Asien

Die Verhaftung von Imran Khan wird die jahrelange Krise in Pakistan ihrem Ende näher bringen

Das pakistanische Establishment hat im Rahmen seines jüngsten Machtspiels die rote Linie der Opposition überschritten und die Bevölkerung praktisch dazu herausgefordert, Widerstand zu leisten. Und viele tun genau das, weil sie befürchten, ihr Land zu verlieren.
Die Verhaftung von Imran Khan wird die jahrelange Krise in Pakistan ihrem Ende näher bringenQuelle: www.globallookpress.com © PPI/Keystone Press Agency

Von Andrew Korybko

Der postmoderne Putsch, der im April 2022 den ehemaligen pakistanischen Premierminister Imran Khan aus dem Amt entfernte – als Strafe für seine multipolare Außenpolitik –, löste eine Kaskade an Krisen in der Wirtschaft, der Justiz, der Politik und in der inneren Sicherheit aus. Diese Krisen haben Pakistan bis ins Mark erschüttert. Das von den USA unterstützte Regime, das an Stelle von Khan eingesetzt wurde, weigert sich, zeitnah freie und faire Wahlen abzuhalten. Denn es weiß, dass es diese verlieren würde, nachdem die aus dem Amt entfernte Partei des ehemaligen Premierministers – die PTI – im vergangenen Jahr mehrere Nachwahlen gewinnen konnte.

Gleichzeitig ging das Putsch-Regime brutal gegen die Zivilgesellschaft vor, indem es Dissidenten einsperren ließ und die Medien zensierte, aus der nackten Verzweiflung heraus, womöglich die Macht zu verlieren. Doch das pakistanische Volk konnte nicht zum Schweigen gebracht und gezwungen werden, das zu akzeptieren, was Imran Khan eine "importierte Regierung" nennt. Und die Bürger protestieren weiterhin friedlich dafür, ihre demokratischen Rechte ausüben zu dürfen. Sie glauben, dass die politische Krise Pakistans nur durch Wahlen gelöst werden kann, erst dann können die anderen Krisen bewältigt werden.

Man muss diesen Menschen zugutehalten, dass sie ihrem Weg treu geblieben sind, trotz des versuchten Mordes an Imran Khan im November 2022, der Razzia in seinem Haus Mitte März 2023 und der anhaltenden Morddrohungen des Innenministers gegen ihn. Die rote Linie war stets, dass Khan nicht aufgrund erfundener Anschuldigungen verhaftet werden darf, da dieses Szenario eine Gefahr für sein Leben darstellen und wahrscheinlich auch jede demokratische Einigung zum Scheitern bringen würde.

Diese rote Linie wurde nun am 9. Mai überschritten, nachdem Dutzende Paramilitärs ein Gerichtsgebäude in Islamabad gestürmt hatten, um Khan abzuführen. Die ehemalige Menschenrechtsministerin Shireen Mazari beschrieb den Vorgang mit den Worten:

"Als würde man sich in einem besetzten Land befinden."

Als Reaktion auf die Verhaftung von Khan wurden landesweit Proteste organisiert, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse immer noch andauern. Das Regime könnte diese Proteste jedoch als Vorwand nehmen, um im schlimmsten Fall einen Militärputsch zu rechtfertigen.

Das jüngste Machtspiel des Establishments ist äußerst gefährlich, da alle Interessengruppen sehr wohl wissen, wie sehr sich die pakistanische Gesellschaft im vergangenen Jahr polarisiert hat. Das Establishment hätte verantwortungsvoll Einfluss auf seine politischen Stellvertreter nehmen können, die nach dem Regimewechsel im April 2022 an die Stelle von Kahn getreten waren, um zeitnah freie und faire Wahlen zu organisieren und damit der Bevölkerung ein Druckventil anzubieten. Dies hätte auch die darauffolgenden Kaskaden an Krisen abwenden können, die am 9. Mai ihren bisherigen Höhepunkt erreicht haben.

Theoretisch hätte zwischen dem Establishment und der PTI immer noch eine Art pragmatische Vereinbarung ausgehandelt werden können, wenn Letztere wie erwartet an die Macht zurückgekehrt wäre. Doch ein solches Ergebnis scheint jetzt nicht mehr möglich zu sein. Das pakistanische Establishment hat im Rahmen seines jüngsten Machtspiels die rote Linie der Opposition überschritten und die Bevölkerung praktisch dazu herausgefordert, Widerstand zu leisten. Und viele tun genau das, weil sie befürchten, ihr Land zu verlieren.

Nach Ansicht der Demonstranten bricht in Pakistan gerade ein neues dunkles Zeitalter an, in dem möglicherweise nie wieder die Souveränität wiederhergestellt werden kann, die das Land infolge der Krisen von Tag zu Tag immer mehr verliert. Sie können sich nicht mit gutem Gewissen zurücklehnen und dies einfach zulassen, ohne tief in ihrem Herzen zu wissen, dass sie alles versucht haben, um es zu verhindern. Das erklärt, warum diese Menschen gerade jetzt buchstäblich ihr Leben riskieren, um gegen die Festnahme von Imran Khan und für die demokratische Zukunft ihres Landes zu protestieren.

Derzeit scheint es unwahrscheinlich, dass das Establishment nachgeben wird, indem es Khan wieder freilässt und Druck auf das Regime ausübt, sich auf einen Termin für freie und faire Wahlen zu einigen. Aber das bedeutet nicht, dass sich seine Strategie nicht ändern kann. Auf jeden Fall ist klar, dass die jahrelange politische Krise Pakistans ihr Ende erreicht hat, da eigentlich nur noch zwei einander ausschließende Ergebnisse möglich sind: die Chance auf eine echte Demokratie, oder aber das Fortdauern einer Diktatur.

Übersetzung aus dem Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien spezialisiert hat sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung.

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