischen den beiden Ländern zurück. Japan verwüstete Korea bei einer Invasion im 16. Jahrhundert und kolonisierte es im 20. Jahrhundert. Abgesehen von der Ungerechtigkeit und Ausbeutung, die Teil jedes Kolonialismus ist, kommen noch besondere Brutalitäten während der japanischen Herrschaft hinzu, wie etwa die Rekrutierung von "Trostfrauen" für japanische Militärbordelle, die Rekrutierung von Zwangsarbeitern sowie die Unterdrückung der koreanischen Kultur.
In dem von den USA ausgehandelten Vertrag von 1965 wurden die diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt, wobei Japan an Südkorea 800 Millionen US-Dollar in Gestalt von Zuschüssen und zinsgünstigen Darlehen zahlte – ein großer Teil der damaligen Devisenreserven Japans. Anstatt die Entschädigung an einzelne Opfer der Kolonialzeit weiterzugeben, investierte die Regierung in Seoul das Geld in die rasche wirtschaftliche Entwicklung. Abgesehen davon blieben die Beziehungen dann über Jahrzehnte hinweg stabil.
Erst nach Ende des Militärregime unter Chun Doo-hwan in Südkorea, dem sogenannten "Juni-Kampf", kamen die unter den autoritären Regimen begrabenen Animositäten wieder auf die Tagesordnung. Zu diesem Zeitpunkt war die koreanische Wirtschaft bereits autark genug, um sich von japanischem Kapital, von Partnerschaften und Beratern weitgehend zu befreien. In den 1990er Jahren ersetzte sogar der Anti-Japanismus den Antikommunismus als stärkste emotionale Kraft in der südkoreanischen Politik. Obwohl der Koreakrieg von 1950 bis 1953 blutiger und zerstörerischer war, wird die Kolonialzeit von 1910 bis 1945 weithin als das dunkelste Kapitel in der koreanischen Geschichte wahrgenommen.
In Japan gibt es unterschiedliche Ansichten über den Pazifikkrieg (wenn auch nicht in Lehrbüchern, in denen die japanische Gräueltaten übertüncht werden), und es gibt ein breites Meinungsspektrum über die japanischen Kolonial- und Kriegshandlungen. Aber in Südkorea werden Abweichungen von dem gängigen Narrativ ungern gesehen. Die schlimmsten Auswüchse des Kolonialismus werden in den Schulen gelehrt und in den Museen gezeigt. Die Populärkultur fiktionalisiert und mythologisiert den Unabhängigkeitskampf. Die Nachrichtenmedien praktizieren in dieser Hinsicht Selbstzensur. Wissenschaftler, die auf Nuancen hinweisen, werden öffentlich angegriffen – in jüngster Zeit auch von ihren eigenen Studenten. Andere sehen sich mit Gerichtsverfahren, Geldbußen und dem Verlust ihres Arbeitsplatzes konfrontiert.
Dabei wurden von japanischen Kaisern, Präsidenten und Kabinettssekretären bereits zahlreich Entschuldigungen ausgesprochen, vor allem in den letzten Jahren. Aber die Beziehungen verschlechtern sich trotzdem weiter, da in Südkorea solche Entschuldigungen oftmals in Frage gestellt werden und Tokio unter anderem "Unaufrichtigkeit" vorgeworfen wird. Zudem verweist man in Seoul auch gerne auf revisionistische Lehrbuchänderungen oder Besuche von Politikern im Tokioter Yasukuni-Schrein, wo einige Kriegsverbrecher bestattet wurden.
Die für einige Zeit guten Beziehungen zwischen den Militärs beider Seiten verschlechterten sich in den letzten Monaten, nachdem Seoul verlangte, dass ein japanisches Kriegsschiff, das zu einem koreanischen Flottenmanöver eingeladen war, seine Flagge mit der "Aufgehenden Sonne" einholen sollte – eine Forderung, die allerdings noch nie zuvor gestellt wurde. Zudem soll ein koreanischer Zerstörer japanische Flugzeuge mit seinem Zielradar verfolgt haben.
Der japanische Premier Abe, dem revisionistische Ansichten nicht fremd sind und dessen Großvater ein korrupter und brutaler Kriegsgewinnler in Manchukuo (als einem von Japan errichteten "Kaiserreich" in der Mandschurei von 1932 bis 1945) war – scheint nun entschlossen zu sein, dass weder Entschuldigungen noch Entschädigungen stattfinden. Der neue aggressivere Kurs Tokios macht wiederum Südkorea nervös. Eine wütende Öffentlichkeit hat den Boykott japanischer Produkte in Gang gesetzt. Die Zahl an Stornierungen von geplanten Reisen südkoreanischer Touristen nach Japan sind Berichten zufolge explosionsartig gestiegen.
Doch die "Strategie" vom Premier Abe scheint gut ausgearbeitet zu sein. Der Fokus auf Displays und Chips trifft den größten Sektor Südkoreas, und er lässt sich leicht justieren. Sobald sich die Beziehungen wieder verbessern, können auch verhängte Genehmigungsprozesse wieder erleichtert werden. Wenn sich die Beziehungen verschlechtern, können sie angezogen oder gänzlich gestoppt werden. Während japanische Unternehmen wahrscheinlich auch Kollateralschäden erleiden werden – denn einige benötigen ihrerseits koreanische Komponenten und könnten daher wertvolle koreanische Kunden verlieren –, sind solche Schäden in den Berechnungen Tokios mit wahrscheinlich mit bedacht worden.
Damit steht die südkoreanische Regierung unter Präsident Moon Jae-in bereits stark unter Druck. Denn die Wirtschaft in Südkorea stotterte auch schon ohne die Probleme mit Japan. Wenig überraschend hat Südkorea in dem Zwist bereits die Welthandelsorganisation angerufen und angekündigt, den Fall Ende des Monats auf der Generalversammlung dieser Organisation zur Sprache zu bringen. Dies könnte sich aber als unangebracht erweisen. Zum einen kann Tokio argumentieren, dass es die Prozedur für Exporte nach Korea lediglich geändert und keineswegs gestoppt hat. Zum anderen hat die WTO im April erstmals entschieden, dass die nationale Sicherheit ein Grund für die Befreiung von den globalen Handelsregeln ist. Und das sind die Gründe, auf die sich gerade auch Abe berufen hat.
Weltweit hat Südkorea einen starken Verbündeten – die USA. Führende Beamte aus Seoul haben in Washington zwar um Unterstützung nachgesucht, kamen aber mit leeren Händen wieder zurück. In Washington lehnt man es derzeit offenbar ab zu vermitteln. Ein hochrangiger US-Diplomat im Ruhestand mit Erfahrungen aus beiden Ländern sagte gegenüber der Asia Times, dass "Südkorea die USA in dieser Angelegenheit verloren hat". Die Beschädigung des langlebigen Vertrages von 1965 könnte Washington erzürnt haben. Vielmehr wurden die Regierungen in Seoul und Tokio immer wieder aufgefordert, ihre Gegensätze zu begraben und als US-Verbündete zusammenzuarbeiten.
Der US-amerikanische Ex-Diplomat verwies zudem auf eine – seiner Einschätzung nach – Doppelmoral: Seoul bringe Japan vor die WTO, aber nicht China, das Südkorea wegen des US-Raketenabwehrsystems THAAD sanktioniert hatte. Der Schritt von Abe wird sich – wenn er umgesetzt wird – allerdings auch weltweit auf die Lieferungen von Elektronikprodukten auswirken. Doch noch ist unklar, ob die japanische Regierung tatsächlich die Exporte nach Korea einschränken will.
Zweitens ist unklar, ob es sich bei Abes Schritt um ein innenpolitisches Manöver vor den Wahlen am kommenden Sonntag im japanischen Bundesrat handelt. Doch das erscheint eher unwahrscheinlich, es sieht vielmehr nach einer langfristigen Strategie aus. Dafür spricht, dass in Tokio bereits eine weitere Eskalation vorbereitet wird. Japan hat nämlich signalisiert, dass Südkorea im August von einer "weißen Liste" jener Länder gestrichen werden könnte, die privilegierten Zugang zu japanischen Exporten erhalten. Wenn das passiert, sind auch andere kritische Wirtschaftssektoren Südkoreas, wie beispielsweise der Automobilbau, gefährdet.
Keine der beiden Seiten scheint sich derzeit um eine Deeskalation zu bemühen. Obwohl Moon von einer diplomatischen Lösung gesprochen hat, denkt auch er über Vergeltungsmaßnahmen nach, während Tokio sich darauf vorbereitet, die Feindseligkeiten im nächsten Monat zu verschärfen. Ohne eine unerwartete Entwicklung oder US-Schlichtung ist eine Verschlechterung eher wahrscheinlich. Sollte ein offener Handelskrieg zwischen den asiatischen Wirtschaftsriesen ausbrechen, würde er unkalkulierbare Auswirkungen auf die komplexen und verwickelten Elektronik-Lieferketten weltweit haben. Dies würde den Druck auf die Weltwirtschaft noch einmal erhöhen, die bereits vom Handelskrieg zwischen Peking und Washington spürbar betroffen ist.
Doch die Auswirkungen könnten sogar noch über die Ökonomie hinausgehen. Wenn die USA eingreifen sollten und ihrer gegenwärtigen Tendenz folgend Japan zur Seite springen, könnte sich ein verärgertes Südkorea stärker als "Satellit" in die Umlaufbahn Chinas begeben. Während die Volksrepublik China sowohl der größte Handelspartner von Südkoreas als auch Japans ist, ist man in Tokio entschlossen, sich gegen Peking sowohl auf diplomatischer als auch auf sicherheitspolitischer Ebene behaupten zu wollen. Aus Seoul kommen solche Signale bis jetzt nicht.
Ein Joker in dem "geopolitischen Spiel" könnte Nordkorea sein. Wenn die Annäherung zwischen Pjöngjang und Washington noch beschleunigt wird und Trump einen dringend erhofften diplomatischen Sieg beschert, könnten auch die Beziehungen nach Seoul plötzlich wieder sehr wertvoll werden. Dann könnte man aus Washington Seoul eventuell wieder mehr Unterstützung anbieten wollen als Tokio. Das wiederum ist Japans Albtraum-Szenario. Japan wäre plötzlich von seinem "großen Verbündeten" isoliert und von einem "regionalen Konkurrenten" gedemütigt.
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