Exklusiv-Interview: US-Militär und Regierung in Kabul zahlen Schutzgeld an Taliban - Teil I
von Ali Özkök
RT Deutsch hat mit Khalid Muhammad gesprochen. Er ist Generaldirektor von CommandEleven, einem Think Tank mit Sitz in Islamabad, Pakistan, der sich auf nationale Sicherheit, Deradikalisierung und Terrorismusbekämpfung konzentriert. Muhammad leitete als Teil einer Anti-Terror-Miliz der pakistanischen Armee in der Vergangenheit Operationen gegen die Terrororganisation Tehrik-i Taliban im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet.
Wo sehen Sie die Gründe für das Scheitern der US-Mission zur "Stabilisierung" Afghanistans?
Jede Nation, die glaubt, Afghanistan stabilisieren zu können, lebt in einer Welt außerhalb der Realität.
Afghanistan befindet sich seit dem sowjetischen Rückzug im Krieg, und die Taliban waren die einzige Gruppe, die die Nation in irgendeiner Weise zusammenhalten konnten. Als die USA die Taliban von der Regierung entfernten, öffneten Sie die Tür für all jene Gruppen, die in einer vom Krieg zerrissenen Nation nach externen Bündnissen und Bedeutung suchten.
Um ganz deutlich zu werden: Da die Taliban nicht mehr an der Macht sind, wurden die Türen für die alte Nordallianz geöffnet, die wiederauftauchen und sich einen Platz in den Korridoren der Macht sichern konnten. Das Problem ist das gleiche wie im Irak. Der politischen Minderheit im Land wurde die Herrschaft mit Waffengewalt übergeben. Diese versucht seitdem verzweifelt, die traditionell herschende Elite zu bekämpfen. Das ist zum Scheitern verurteilt, egal wie sehr sich die USA bemühen.
Als Hamid Karzai als Präsident von Afghanistan eingesetzt wurde, gehörten zu der gebildeten Koalitionsregierung auch diejenigen, die regional gegen Pakistan und für Indien standen. Diese Leute verursachten noch mehr Probleme in Afghanistan. Wir haben auch gesehen, dass Indien von den USA mehr Macht erhalten hat, die afghanische Regierung auszubilden und zu beeinflussen. Indien fördert eine Pakistan feindlich gesinnte Politik in Kabul, das als Nachbarland besondere Beziehungen zur lokalen afghanischen Bevölkerung genießt.
Was ist Ihrer Meinung nach der größte Fehler der USA in Afghanistan?
Der größte Fehler der USA ist das Konzept des Nation Building. Das US-Militär ist zu diesem Konzept nicht fähig. Seine Aufgabe ist einzig und allein, zu siegen und zu erobern, und nicht, aufzubauen, was wir im Irak und in Afghanistan deutlich gesehen haben. Hätten die USA verstanden, dass ihr Engagement nur auf die Ebene der Zerschlagung terroristischer Gruppen in Afghanistan hätte beschränkt sein sollen, wäre ein Erfolg möglich gewesen.
Welche Faktoren machen die Taliban in Afghanistan nahezu unbesiegbar?
Sie meinen, praktisch unbesiegbar. Wir sprechen von einer indigenen Gruppe, die 12 Jahre lang in Afghanistan regiert hat. Sie haben Verbindungen tief in die Bevölkerung Afghanistans, seien es Zivilisten, Polizisten, Bürokraten oder Militärs. Sie haben innerhalb des Landes Stützpunkte und Kontrollbereiche eingerichtet, die nicht durch Bombenangriffe zerstört oder durch den Bau von Stützpunkten militärisch unbrauchbar gemacht werden können. Man muss sich auch vor Augen halten, dass die USA zwar in der Lage waren, einen gewissen operativen Raum im Land zu gewinnen, aber nicht in der Lage waren, "Herzen und Köpfe zu gewinnen", was ihr angebliches Kernmantra bei jeder Invasion ist.
Wie ist es um die Akzeptanz der Regierung in Kabul bestellt?
Nach dem Einmarsch der USA in Afghanistan war die Kabuler Regierung, die gebildet wurde, keine echte afghanische, sondern eine importierte Regierung. Viele Beamte lebten vor der Invasion im Ausland. Sie waren nicht in der Lage, die Unterstützung des afghanischen Volkes zu erhalten, weshalb viele Analysten Karzai als Bürgermeister von Kabul bezeichneten und nicht als Präsidenten von Afghanistan.
Aus dem gleichen Grund konnte die Regierungsführung nie auf ein Niveau gebracht werden, auf dem die Menschen in Afghanistan bedient oder ihre Bedürfnisse berücksichtigt wurden. Vielmehr stiegen hauptsächlich die Bankguthaben der Familie Karzai an, während das Militär nicht in der Lage ist, seinen Soldaten Gehälter zu zahlen. Zusätzlich war das US-Militär aufgrund der vielen Schwächen der afghanischen Armee und der Nationalen Direktion für Nachrichtendienste (NDS), also des Geheimdienstes, gezwungen, die Kontrolle über weite Teile Afghanistans selbst zu behalten, obwohl in den Medien gerne behauptet wurde, dass die Arbeit erledigt wurde.
Im Ergebnis steht die Unbesiegbarkeit der Taliban, weil sie gleichzeitig mit der Schattenregierung wie auch mit der Ghani-Regierung zusammenarbeiten. Buchstäblich muss der Gouverneur jeder Provinz die Taliban-Führung in der jeweiligen Region fragen, ob er die Befehle aus Kabul ausführen darf, bevor er es überhaupt versuchen kann. Die Regierung und sogar das US-Militär müssen den Taliban Bestechungsgelder für die sichere Durchreise und Schutzgeld zahlen, weil die USA und die ANDSF (Afghanische Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) nicht in der Lage sind, aus eigener Kraft Sicherheit zu gewährleisten.
Wir haben auch gesehen, dass die Taliban sich so tief in das normale Leben der Afghanen eingebettet haben, dass sogar Soldaten und Polizisten ihnen Informationen liefern, ihre Waffen verkaufen und von der Taliban-Führung im ganzen Land auch finanziell für ihre Dienste vergütet werden. Wenn das nicht Unbesiegbarkeit ist, was dann?
Welche Rolle spielt Pakistan im Konflikt in Afghanistan?
Diejenigen, die glauben, Pakistan spiele keine positive Rolle in Afghanistan, haben eine voreingenommene Sicht. Pakistan hat mit einem instabilen Afghanistan am meisten zu verlieren, da es ein Frontstaat im Krieg gegen den Terror ist. Es ist eines der größten Opfer des Terrorismus. Pakistan betrachtet Afghanistan als brüderlichen Nachbarstaat, egal was die USA und die Falken in Kabul sagen.
Ich möchte kurz an die Ausgangssituation in Afghanistan erinnern, die verstanden werden muss, um Pakistans Rolle einordnen zu können. Nach dem Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan 1989 brach ein Bürgerkrieg aus. Die Nordallianz begann, Beziehungen zu Indien aufzubauen, die Überreste der Mudschahedin mit Pakistan. Außerdem kamen Warlords und Drogenhändler hinzu, die um Macht im Land kämpften. Viele zeigen seitdem mit dem Finger auf Pakistan, weil es die Schaffung der Taliban begünstigte, um aus dem Bürgerkrieg herauszukommen und Afghanistan landesweit ein Mindestmaß an Stabilität zu ermöglichen. Pakistan hatte die Sorge, dass der Bürgerkrieg über die Grenze nach Pakistan überschwappen könnte, wie es nach dem 11. September 2001 der Fall war.
Pakistan hat bei zahlreichen Gelegenheiten auch afghanische Soldaten und Offiziere ausgebildet, Verhandlungen zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban arrangiert und wiederholt gefordert, dass die afghanische Regierung ernsthafte Maßnahmen gegen die Terroristen ergreife, die in den afghanischen Grenzregionen zu Pakistan ein sicheres Rückzugsgebiet genießen. Vergeblich.
Wie hat sich das auf die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan ausgewirkt
Lange Zeit warfen die USA Islamabad vor, in ihren Beziehungen zu ihnen "doppelzüngig" zu sein. Dies wurde in ein "do more"-Mantra der Bush-Administration umgewandelt, das unter der Obama-Administration fortgeführt wurde. Schließlich beschuldigte Präsident Trump Pakistan öffentlich, kein Partner für den Frieden in Afghanistan zu sein. Wirklich heuchlerisch ist, dass die USA auf diplomatischem Wege weiterhin Pakistan auffordern, mit den Taliban zu verhandeln, damit diese ihre Waffen niederzulegen und Teil des demokratischen Prozesses im Land zu werden.
Man kann nicht gleichzeitig die Hand schütteln und Pakistan schlagen. Zugleich wird erwartet, dass Pakistan kooperiert.
Ohne die Unterstützung und das Engagement Pakistans kann es keinen Frieden in Afghanistan geben. Dies wurde dadurch verstärkt, dass die Russen, Chinesen und Iraner unabhängig von den USA gemeinsam mit Pakistan ebenfalls auf Frieden und Stabilität in Afghanistan hinarbeiten.
Die US-Armee hat in einem aktuellen Bericht zugegeben, dass die US-Armee die Dynamik in Afghanistan immer noch nicht versteht. Denken Sie, dass an dieser Aussage etwas dran ist, oder ist es nur eine Taktik, um neue Gelder aus dem Pentagon zu erhalten?
Das US-Militär kann die Dynamik in Afghanistan nie verstehen. Wenn es um einen Regimewechsel geht, geht es nicht um Dynamik, sondern um Ziele. Bei den Regierungen Bush und Obama war das Ziel der Aufbau von Nationen und die Aussöhnung. Als Trump an die Macht kam, änderte sich die Sprache von der Staatenbildung hin zum Sieg.
Präsident Trump konzentriert sich darauf, in Afghanistan mit militärischen Mitteln zu gewinnen. Er ist, wie er selbst sagte, nicht mehr am Aufbau der Nation interessiert. Das war das erste Signal, dass das Militär seine Operationen vor Ort in Afghanistan ausweiten wird. Das Pentagon wurde damit beauftragt, Optionen zur Erreichung dieses Ziels zu finden.
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